FIFA WM 2022 Flick zum "One-Love"-Verbot - "Frühes WM-Aus will keiner"
Das Verbot der "One Love"-Kapitänsbinde bei der WM 2022 durch die FIFA sorgt für hitzige Diskussionen. Nun äußerte sich Fußball-Bundestrainer Hansi Flick im Sportschau-Exklusivinterview mit Reporter Martin Roschitz: Er kann die Empörungswelle in Deutschland nicht nachvollziehen. Auch Spieler wie Thomas Müller und Joshua Kimmich redeten Klartext und kritisierten die negativen Reaktionen auf die Entscheidung des DFB.
Es war das Aufregerthema des zweiten WM-Tages: Der Weltverband FIFA hatte am Montag (21.11.2022) sieben europäischen Nationen das Tragen der mehrfarbigen "One Love"-Kapitänsbinde während des Turniers untersagt und mit sportlichen Sanktionen gedroht. Darauf hatten die Teams in einer gemeinsamen Erklärung verlauten lassen, auf das umstrittene Stückchen Stoff zu verzichten.
Deutscher Rückzieher in den sozialen Netzen viel diskutiert
In Deutschland sorgte der Rückzieher für hitzige Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Von fehlendem Mut oder fehlendem Rückgrat war dort vielfach die Rede, es kam zudem die Forderung auf, die deutsche Mannschaft solle sich von der WM zurückziehen. Im Sportschau-Exklusivinterview äußerte sich Bundestrainer Hansi Flick zu der Empörungswelle und dem Bindenverbot.
Flick: "Gab keine andere Option"
"Die Mannschaft war über das Verbot sehr enttäuscht", sagte Flick und erläuterte, wie es überhaupt dazu gekommen war: "Die Verbände sind erst kurzfristig von der FIFA informiert worden. Es gab ja gar keine Möglichkeit, zu verhandeln oder sich damit nochmal auseinaderzusetzen. Es gab keine andere Option. Deswegen haben sich die Verbände kurzfristig zusammengeschlossen und diese Entscheidung getroffen, hinter der wir als DFB natürlich stehen."
"Punktabzüge oder ein frühes Ausscheiden - das will auch keiner"
Insbesondere die Strafandrohung durch die FIFA habe bei der konzertierten Aktion der Verbände eine Rolle gespielt. "Wir wissen einfach nicht, was am Ende die Sanktionen gewesen wären", sagte Flick. "Deswegen muss man einfach auch sagen: Punktabzüge oder ein frühes Ausscheiden - das will auch keiner."
"Wenn es eine Gelbe Karte ist, ist alles okay"
Zuvor hatte Flick bereits im Rahmen der DFB-Pressekonferenz vor dem deutschen Auftaktspiel gegen Japan (Mittwoch, 23.11.2022, ab 14 Uhr live in der ARD und im Livestream auf sportschau.de) gesagt, dass die Maßnahmen seitens des Weltverbandes auch über Verwarnungen hätten hinausgehen können: "Wenn es eine Gelbe Karte ist, ist alles okay. Dann ist erst Manuel Neuer, dann Jo Kimmich Kapitän, Thomas Müller für das dritte Spiel. Das wäre gar kein Problem gewesen."
"Empörung in der Heimat - das kommt bei uns nicht an"
Dass das Thema in Deutschland ein Aufreger ist, spielt für Flick keine Rolle. "Empörung oder Unverständnis in der Heimat - das kommt bei uns nicht so an", sagte der 57-Jährige. Er wolle sich auf seinen Auftrag fokussieren: "Ich versuche, diese Dinge von mir wegzuhalten, weil ich eine Aufgabe habe: Diese Mannschaft auf das Turnier vorzubereiten."
"Dann wären wir vielleicht medial die Helden ..."
Die Forderungen aus der Heimat sind für den DFB-Coach zudem unrealistisch. "Ich glaube, letztendlich geht es darum: Wenn wir jetzt nach Hause reisen würden - was würde das für den DFB bedeuten? Dann wären wir vielleicht medial die Helden, aber es wäre für den DFB auch finanziell etwas, das bis in die Basis runter reicht", sagte Flick.
