Siegtorschützin gegen die Niederlande Salma Paralluelo - ein spanisches Sportmärchen
Salma Paralluelo war bis vor einem Jahr eine der größten Leichtathletik-Hoffnungen Spaniens. Ihr langjähriger Trainer prophezeite der Teenagerin, irgendwann bei Olympia auf dem Podest zu stehen. Dann aber entschied sich die 19-Jährige, sich voll auf den Fußball zu konzentrieren. Und so sorgt Paralluelo nun statt solo auf der Tartanbahn gemeinsam mit dem Nationalteam auf dem grünen Rasen für Furore.
Genau elf Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen am 6. April des Jahres 2018 in dem kleinen Studio, aus dem "Aragón TV" seine Sendungen überträgt. Sie spenden der jungen Frau und dem älteren Herrn, die an diesem Abend zu Gast in einem Talk-Format sind, höflich Applaus, als sie den Raum betreten. In den kommenden knapp sieben Minuten stehen "eines der größten Versprechen der Leichtathletik und des Fußballs", wie "Aragón TV" Paralluelo vorstellt, sowie ihr Vater Jaime dem Moderator auf einer gelben Bank sitzend Rede und Antwort.
Irgendwann in diesem Interview, das das gerade einmal 14 Jahre alte Mädchen schon erstaunlich routiniert führt, wird sie danach gefragt, wovon sie denn träume. "Ich möchte im Fußball eine Weltmeisterschaft gewinnen, für die spanische A-Nationalmannschaft spielen und einen Vertrag bei Barcelona unterschreiben", antwortet Paralluelo.
Knapp fünfeinhalb Jahre später haben sich ihre Träume alle erfüllt. Paralluelo hat mit der U17 und U20 ihres Heimatlandes den WM-Titel gewonnen, steht seit 2022 bei "Barca" unter Vertrag und darf nun sogar davon träumen, mit dem A-Team der Ibererinnen bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland zu triumphieren. Dass die Teenagerin am Höhenflug der "Furia Roja" ihren Anteil hat, versteht sich beim Blick auf die Vita des Sport-Wunderkindes beinahe von selbst.
Paralluelo schießt Spanien ins WM-Halbfinale
Es ist am Freitag kurz vor 16 Uhr (Ortszeit) in Wellington, als Paralluelo auf den Boden des Regional Stadiums sinkt und ein paar Mal mit ihren Händen auf den Boden klopft. Kurz darauf wird die 19-Jährige von ihren herbeilaufenden Mannschaftskameradinnen geherzt. Mit ihrem Treffer zum 2:1 in der Verlängerung gegen die Niederlande hat die Stürmerin Spanien erstmals in ein WM-Halbfinale geschossen.
"Ich bin total euphorisch, das war so wichtig für uns. Wir haben bis zum Ende gekämpft und an uns geglaubt", sagt die Matchwinnerin im Interview: "Ich denke an meine ganze Familie und an jede einzelne Person, die mich unterstützt." Paralluelo wirkt auch in diesen für sie hochemotionalen Momenten sehr professionell. Das gründet wohl darauf, dass sie den Umgang mit den Medien früh gelernt hat.
Auch als Leichtathletin sehr erfolgreich
Denn Aufmerksamkeit wurde der Tochter eines spanischen Vaters und einer Mutter aus Äquatorialguinea schon früh geschenkt. Bereits seit ihrem 14. Lebensjahr steht sie im Rampenlicht - damals allerdings noch wegen ihrer außerordentlichen Leichtathletik-Leistungen. Paralluelo, die mit sechs Jahren begann zu laufen, war in ihren Jahrgängen auf nationaler Ebene nicht zu stoppen - für die Konkurrenz oft nur mit dem Fernglas zu sehen. "Sie war den anderen so überlegen, dass sie einmal in einem Rennen versehentlich auf die falsche Bahn geriet. Sie musste deswegen sieben Meter weiter als die anderen laufen, hat aber trotzdem gewonnen", sagte Felix Laguna im Gespräch mit "The Athletic".
Er war bis zum vergangenen Jahr Trainer von Paralluelo. Sie sei eine "Gazelle" gewesen, "außergewöhnlich begabt", schwärmt ihr Ex-Coach: "Wenn sie sich für die Leichtathletik entschieden hätte, wäre sie mit Sicherheit in ein Olympia-Finale gekommen. Und dort hätte sie eine Medaille gewonnen. Ich weiß zwar nicht welche, aber sie wäre auf dem Podest gelandet."
