Außenseiter verpasst Viertelfinale Nigeria nach WM-Aus zwischen Frust und Stolz
Nigeria hatte England im Achtelfinale der WM in Australien und Neuseeland am Rande einer Niederlage. Erst im Elfmeterschießen mussten sich die Afrikanerinnen den Europameisterinnen geschlagen geben. Dass die "Super Falcons" beim Ozeanien-Turnier überhaupt für Furore sorgten, grenzt in Anbetracht einer chaotischen Vorbereitung an ein Wunder.
Geschichten hat diese WM schon viele geschrieben - und noch mehr eindrucksvolle Bilder produziert. Das bis dato vielleicht eindrucksvollste war gewiss das der am Boden liegenden und hemmungslos weinenden nigerianischen Torhüterin Chiamaka Nnadozie nach dem verlorenen Elfmeterschießen gegen die "Lionesses".
Die 22-Jährige, eine der besten Keeperinnen bei diesem Turnier, hatte keinen Versuch der Engländerinnen parieren können und war nun untröstlich. Wie ein Häufchen Elend lag sie auf der Torlinie.
Zwei Kameraleute stürmten herbei, um die Emotionen für die Ewigkeit festzuhalten. Dass sich ausgerechnet Chloe Kelly, die den letzten Penalty zum 4:2-Erfolg des Favoriten verwandelt hatte, und ihre Teamkameradin Alex Greenwood vor Nnadozie stellten, um sie in diesen Momenten vor den Blicken der Welt zu schützen, war vielleicht die bewegendste und fairste Szene im bisherigen Weltmeisterschaftsverlauf.
Und das Handeln der beiden Engländerinnen zeugte von ganz viel Respekt und Anerkennung für die Leistung der Schlussfrau und ihrer Mannschaftskameradinnen, die im Vorfeld der WM vielen Widerständen getrotzt hatten und beim FIFA-Spektakel in Ozeanien dann die Fachwelt überraschten.
Verband sparte beim Mannschaftshotel
Es wird ja gerne von einem befürchteten "Lagerkoller" gesprochen, wenn Teams in der Vorbereitung auf ein Turnier mehr als ein paar Tage gemeinsam an einem Ort verbringen. Der Begriff ist allerdings in gewisser Weise zumeist irreführend. Denn bei den "Lagern", in denen dann der Koller geschehen könnte, handelt es sich überwiegend um teure Hotels mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten.
Die nigerianischen Nationalspielerinnen schlugen ihre Zelte vor der Abreise zur WM zwar auch nicht in einem herkömmlichen Lager auf. "Aber es war nicht so toll, wo wir geschlafen haben", berichtete Stürmerin Ifeoma Onumonu nach dem Aus gegen England. Zuweilen hätten sich sogar zwei Spielerinnen ein Bett teilen müssen, verriet die 29-Jährige. Doch damit nicht genug: Es habe in der Herberge, die die "Falcons" in der Vorbereitung in Nigeria bezogen hatten, nicht einmal ein Fitnessstudio gegeben. Möglichkeiten zur Regeneration seien sehr rar gewesen. Und die Trainingsplätze? "Die waren auch nicht so toll."
Qualifikationsspiele auf steinigem Rasen
So richtig überrascht dürften die nigerianischen Nationalspielerinnen, die mit Ausnahme der vereinslosen Verteidigerin Ashleigh Plumptre allesamt von ausländischen Clubs ihre Lohntüte erhalten, allerdings nicht davon gewesen sein, dass ihr Verband das Teamhotel offenbar nicht nach Komfort, sondern dem Zimmerpreis auswählte.
Denn auch sonst scheint bei der Nigeria Football Federation (NFF) Schmalhans Küchenmeister zu sein. "In dem Stadion, in dem wir die Qualifikation spielten, war der Rasen steinig und überall uneben. Man wusste nie, wo der Ball hinspringen würde", berichtete US-Legionärin Onumonu.
Hinzu kamen ausstehende Prämienzahlungen und Versäumnisse bei der Reiseorganisation in den vergangenen Jahren. Seine Spielerinnen hätten manchmal 24 Stunden lang auf einem Flughafen übernachten müssen, hatte Coach Randy Waldrum ein paar Wochen vor WM-Beginn in dem Podcast "On the Whistle" erklärt.
