Wenige deutsche Torwart-Talente Eine Liga sucht den Überflieger unter der Latte
Mit Kevin Trapp kehrt ein arrivierter Keeper bei Eintracht Frankfurt jetzt zurück. Ihn hat der junge Brasilianer Kauã Santos bravourös vertreten. Wo ist der deutsche Nachwuchs?
Gerade erst hat Markus Krösche ein paar sehr interessante Sätze gesagt, die den Zufallsfaktor bei der Verpflichtung neuer Spieler betreffen. Der Sportvorstand von Eintracht Frankfurt erklärte im Podcast "Spielmacher – Fußball von allen Seiten" ausführlich das Scouting des aktuellen Tabellendritten.
"Am Ende ist es die Verbindung aus Daten, Video, Scouting, Live-Scouting, aber auch vom persönlichen Eindruck." Doch letztlich gebe es kein "richtig oder falsch". Denn: "Wir wissen alle nicht, ob der Spieler funktioniert oder nicht."
Kauã Santos ist in der Bundesliga "Rookie des Monats"
Gerade bei der global angelegten Fahndung spielt immer ein Unsicherheitsfaktor mit. Torwart Kauã Santos war ja so eine Wundertüte: Im Sommer 2023 aus Rio de Janeiro für weniger als eine Million Euro Ablöse verpflichtet, nachdem das Torwarttalent durch das datenbasierte Scouting aufgeploppt war.
Alle Algorithmen hatten damals gepasst, und als sich die Eintracht-Späher vor Ort einen Eindruck verschafft und Gespräche geführt hatten, wurde jener Keeper nach Deutschland geholt, den die Bundesliga gerade als "Rookie des Monats" ausgezeichnet hat.
Der junge Brasilianer hat auf Weltklasse-Niveau gehalten
In Abwesenheit des verletzten Kevin Trapp bestach der brasilianische Ballfänger durch ein Profil, das mit 21 Jahren nur wenige Torhüter bereits mitbringen. Santos hielt zuletzt in der Bundesliga gegen den FC Bayern (3:3) und in der Europa League bei Besiktas Istanbul (3:1) auf Weltklasse-Niveau.
Lob von allen Seiten für den Keeper mit großer Zukunft folgte. Die Länderspielpause nutzten die Hessen dazu, das eigentlich ohnehin bis 2028 gültige Arbeitspapier vorzeitig bis 2030 zu verlängern. Dass damit eine Gehaltserhöhung verbunden ist, dürfte sicher sein.
Hat sich gefreut: Kaua Santos im Spiel gegen die Bayern
Vorerst kommt Kevin Trapp zurück
Nicht, dass noch woanders Begehrlichkeiten für das 1,96 Meter große Riesentalent aufkommen, das zum Verfolgerduell bei Bayer Leverkusen (Samstag 15.30 Uhr) erst einmal wieder auf die Bank muss. "Wir haben eine ganz klare Nummer eins, und das ist Kevin Trapp", heißt es bei Trainer Dino Toppmöller. Er stützt seinen Kapitän.
Wer sich bei Fans umhört, stellt allerdings kein ganz so klares Votum für den 34-Jährigen fest: Jeder Fehler, jedes Gegentor von Trapp wird in den nächsten Wochen vermutlich darauf untersucht, ob Santos mit seiner Spannweite und Sprungkraft den Ball nicht vielleicht abgewehrt hätte. Für die nächsten Jahre scheint die Eintracht auf dieser Schlüsselposition so gut aufgestellt wie kaum ein anderer Bundesligist, was die Langzeitperspektive angeht.
Der DFB ist seit geraumer Zeit alarmiert
Und wer den Bogen vom Frankfurter Proficamp direkt zum nahe gelegenen DFB-Campus spannt, der kommt um die Frage nicht herum: Warum bietet sich eigentlich kein deutscher Tormann aus dieser Altersklasse an? Ein Thema, das auch Torwartkoordinator Marc Ziegler beschäftigt.
Der ehemalige Bundesligatorwart hat im Hintergrund das einst unter dem früheren Akademieleiter Tobias Haupt aufgelegte Projekt "N28" laufen, mit dem nach dem Nationaltorwart für die EM 2028 gefahndet werden soll. Der in seiner aktiven Zeit selbst als Torwart der Bayernliga aktive Haupt wollte für die Zeit nach Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen vorbereitet sein, ohne damals zu wissen, dass dieser Ernstfall so früh eintreten würde.
