Spaniens Presse jubelt über Finaleinzug "Ein Tor gegen den Machismo" - Vilda rehabilitiert
Mit Poesie und Ekstase - so reagiert die spanische Presse auf den erstmaligen Finaleinzug bei einer Frauen-WM. Auch die großen gesellschaftlichen Themen werden verhandelt. Und der umstrittene Trainer Jorge Vilda wird rehabilitiert.
Ein bisschen suchen muss man schon. Wer sich nach dem historischen Einzug von Spaniens Fußballerinnen ins WM-Finale auf den großen spanischen Sportportalen informieren will, braucht einen stabilen Daumen - zum Seite-nach-unten-Wischen. Andere Themen wie Lionel Messis Tor in der Major League Soccer (marca.com), der Wechsel von Neymar nach Saudi-Arabien (as.com) oder die Verletzung von Manchester-City-Profi Kevin de Bryune (sport.es) sind am Tag nach dem Halbfinalsieg erstmal wichtiger. Und auch in der Navigation der drei spanischen Top-Adressen für Sport ist die Frauen-WM versteckt, bei "Marca" beispielweise noch hinter Berichten über die Bundesliga oder die saudische "Pro League".
"Sie haben sich unsterblich gemacht"
Wer allerdings eine der drei auflagenstärksten spanischen Sportzeitung am Mittwoch (16.08.2023) am Kiosk kauft, der kommt am Jubel über das Endspiel mit "La Furia Roja" nicht vorbei. Mit großem Bild und jubelnder Schlagzeile wird der Final-Einzug verkündet: "Weltpremiere" schreibt "Marca" über den erstmaligen Finaleinzug von Spaniens Frauen, "Wie großartig sie sind" schwelgt "Sport" , und "As" titelt: "Sie haben sich bereits unsterblich gemacht". Überhaupt: In Spaniens Print-Presse dominiert an diesem Mittwoch die Trikotfarbe Rot auf der Titelseite, von der politisch eher links verorteten "El Pais" bis zur eher konservativen "El Mundo".
"Die über das Feld schwebt, den Pinsel schwingt"
Und auch in den Kommentaren überschlagen sich die Lobeshymnen auf das Team von Trainer Jorge Vilda: "Was für eine Herrlichkeit. Der Himmel öffnete sich weit für Spanien. 'La Roja' steht im Finale", ist in "As" zu lesen. Poetisch auch "El Pais", die die eingewechselte Siegtorschützin Salma Paralluelo heraushebt: "Das Duell war bleierner als die bisherigen Spiele von 'La Roja'. Bis Salma kam, der Schatz Spaniens, eine Fußballerin, die wie die Hölle rennt, über das Feld schwebt, den Pinsel schwingt". "El Mundo" schließt sich der Meinung an und erwähnt zudem Ballon d’Or-Gewinnerin Alexia Putellas und 1:0-Torschützin Salma Paralluelo: "Alexias Geist, Salmas Wirbelsturm und Olgas linker Fuß halfen Spanien auf die Beine."
Finaleinzug für mehr Geschlechtergerechtigkeit
Für "El Pais" könnte der Siegtreffer der 23 Jahre alten Olga Carmona zudem einen gesellschaftlichen Wandel einleiten. Einen Wandel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. "Ein Tor gegen den Machismo", titelt die Tageszeitung und führt aus: "Das spanische Frauen-Team erstrahlt in eigenem Glanz. Die Spielerinnen sind jetzt Vorbilder. Mädchen denken darüber nach, Fußball-Profi zu werden. Jungs streben danach, wie die Fußball-Frauen zu werden. (Paralluelo) … erzielte ihr Tor zum Zeitpunkt, als es am nötigsten war: Gegen reaktionäre Positionen".
Rehabilitation für Coach Vilda?
Als Vater dieses emanzipatorischen Erfolgs wird in den spanischen Blättern Trainer Jorge Vilda identifiziert. Das überrascht einigermaßen, stand der Coach doch vor dem Turnier stark in der Kritik. Gerade einmal elf Monate ist es her, da erklärten Aufstand von 15 Nationalspielerinnen wegen Vildas Methoden ihren Rücktritt aus der Auswahl. Der 42-Jährige soll das gesamte Team stark kontrolliert und kaum Privatsphäre zugelassen haben, teilweise soll Vilda sogar Einkaufstüten der Spielerinnen durchsucht haben.
Trotz massiver Kritik blieb Vilda im Amt. Unter anderem auch deshalb, so wurde in der spanischen Presse berichtet, weil sein Vater Angel Vilda als früherer Trainer einiger spanischer Frauen-Teams noch immer viel Einfluss auf den spanischen Fußballverband haben soll.
"Man muss vor Vilda kapitulieren"
Nach dem Finaleinzug nun fordert die Sportzeitung "Marca", man müsse "vor Jorge Vilda kapitulieren". Der Coach sei oft kritisiert worden, "oft zu Recht und bis zur Erschöpfung", so das Blatt. Wie Vilda sein Team aber nach der 0:4-Niederlage gegen Japan in der Vorrunde taktisch umgestellt und moralisch aufgebaut habe, davor "muss man einfach den Hut ziehen." "El Pais" vergleicht Vilda bereits mit Barcelonas Trainerlegende Johan Cruyff und schreibt, Vildas Spielstil umgebe ein "Hauch von Cruyffismus" - vielleicht auch menschlich, schließlich war Cruyff nicht nur von Fußballstar Marco van Basten wegen seines Führungsstils kritisiert worden.
Laut "As" habe der Erfolg Vildas zehn Gründe. Dazu zählen die Entdeckung Paralluelos ("Die große Retterin Spaniens"), der Einsatz von Ersatztorfrau Cata Coll ab der K.o.-Runde und der Umgang mit Superstar Putellas, die gegen Schweden nach nur 56 Minuten ausgewechselt wurde: "So etwas war vor Jahren noch unmöglich. Die Botschaft ist klar. Niemand ist unantastbar."
Doch, so argumentiert "El Pais", rehabilitiert sei Vilda trotz des Erfolges noch lange nicht: "Aus der Umkleidekabine hören wir: Es gibt Dinge, die nicht in Vergessenheit geraten sind. Sie wurden zum Wohle des Fußballs nur in die Ecke gestellt. Für das gemeinsame Ziel, die Weltmeisterschaft. Tore und Siege sind der beste Klebstoff für das Team."
Verbandspräsident Rubiales: "Er ist unverzichtbar"
Für den spanischen Fußballpräsidenten Luis Rubiales rehabilitiert der Erfolg Vilda allerdings vollumfänglich: "Er ist der grundlegende Architekt von allem. Er ist unverzichtbar", sagte der 45-Jährige nach dem Halbfinalsieg vor spanischen Journalisten. Die Vorwürfe gegen Vilda seien haltlos, da hätten "Menschen in böser Absicht oder Unwissenheit gehandelt".
Den Finaleinzug habe Vilda mehr als verdient, so Rubiales, denn "er verfügt über enorme technisch-taktische und menschliche Fähigkeiten." Im Endspiel am Sonntag treffen „La Furia Roja“ nun auf Europameister England. Und eine Schlagzeile für das WM-Finale hat die Tageszeitung "La Vanguardia" auch schon parat: "Nichts kann sie besiegen."