Coach Waldrum legt sich mit Verband an
Der US-Amerikaner holte in dem Format zum Rundumschlag gegen die NFF aus. Er kritisierte die mangelnde Unterstützung durch den Verband für sein Team und beklagte, 14 Monate lang keinen Lohn erhalten zu haben. Eine Reaktion der Angeschuldigten blieb nicht aus. Waldrum sei ein "inkompetentes Großmaul" und der "schlechteste Trainer", den die "Super Falcons" je hatten, erwiderte Medienchef Ademola Olajire. NFF-Vizechef Felix Anyansi-Agwu verstand die Welt nicht mehr, weil Waldrum Nigeria nicht verstand: "Afrika ist anders. Und Nigeria ist anders."
Coach Randy Waldrum übte harsche Kritik an Nigerias Fußballverband.
Der Verband, so berichteten nigerianische Medien, wollte den Coach noch vor Turnierbeginn feuern. Aber das Sportministerium des Landes habe interveniert, hieß es. Für Außenstehende war der öffentlich ausgetragene Rosenkrieg zwischen dem Übungsleiter aus Texas und den NFF-Oberen aus Abuja fraglos ziemlich unterhaltsam. Wie aber würde sich der merkwürdige Hahnenkampf auf die "Super Falcons" auswirken?
"Super Falcons" kommen ungeschlagen weiter
Die Antwort darauf gab es am 21. Juli, als der elfmalige Afrikameister Olympiasieger Kanada in seinem ersten WM-Gruppenspiel ein 0:0 abtrotzte. Es folgten ein 3:2-Erfolg gegen Gastgeber Australien sowie ein 0:0 gegen Irland. Nigeria zog ungeschlagen ins Achtelfinale ein - und das völlig verdient. Es folgte eine spielerisch reife und taktisch glänzende Leistung gegen England, die nur mangels offensiver Durchschlagskraft nicht mit dem Einzug in die Runde der letzten Acht belohnt wurde.
"Wir haben den Anspruch, mit den besten Teams mithalten zu können. Und das haben wir nicht nur heute, sondern auch in der Gruppenphase geschafft. Ich bin mir sicher, dass uns das auch in Zukunft gelingen wird", sagte Plumptre nach der England-Partie. Keeperin Nnadozie schlug in dieselbe Kerbe: "Wir glauben an uns und wussten, dass wir hier weit kommen können."
Nnadozie: "Das ist nicht das Ende für Nigeria"
Mit gerade einmal 22 Jahren hat die Torfrau vom Paris FC ihre Zukunft noch vor sich. Auch viele ihrer Nationalmannschaftskameradinnen stehen erst am Anfang ihrer Karrieren, sodass die "Super Falcons" bei den kommenden Weltmeisterschaften eine noch bessere Rolle spielen könnten. Davon ist auch Nnadozie überzeugt. "Das ist nicht das Ende für Nigeria. Wir müssen jetzt nach Hause fahren. Aber wir werden uns ausruhen und gestärkt zurückkommen", kündigte die Keeperin an.
Ihr Coach Waldrum geht gar davon aus, dass die "Super Falcons" in den kommenden Jahren in den Kreis der weltbesten Mannschaften aufsteigen werden. "Das sollten sie eigentlich", sagte der US-Amerikaner mit Blick auf das große Potenzial des Teams sowie ein großes Portfolio an Nachwuchsspielerinnen.
Waldrums Zukunft ungewiss
Ob der 66-Jährige die Geschicke der nigerianischen Fußballerinnen wird weiterleiten dürfen, ist trotz des überzeugenden Auftritts beim Ozeanien-Turnier ungewiss. Sein Vertrag läuft aus, sodass der US-Amerikaner nun auf die Milde der von ihm kritisierten Verbandsoberen angewiesen ist. "Ich bin stolz auf mein Team. Ich möchte bei der Mannschaft bleiben und sie auf die Olympischen Spiele vorbereiten. Aber das ist nicht meine Entscheidung", erklärte Waldrum.
Eigentlich müsste die NFF den Kontrakt mit dem Trainer-Routinier nach den tollen Vorstellungen der "Super Falcons" noch vor Antritt der Rückreise verlängern. Ausgeschlossen scheint allerdings nach all den Vorkommnissen der vergangenen Wochen nicht einmal, dass Waldrum noch am Flughafen seine Papiere statt eines Flugticktes erhält. Denn wie sagte noch Verbands-Vize Anyansi-Agwu: "Afrika ist anders. Und Nigeria ist anders."