FIFA WM 2022 Brasiliens Offensive bereitet Sorgen - So schlecht wie seit 44 Jahren nicht
Ohne Neymar lahmt der brasilianische Angriff bei der WM 2022 in Katar – nur drei Treffer gelangen in der Gruppenphase. Deshalb lautet vor der K.o.-Runde die große Frage: Wann kann der Superstar wieder eingreifen?
Was die brasilianische Nationalmannschaft bei der WM 1978 in Argentinien in ihrer Vorrundengruppe zeigte, hatte so gar nichts mit dem "Joga Bonito", dem "schönen Spiel" zu tun, das Fußballfans gemeinhin mit der Seleção in Verbindung bringen. Einem 1:1 im Auftaktmatch gegen Schweden folgte eine Nullnummer gegen Spanien. In der dritten Partie ging es für Zico und Co. gegen die bereits für die nächste Runde qualifizierten Österreicher ums Weiterkommen, was mit einem knappen 1:0-Sieg auch gerade so gelang.
Brasilien mit nur drei Treffern in der Vorrunde
Auch bei der WM 2022 in Katar überzeugte der Rekordweltmeister in der Gruppenphase nicht uneingeschränkt. Einem 2:0 gegen Serbien folgte ein 1:0 gegen die Schweiz, im letzten Gruppenspiel wechselte Trainer Tite munter durch, so dass die Partie gegen Kamerun mit 0:1 verloren ging.
Eine offensichtliche Parallele zu 1978: Die brasilianische Offensive kommt im Golf-Staat bisher nicht richtig auf Touren und tut sich schwer. Drei Treffer in drei Spielen – das bedeutet für Brasilien so wenig Tore in der Vorrunde wie seit 1978 nicht.
Die letzte Konsequenz fehlt
Dass die Seleção zum elften Mal in Folge als Gruppensieger in die zweite Turnierphase geht, übertüncht nicht die Sorgen, die der Angriff des fünffachen Titelträgers macht. Das war vor allem bei der ersten brasilianischen WM-Niederlage gegen ein Team aus Afrika offensichtlich. Die Seleção kombinierte gegen Kamerun gefällig, spielte aber ohne den unbedingten Willen, Treffer zu erzielen. Auch bei den beiden Siegen zuvor hatten die Südamerikaner die letzte Konsequenz vor dem gegnerischen Tor vermissen lassen und letztlich durch individuelle Geniestreiche von Richarlison (gegen Serbien) und Casemiro (gegen die Schweiz) gewonnen.
54 Torschüsse, nur drei Treffer
Diese Sturm-Flaute lässt sich auch durch Zahlen belegen. 54 Schüsse in drei Spielen sind eigentlich ein guter Wert, dass davon 16 aufs Tor gingen, spricht schon für eine breite Streuung. Das aus diesen Bemühungen nur drei Treffer resultierten, ist ein fataler Wert und deutet auf ein Missverhältnis in Sachen Aufwand und Ertrag hin. Dazu kommt: In der ersten Halbzeit haben die Brasilianer inzwischen seit fünf WM-Spielen nicht mehr getroffen. Letztmals gelang das 2018 in der Vorrunde gegen Serbien (2:0).
Deshalb richten sich die Blicke bei den Südamerikanern auf einen, der seit dem ersten WM-Spiel verletzt fehlt: Neymar. Der Superstar von Paris St. Germain hatte in der brasilianischen Auftaktpartie gegen Serbien viel einstecken müssen, war insgesamt neunmal gefoult worden und musste nach 79 Minuten verletzt ausgewechselt werden.
Neymars Rückkehr wird herbeigesehnt
Seitdem laboriert Neymar an einer Verletzung am lateralen Bandapparat im rechten Fuß sowie einem Ödem. Auch wenn der 30-Jährige in der Heimat umstritten ist, etwa wegen seiner Unterstützung für den rechtspopulistischen Politiker Jair Bolsonaro oder wegen seiner Schauspieleinlagen auf dem Feld, wird seine Rückkehr doch von Fans und Teamkollegen herbeigesehnt.
Wettlauf gegen die Zeit
Schon beim trostlosen 0:1 (0:0) gegen Kamerun hatte Neymar alle Blicke auf sich gezogen. Vor dem Spiel in der Kabine, beim Warmmachen an der Seitenlinie, nach dem Abpfiff im Kreis seiner Mannschaftskameraden – er scheint seinem WM-Comeback näherzukommen. Doch ob es bis zum Achtelfinale gegen Südkorea (Montag, 05.12.2022, 20 Uhr) reicht, ist offen, es wird wohl ein Wettlauf gegen die Zeit.
Mannschaftsarzt: "Neymar hat noch nicht mit dem Ball trainiert"
"Ich hoffe, dass er dann ins Team zurückkehrt", sagte Teamkollege Richarlison, der wie fast die gesamte Stammformation gegen Kamerun pausierte, "alle haben in den letzten beiden Spiele gesehen, wie sehr er uns fehlt." Mannschaftsarzt Rodrigo Lasmar gab sich nach dem Kamerun-Spiel betont vorsichtig. Neymar habe "noch nicht mit dem Ball trainiert", sagte der Mediziner, "das werden wir morgen probieren. Dann wissen wir besser, wie es aussieht."
Brasiliens Coach Tite hat zwar Alternativen. So wurde Neymar gegen die Schweiz von Fred ersetzt, gegen Kamerun durften sich Gabriel Martinelli, Rodrygo und Gabriel Jesus beweisen. Zudem gibt es ja auch noch Richarlison, Antony oder Raphinha. Doch sie alle haben nicht oder noch nicht die Klasse und die Erfahrung Neymars.
Neymar war vor dem Turnier in absoluter Topform
Zumal der Superstar vor dem Turnier in absoluter Topform war. Die WM sollte deshalb die ganz große Bühne für Neymar werden. Körperlich topfit und auf dem Zenit seines Könnens. Schließlich hatte er bereits in der WM-Qualifikation mit acht Treffern bei zehn Einsätzen für die Seleção geglänzt, während er in der französischen Liga vor der WM-Pause in 14 Spielen elf Tore für Paris erzielte und neun weitere Treffer vorbereitete.
Nun hofft ganz Brasilien, dass er in der Form von vor seiner Verletzung zurückkehrt. Die Seleção braucht Neymar. Die bisherigen Leistungen geben keinen Anlass zur Euphorie, die Niederlage gegen Kamerun war trotz Rotation ein Dämpfer.
Tite: "WM gibt dir eigentlich keine zweite Chance"
"Eine WM gibt dir eigentlich keine zweite Chance. Dieses Mal haben wir eine bekommen, weil wir die ersten beiden Spiele gewonnen hatten", sagte Nationaltrainer Tite: "Wir werden jetzt 24 Stunden an der Niederlage knabbern, dann beginnt die Vorbereitung auf das Spiel gegen Südkorea." Gegen die Asiaten sollte auch die Offensive zünden – mit oder ohne Neymar.