Dass es ihm und dem DFB um's Geld gehe, verneinte er. "Nein, es geht um die Basis. Wenn man sieht, was man 2006 zum Beispiel alles gemacht hat. Spielfelder, Leistungszentren - nur, weil eine WM war. Es geht darum, dass wir dieses Turnier spielen wollen. Wir wollen Weltmeister werden. Ob wir das schaffen, weiß ich nicht, aber wir wollen gut vorbereitet sein."
Flick kann Empörungswelle nicht nachvollziehen
Die jetzige Empörungswelle ist für Flick zum Teil auch übertrieben. "Als wir uns mit anderen Nationen entschieden haben, die 'One Love'-Armbinde zu tragen, da hieß es: Was soll das denn für ein Zeichen sein? Jetzt plötzlich ist die Binde alles, was es am Ende ausmacht", sagte er.
"Vielfalt und Menschenrechte sind für uns enorm wichtig"
Dass er und seine Mannschaft sich aus Sportliche fokussieren wollen bedeute nicht, dass man das, für was die Armbinde steht, nicht vertrete, so der Bundestrainer weiter: "Wir leben die Werte vor, für die wir stehen. Vielfalt und Menschenrechte sind für uns enorm wichtig und nicht verhandelbar. Wir versuchen, die Dinge so zu machen, dass wir guten Fußball spielen und dabei nicht die Augen verschließen."
Flick forderte deshalb, "jetzt mal einen Punkt machen, weil man muss uns und der Mannschaft auch mal die Möglichkeit geben, sich auf dieses Turnier vorzubereiten".
Müller verteidigt die deutsche Haltung
Auch für Thomas Müller steht der Sport im Vordergrund. "Wer von uns Fußballern erwartet, dass wir unseren Pfad als Sportler komplett verlassen und unsere sportlichen Träume, für die wir ein Fußballerleben lang gearbeitet haben, aufgeben, um uns politisch noch deutlicher zu positionieren, der wird enttäuscht sein", schrieb der Bayern-Profi auf Instagram.
Wer die ganze Situation differenziert betrachten könne, der werde das Team hoffentlich in den nächsten Wochen voll unterstützen und der Mannschaft den Rücken stärken: "Wir wollen euch zeigen, dass wir mit Teamgeist, Geschlossenheit und Fußballfinesse unsere deutsche Fußballnation begeistern können. Am besten schon gegen Japan."
Kritik an der FIFA
Gleichzeitig kritisierte der Weltmeister von 2014 die FIFA für das Verbot der Binde und "weitere befremdliche Aktionen und Äußerungen", die die Spieler und das gesamte Team beschäftigten. Sowohl der Standpunkt der FIFA als auch die Art und Weise der Kommunikation zum Verbot seien "für uns in keiner Weise zu verstehen". Die Kritik an Spielern und DFB könne er nachvollziehen und akzeptieren, er teile diese Ansicht aber nicht: "Der DFB hat Stellung bezogen und seine Haltung gegen die FIFA deutlich zum Ausdruck gebracht."
Kimmich: "Müssen Spagat schaffen"
Ähnlich sieht es Müllers Teamkollege Joshua Kimmich. Das FIFA-Verbot für die Kapitänsbinde sei "natürlich bei uns in der Mannschaft diskutiert worden, es ist wichtig für uns Spieler, auf Probleme und Missstände hinzuweisen", sagte der 27-Jährige: "Aber wir müssen auch den Spagat schaffen, uns aufs Sportliche zu konzentrieren."
Bei einer WM zu spielen, sei ein "Riesen-Kindheitstraum", sagte der Bayern-Profi: "Aber ich habe das Gefühl, dass einem eingeredet wird, dass man sich nicht darauf freuen kann. Ich möchte mich aber freuen dürfen, auch, wenn sie hier stattfindet." Die deutsche Nationalmannschaft brenne, sagte Kimmich weiter, "wir alle wollen gewinnen, wir alle können nichts dafür, dass die WM hier stattfindet".
Befremden auch bei Goretzka, Füllkrug und Günter
Auch in der übrigen DFB-Auswahl ist das Verbot von vielen Spielern ambivalent aufgenommen worden. Für Leon Goretzka etwa war es "nicht nachzuvollziehen", Niclas Füllkrug spach von einer "enttäuschenden Entscheidung", Christian Günter fand es "befremdlich".