Im Januar 2023 warnte auch Ziegler bereits: "Wir müssen tatsächlich sehr wachsam sein und unsere Hausaufgaben machen, um unsere Talente – die es auf jeden Fall gibt – auf Topniveau zu bringen." Am siebten Spieltag werden in der Bundesliga vermutlich zehn Schlussleute mit einem deutschen Pass auflaufen – aber die wenigsten von ihnen sind wirklich junge Talente.
DFB-Torwartkoordinator Marc Ziegler
Auch Alexander Nübel ist kein Talent mehr
Bei der Nationalmannschaft steht der Umbruch an: Der 38 Jahre alte Neuer ist unwiderruflich zurückgetreten und nun in München beim Länderspiel gegen die Niederlande (1:0) verabschiedet worden, beim 32-jährigen ter Stegen wird es mindestens bis nächsten Sommer dauern, ehe der Schlussmann vom FC Barcelona nach seinem Patellasehnenriss wieder belastbar ist.
Nagelsmann tendiert dazu, Oliver Baumann vorläufig zur Nummer eins zu machen – der Keeper und Kapitän der TSG Hoffenheim ist allerdings auch schon 34. Hinter ihm lauert Alexander Nübel vom VfB Stuttgart, der allerdings mit 28 auch nicht mehr als Talent durchgeht.
Noah Atubolu oder Jonas Urbig könnten im November aufrücken
Spannend wird daher, wie die künftige Verzahnung mit der U21 erfolgt, wo sich die Schlussleute Noah Atubolu (SC Freiburg) und Jonas Urbig (1. FC Köln) den Job beim Doppelpack in der EM-Qualifikation gegen Bulgarien (2:1) und Polen (3:3) ebenfalls teilten. Beim DFB wird vor allem Urbigs Entwicklung gelobt – genau wie der 22-jährige Atubolu genießt der 21-Jährige im Verein große Wertschätzung. Rückt einer von beiden im November zu letzten Länderspielen der A-Nationalmannschaft als dritter Torwart auf?
Da redet auf jeden Fall Torwarttrainer Andreas Kronenberg mit, dem Nagelsmann hier großes Mitspracherecht gibt. Spielpraxis ist in diesem Entwicklungsstadium für jeden Kandidaten unverzichtbar. Wann insbesondere Urbig sich auf Bundesliganiveau beweisen will - wenn seinem Heimatklub nicht der sofortige Wiederaufstieg gelingt – ist eine spannende Frage, die der Hochbegabte für sich ausloten muss.
Hat gerade in der U21 gespielt: Jonas Urbig vom 1. FC Köln
Dennis Seimen vom VfB Stuttgart bringt ganz viel
Genau beobachtet wird beim Verband auch der Werdegang des beim VfB Stuttgart unter Vertrag stehenden Dennis Seimen. Der 19-Jährige gilt als Keeper mit dem kompletten Paket und hat unter DFB-Nachwuchsdirektor Hannes Wolf gerade mit der U20-Nationalelf den Test gegen Ghana (5:0) bestritten; Seimen kommt regelmäßig für die U23 der Schwaben auf Drittliganiveau zum Einsatz.
Großes Talent: Dennis Seimen vom VfB Stuttgart
Egal ob im Verein oder beim DFB: Alle schwärmen von seinen sportlichen und mentalen Qualitäten sowie seinem Arbeitseifer. Generell ist Ziegler umso weniger besorgt, desto tiefer er schaut: Die 2. Bundesliga und 3. Liga sind der ausgewiesene Sammelplatz für deutsche Torhüter, die hier im Gegensatz zur Bundesliga klar in der Mehrzahl sind. Alle drei Profiligen zusammengerechnet, steht Deutschland im internationalen Vergleich bei den Einsatzzeiten bestens da.
Für U17-Weltmeister Konstantin Heide ist die Bundesliga noch weit weg
Ein weiteres Beispiel liefert mit Konstantin Heide der gefeierte Weltmeistertorwart der U17-Junioren, der mit 18 bei der SpVgg Unterhaching Woche für Woche gefordert wird. Der reaktionsschnelle Rotschopf wird vor allem körperlich noch zulegen müssen, will er sich zum Rückhalt auf Erstligalevel entwickeln.
Der Weg in die Bundesliga ist noch weit – und die Nationalmannschaft dann immer noch kein Selbstläufer. Doch Abschied vom Torwartland Deutschland muss niemand nehmen.