Bayer Leverkusen und Vorgänger Das verflixte Jahr nach der Überraschungsmeisterschaft
Die Geschichte der Bundesliga zeigt, dass Überraschungsmeister in der Folgesaison nie besser als auf dem vierten Platz landeten. Armin Veh erzählt aus eigener Erfahrung, wo die Schwierigkeiten liegen und was er Bayer Leverkusen prognostiziert.
Letztlich lagen 17 Punkte zwischen Bayer Leverkusen und dem Zweitplatzierten VfB Stuttgart. Schon am 29. Spieltag hatten die Leverkusener die minimalen theoretischen Zweifel an ihrer Meisterschaft beseitigt. Schon am 10. Februar 2024, nach einem 3:0-Sieg gegen den FC Bayern am 21. Spieltag, hatte ohnehin jeder damit gerechnet, dass die Mannschaft von Trainer Xabi Alonso erstmals den Titel gewinnen wird.
Aufgrund der grandiosen Saison mit frühem großem Vorsprung und letztlich ohne Niederlage geriet in Vergessenheit, dass die Bundesliga mal wieder einen Überraschungsmeister kürte. In der Saison zuvor hatten die Leverkusener schließlich Alonso geholt, weil die Mannschaft nach acht Spieltagen auf dem vorletzten Tabellenplatz lag. Der Spanier führte sie dann noch in den Europapokal, aber dass es ein Jahr später eine Meisterfeier geben würde, hätten selbst Optimisten unter den Fans der Werkself kaum gedacht.
VfL Wolfsburg: Neunter nach der Hinrunde, am Ende Meister
Das galt für die Anhänger eines anderen Konzernklubs in der Saison 2008/09 noch bis zur Rückrunde. Der VfL Wolfsburg hatte zwar damals nur neun Punkte weniger als der Tabellenführer, aber es waren auch noch sieben andere Mannschaften vor ihm. Felix Magath aber trieb den VfL vor allem dank des Sturmduos Grafite und Edin Džeko noch zur bislang einzigen Meisterschaft.
Magath verließ die Niedersachsen trotzdem, wechselte zum FC Schalke 04. Sein Nachfolger Armin Veh wurde im Januar 2010 von Wolfsburg freigestellt. Der damalige Manager Dieter Hoeneß begründete das mit einer "tiefen Verunsicherung der Mannschaft" nach neun Pflichtspielen ohne Sieg.
Armin Veh: Kader im Normalfall nicht ausgelegt für Champions League
Armin Veh, heute 63 Jahre alt, wusste, was auf ihn zukommt. Er war selber Überraschungsmeister geworden. Zwei Jahre vor seinem Wechsel nach Wolfsburg führte er den VfB Stuttgart zur Meisterschaft, in der Folgesaison reichte es nur noch zum sechsten Platz. "Du spielst dann Champions League, das ist nochmal eine ganz andere Belastung", nannte Veh im Gespräch mit der Sportschau eine der Schwierigkeiten, die einen Überraschungsmeister in der Folgesaison erwarten. Der Kader sei im Normalfall nicht darauf ausgelegt, plötzlich auch im wichtigsten und vom Niveau her besten Wettbewerb mitzuspielen. Zudem fehle es in der Regel an Geld, um das in einer Transferperiode nachzuholen.
In Wolfsburg wäre das angesichts des potenten Konzerns im Rücken wahrscheinlich noch möglich gewesen. Aber dabei gelte es zu bedenken, so Veh: "Die sind ja Meister geworden, die haben sich etwas verdient. Denen kannst du nicht sagen: Danke, das war's."
"Eigentlich keine Mannschaft, mit der du Meister wirst"
Er habe gewusst, dass der VfL Wolfsburg deutlich über den Möglichkeiten gespielt habe in der Rückrunde 2008/09: "Das war eigentlich keine Mannschaft, mit der du Meister wirst. Da hatte der VfB Stuttgart schon eine bessere Substanz."
Als Beleg nannte Veh die Bilanz von Grafite. Der brasilianische Stürmer erzielte in der Meistersaison 28 Tore bei nur 25 Einsätzen. In keiner anderen Saison waren es in einer europäischen Topliga mehr als elf.
Beste Platzierung schon fast 60 Jahre her
"Es ist immer eine höhere Kunst, etwas zu wiederholen, zumal du ja auch in der Öffentlichkeit und von den Gegnern als Meister ganz anders wahrgenommen wirst", so Veh. Mit dem VfB beendete er die Folgesaison auf dem sechsten Platz, bevor er im Lauf der daran anschließenden Spielzeit noch während der Hinrunde freigestellt wurde. Die Wolfsburger landeten 2010 auf dem achten Platz.
Jahr | Verein | Tabellenplatz Folgesaison |
---|---|---|
1965 | Werder Bremen | 4. |
1967 | Eintracht Braunschweig | 9. |
1968 | 1. FC Nürnberg | 17. |
1992 | VfB Stuttgart | 7. |
1998 | 1. FC Kaiserslautern | 5. |
2007 | VfB Stuttgart | 6. |
2009 | VfL Wolfsburg | 8. |
2024 | Bayer Leverkusen | ? |
Die Tabelle zeigt, dass keiner der Überraschungsmeister in der Folgesaison auf einem besseren als dem vierten Platz landete, und das ist beim SV Werder Bremen auch schon fast 60 Jahre her. Fünfter wurde der 1. FC Kaiserslautern 1999, der in der Vorsaison gar sensationell als Aufsteiger Meister geworden war.
Abstieg als Meister: das Extrembeispiel 1. FC Nürnberg
Das extreme Beispiel in anderer Richtung ist der 1. FC Nürnberg. Er beendete die Saison 1966/67 (mit dem Überraschungsmeister Eintracht Braunschweig) auf dem zehnten Platz, um ein Jahr später Meister zu sein und wiederum ein Jahr später in die 2. Liga abzusteigen. Die historische Peinlichkeit, die unter dem Startrainer Max Merkel ihren Lauf nahm, sollte allerdings ein bisschen relativiert werden. In der Saison 1968/69 ging es in der Bundesliga äußerst knapp zu. Der "Club" wies als Tabellen-17. und damit erster Absteiger nur einen Punkt weniger auf als die beiden vor ihm platzierten Vereine. Selbst Hannover 96 hatte als Tabellenelfter nur drei Punkte mehr als Nürnberg.
Damals galt zwar noch die Regel, dass es für einen Sieg nur zwei Punkte gab, aber auch bei einer Umrechnung auf die seit 1995 gültige Drei-Punkte-Regel wäre der Abstand zwischen dem Zweitplatzierten, Alemannia Aachen, und dem 1. FC Nürnberg nur 16 Punkte groß gewesen, also weniger als zwischen dem VfB Stuttgart und dem Meister in der abgelaufenen Spielzeit.
Veh über Leverkusen: "Denke, dass sie wieder um den Titel mitspielen werden"
Die Titelverteidigung für Leverkusen beginnt am Freitag (23.08.2024) mit dem Spiel bei Borussia Mönchengladbach. "Ich denke, dass sie wieder um den Titel mitspielen werden", sagte Veh, "sie haben keine Leistungsträger verloren, sogar Jeremie Frimpong bleibt, wie es aussieht."
Eine erfolgreiche Titelverteidigung wäre ein Novum für einen Überraschungsmeister, auch wenn der aktuelle längst keiner mehr war, als er die Schale überreicht bekam.