Mit 15 Start bei Hallen-EM in Glasgow
Lagunas Prognose ist keineswegs gewagt. Paralluelo lief bis vor einem Jahr in ihrer Altersklasse in Spanien alles in Grund und Boden, holte 2019 beim Olympischen Jugendfestival in Baku Gold über 400 Meter Hürden und mit der Medley-Staffel. Im selben Jahr startete sie im Alter von 15 Jahren und 108 Tagen bei den Halleneuropameisterschaften in Glasgow.
Dass sie dort über 400 Meter im Vorlauf scheiterte und in 55,30 Sekunden weit unter ihrer Bestzeit (53,83 Sekunden) blieb, verbitterte das ehrgeizige junge Mädchen. Doch es war nicht der Grund, warum das "Naturtalent", wie ihr Ex-Coach Laguna sie bezeichnet, vor rund einem Jahr mit der Leichtathletik aufhörte.
Nach Wechsel zu Barcelona nur noch Fußballerin
Paralluelo kehrte dem Laufsport den Rücken, um sich ganz ihrer zweiten großen Leidenschaft, dem Fußball, zu widmen. Jahrelang hatte sie beides auf jeweils sehr hohem Niveau nebeneinander betrieben. Nach ihrem Wechsel von Villarreal nach Barcelona war dies nicht mehr möglich. Seitdem konzentriert sich die Stürmerin ganz auf den Fußball, in dem sie als Jugendliche ebenfalls eine steile Karriere hingelegt hatte. Zwei WM- und einen EM-Titel gewann die Angreiferin mit den spanischen Junioren-Teams.
Der Sport bestimmte das Leben des jungen Mädchens, das zumeist bereits um 5 Uhr aufstand, um Schule, Leichtathletik und Fußball unter einen Hut zu bekommen. "Sie hatte Probleme, in der Schule mitzukommen. Sie hätte einen Nachhilfelehrer benötigt, hatte aber nie einen", berichtete Laguna.
Paralluelo von Ehrgeiz getrieben
Der frühere Trainer der 19-Jährigen erzählte dann auch noch eine Geschichte, die viel aussagt über den Ehrgeiz der spanischen Nationalspielerin: "Als wir im Ausland an Wettkämpfen teilnahmen und in guten Hotels mit Restaurants und Schwimmbädern übernachteten, sagte ich zu ihr, dass wir die Zeit genießen und ein wenig ausspannen könnten. Das wollte sie nicht. Sie bat mich, eine Leichtathletik-Bahn in der Nähe zu suchen, um darauf trainieren zu können. Oft handelte es sich dabei dann um heruntergekommene Anlagen, die weit vom Hotel entfernt lagen. Aber sie wollte dort trainieren, um am nächsten Tag besser mithalten zu können."
Folgt dem Champions-League-Sieg der WM-Titel?
Paralluelo sei eine "geborene Wettkämpferin", sagte Laguna. Ihr Ex-Coach ist traurig, dass sich die 19-Jährige gegen die Leichtatheltik entschieden hat. Er habe versucht, sie umzustimmen und für Paralluelo sei es ein "Drama" gewesen, einer Sportart den Rücken kehren zu müssen, erklärte der Trainer. Der Reiz, mit dem großen FC Barcelona Titel zu sammeln war am Ende etwas größer als der Traum von olympischen Leichtathletik-Medaillen.
Salma Paralluelo gewann mit dem FC Barcelona in der abgelaufenen Serie die Champions League.
Bis dato dürfte Paralluelo ihre Entscheidung nicht bereut haben. Mit "Barca" holte sie in den abgelaufenen Saison die Champions League. Und bei der WM ist sie nun mit Spanien nur noch zwei Siege vom Titel entfernt. Bleibt die Frage, welche Ziele eine 19-Jährige noch hätte, wenn sie bereits als Teenagerin nahezu alles gewonnen hätte?
Möglicherweise wird sie irgendwann wieder dort beantwortet, wo Paralluelo schon einmal von ihren Träumen erzählte: Auf einer gelben Sitzbank in einem kargen Studio von "Aragón TV".