Spaziergang durchs Deutsche Fußballmuseum Deutsche WM-Erinnerungen und Horst Eckels Erbe
Während das Befremden über die WM in Katar mit jedem Tag eher wächst als nachlässt, wächst gleichzeitig auch die Sehnsucht nach Authentizität im Fußball, nach emotionalen Gewissheiten. Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund gibt es zahlreiche Exponate, die erstens ein Schlupfloch aus der staubigen WM-Realität bieten, und gleichzeitig verdeutlichen, warum Fußball-Weltmeisterschaften eine derart große Faszination besitzen. Etwas überhöht könnte man sagen: Beinahe jedes Turnier hat es irgendwie in unser Fußball-Album des Herzens geschafft.
Wahrscheinlich sollte die fußballhistorische Zeitreise durchs Museum bei einem Wimpel beginnen. Knapp 70 Zentimeter lang. Die Farben Rot, Weiß und Grün sind längst verblasst. In der Mitte ein roter Stern und darunter ein Hammer und eine Kornähre. In goldenen Zahlen ist das Jahr 1954 eingestickt. Es ist der Wimpel der Ungarn, den Ferenc Puskás am 4. Juli 1954 seinem Gegenüber Fritz Walter in die Hand drückte, nachdem die beiden Kapitäne ihre Mannschaften ins Wankdorf-Stadion von Bern geführt hatten.
Der Wimpel als Vorbote eines einzulösenden Versprechens, denn nichts anderes als der Titel war von den Ungarn erwartet worden. Und gleichzeitig auch als Symbol für eine enttäuschte Hoffnung. Museumsdirektor Manuel Neukirchner sagt: "Der Fußball war der immer brüchiger gewordene, gesellschaftliche Kitt für ein unterjochtes Volk", und die überraschende Niederlage sei damit zum Vorspiel des Volksaufstandes von 1956 geworden.
Deutschland - dein Fußball
Neukirchner hat darüber auch ein Buch geschrieben. "Deutschland – dein Fußball", heißt es. Es steckt voller, teils sehr überraschender, Perspektivwechsel. Und bietet außerdem interessante kleine Geschichten. Zum Beispiel über den Endspielball von Bern, den Werner Kohlmeyer auf Geheiß von Sepp Herberger aus der Kabine von Schiedsrichter Ling holen musste, um ihn als persönliches Souvenir für seinen "Chef" zu sichern.
Auf dem abgewetzten, goldbraunen Leder sind auch heute noch viele Unterschriften der Weltmeister zu entziffern. Herberger hatte um eine "leserliche Handschrift" gebeten. Heute ist der Ball eines der spannendsten Erinnerungsstücke im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund.
1954: Was geschieht mit Horst Eckels WM-Trikot?
Dort hängt auch das Endspiel-Trikot von Horst Eckel, eine Leihgabe des jahrelang noch letzten lebenden Weltmeisters von 1954. Im Dezember 2021 verstarb Eckel, ein Jahr später wurde sein Erbe versteigert.
Ein anonymer Telefonabieter erwarb das Jersey für rund 78.000 Euro. Eckels WM-Medaille wechselte für 76.000 Euro den Besitzer, seine Endspielschuhe brachten 20.00 Euro ein. Immerhin: Der Käufer soll ein Deutscher sein und wolle die Exponate der Öffentlichkekit zugänglich machen, teilte Auktionator Wolfgang Fuhr mit. An einigen Devotionalien waren auch Bieter aus dem WM-Gastgeberland Katar und aus China interessiert.
Horst Eckels Tocher hatte sich zum Verkauf entschlossen, weil sie Geld für die Pflege ihrer Mutter brauche. Den Leihvertrag für das WM-Trikot, das seit 2015 im Fußballmuseum hängt, hatte sie nach eigenen Angaben vor einem Jahr gekündigt.
1966: Die 101. Minute von Wembley
Da es ja heute im langen Schatten der Videoschiedsrichterei kaum noch Zweifel geben darf, kommt einer der umstrittensten Entscheidungen der WM-Geschichte natürlich eine besondere Bedeutung zu. Der Treffer von Geoff Hurst in der 101. Minute des mythendurchtränkten Endspiels von Wembley 1966. Das dritte Tor, das keines war, und von einem Mann doch als solches anerkannt wurde, der ausgerechnet aus der Stadt des Wunders kam. Aus Bern nämlich, wo Schiedsrichter Gottfried Dienst als Postbeamter sein Geld verdiente.
Als Dienst nach einer kurzen "Drin oder nicht drin"-Diskussion mit seinem Linienrichter Tofik Bachramow aus Aserbaidschan den Arm zur Mitte streckte und in seine Pfeife blies, war das Finale für Seeler und Co. verloren. Diese kleine, silberne Pfeife, in England produziert, ist mit dem Mythos vom dritten Tor gealtert und heute das museale Sprungbrett für eine immer wieder aufregende Zeitreise, die immer wieder in einer Fehlentscheidung mündet.
1974: Das letzte Hemd für den Gegner
Als Gerd Müller sein letztes Hemd gegeben hatte, war es gleich in der Sporttasche von Wim Rijsbergen verschwunden. Denn Müllers letztes Spiel im Trikot der deutschen Nationalmannschaft war ja das WM-Finale gegen die Niederlande, und "der Bomber" hatte selbstverständlich geliefert. Dass er aus der DFB-Elf zurücktreten würde, war schon vorher klar, alles andere war Müller nicht wichtig.
Seine Schuhe warf er auf der Ehrenrunde durchs Münchener Olympiastadion in die jubelnde Menge, und sein Trikot bekam eben der Rijsbergen, sein Gegenspieler, der aus Leiden stammte, was ja irgendwie auch zum Finale passte. Erst 38 Jahre später kehrte das Trikot mit Rückennummer 13 als Dauerleihgabe nach Deutschland zurück. Heute hängt es im Fußballmuseum, genauso wie die berühmte Mütze vom Mann mit der Mütze, vom "Langen" aus Dresden, von Helmut Schön also, der die Nationalmannschaft als Bundestrainer in eine neue Epoche begleitete.
1990: Die Spur führt nach Rom
Wenn man in diesen Tagen das Glück und das Privileg hat, mit Andreas Brehme über die Nacht von Rom, über seinen Elfmeter in der 85. Minute des WM-Finales 1990 zu sprechen, wird alles wieder lebendig. Der Fernsehkommentar von Gerd Rubenbauer, die Zuversicht in Brehmes Gesicht, Goycocheas Arme, die sich vergeblich streckten.
Andreas Brehme schoss mit rechts nach links, und tatsächlich kann man diese Erfolgsspur heute noch entdecken. Denn im Museum liegt der Elfmeterpunkt aus dem Olympiastadion in Rom. Unter Glas, versteht sich. Und nach links oben lässt sich eine leichte Kalkspur ausmachen. Diesen Weg hatte Brehmes Ball genommen.
Und so lässt sich dieser Spaziergang durch das Fußball-Fotoalbum immer weiter fortsetzen. Vorbei an Lehmanns Spickzettel aus dem WM-Viertelfinale 2006 gegen Argentinien, vorbei am Spielball des legendären 7:1 im WM-Halbfinale gegen Brasilien, das im Finale von Rio mündete, im Linksschuss von Mario Götze, unter dessen Schuh noch immer ein paar Grasfetzen aus dem Maracana in Rio de Janeiro kleben.