Mohamed Bin Hammam (l.) und Sepp Blatter

Per Videoschalte aus der Schweiz Blatter sagt als Zeuge im "Sommermärchen"-Prozess aus

Stand: 26.02.2025 13:50 Uhr

Sepp Blatter, der langjährige FIFA-Boss, sagt am Donnerstag als Zeuge im Sommermärchen-Prozess aus. Beobachter gehen nicht davon aus, dass er pikante Details preisgibt.

Blatter - also einer aus dem "korrupten FIFA-Stadl" - wie Theo Zwanziger den Fußball-Weltverband kürzlich bezeichnete.  Der frühere DFB-Präsident ist der letzte verbliebene Angeklagte am Frankfurter Landgericht. Der 79-Jährige kämpft vor der Justiz um sein Lebenswerk. Andere alte und mehr oder weniger weiße Männer haben diesen Kampf schon verloren.

"Kern des Bösen"

Blatter - inzwischen fast 89 Jahre alt - erlebte in seiner langen Funktionärskarriere schon Ermittlungen wegen Misswirtschaft, Korruption und Schmiergeldes. 2016 wurde der Schweizer an der FIFA-Spitze vom inzwischen ebenfalls höchst umstrittenen Gianni Infantino abgelöst. 

Vorgeladen wurde Blatter in Frankfurt, weil sich die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler von ihm Aufschluss über die ominösen Geldflüsse rund um die WM 2006 in Deutschland erhofft. "Das Gespräch wirkt als Anfang einer Verschwörung, als Kern des Bösen", sagte Distler jüngst über ein Treffen zwischen Blatter und dem mittlerweile verstorbenen Franz Beckenbauer im Dezember 2001 in der FIFA-Zentrale in Zürich. 

Bin Hammam wurde nie vernommen

Wenig später nahm Beckenbauer, damals Chef des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006, die Deutschland im Sommer 2000 zugesprochen worden war, ein Darlehen in Höhe von zehn Millionen Schweizer Franken beim französischen Unternehmer Robert Louis-Dreyfus auf und ließ diese Summe nach Katar auf ein Firmenkonto des einflussreichen FIFA-Funktionärs Mohamed bin Hammam transferieren. 

Der Zweck ist bis heute unklar - und wird es vermutlich auch bleiben. Beckenbauer ist im Vorjahr gestorben, Bin Hammam von der Justiz dazu nie vernommen worden. Sollte ausgerechnet Blatter jetzt Details der Absprache Preis geben? Wohl eher nicht.

Richterin sieht "ansteckende Gedächtnislücken"

Selbst Distler rechnet nicht mehr mit einem Durchbruch bei dem Versuch, ein vollständiges Bild der damaligen Vorgänge zu zeichnen. "Was damit geschehen ist, werden wir hier nicht aufklären können. Dafür sind die vorgeladenen Personen nicht auskunftsfreudig genug", sagte die Richterin.

Dass die Zeugenvernehmung des ehemaligen FIFA-Generalsekretärs Urs Linsi wegen einer Augen-Operation auf den 30. April verschoben werden musste, kommentierte Distler so: Die Krankheit, die die Zeugen haben, "nennt sich ansteckende Gedächtnislücken".

Schweiz zwingt Netzer zur Aussage

Am selben Tag wie Linsi soll sich auch Günter Netzer äußern. Der Weltmeister von 1974 hatte zunächst mitteilen lassen, dass er kein Interesse an einer Videovernehmung habe. Da die Schweiz, Wohnort des 80-Jährigen, aber Rechtshilfe leistet, kann er sich dem nicht entziehen. 

Geschäftsmann Netzer war einst ein enger Beckenbauer-Vertrauter. "Der Netzer hatte ja vielfältige berufliche Kontakte mit dem DFB", so Distler. Ob er dem Gericht entscheidend weiterhilft, darf bezweifelt werden. Der frühere Gladbacher Stratege gilt als einer, der lieber im Hintergrund agiert.

Netzer veranlasste Rückzahlung des Darlehens

Netzer drängte einst im Auftrag des 2009 gestorbenen Louis-Dreyfus auf die Rückzahlung des Darlehens, das dieser Beckenbauer gegeben hatte. Im April 2005 überwies der Deutsche Fußball-Bund 6,7 Millionen Euro - die damals umgerechnet etwa den zehn Millionen Schweizer Franken entsprachen - an die FIFA.

Obwohl das Geld als Beitrag für eine geplante und später abgesagte WM-Gala deklariert worden war, wurde es vom Weltverband nur einen Tag später an Louis-Dreyfus weitergeleitet. Die Schuld war damit beglichen.

Das Flehen des Herrn Grindel

2015 machte "Der Spiegel" den Sommermärchen-Skandal publik. Im Jahr danach wurde Reinhard Grindel DFB-Chef. Wie auch sein Nachfolger Fritz Keller bemühte er sich um Aufklärung. Er scheiterte aber unter anderem mehrfach bei Versuchen, bin Hammam zu treffen. "Mir ging es immer um das Thema – und da sind Sie meine letzte Hoffnung: Was ist mit dem Geld gemacht worden?", sagte Grindel fast flehend als Zeuge zur Richterin.

Der einstige CDU-Bundestagsabgeordnete ist wie viele andere längst aus dem Zentrum der Fußballmacht verschwunden: Am Ende ging es bei ihm um die Annahme einer Luxusuhr als Geschenk eines ukrainischen Oligarchen. 

Teure Steuererklärung des DFB

Strafrechtlich geht es beim Defilée der Ex-Funktionäre in Frankfurt darum, ob sich der Verdacht der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall gegen Zwanziger bewahrheitet. Die vom DFB an die FIFA überwiesenen 6,7 Millionen Euro hatte der Verband nämlich im Jahr 2006 als Betriebsausgabe verbucht. 

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei dies nicht zulässig gewesen, wodurch der DFB Steuern in Höhe von mehr als 13 Millionen Euro hinterzogen habe. Zwanziger, der auch im WM-Organisationskomitee saß, war von 2004 bis 2012 DFB-Präsident. In den ersten zwei Amtsjahren bildete er eine Doppelspitze mit Gerhard Mayer-Vorfelder. Der starb, bevor die ganze Affäre aufflog.

Niersbach zahlte für Verfahrenseinstellung

Die Steuererklärung des DFB für 2006 unterschrieb Wolfgang Niersbach, der damals gerade zum Generalsekretär aufgestiegen war, nach eigenen Angaben "in vollem Vertrauen". Jenes Papier, das den Verband 22 Millionen Euro Steuernachzahlungen und weitere finanzielle Schäden kostete. 

Das Verfahren gegen den späteren Verbandsboss Niersbach wurde im vergangenen September gegen eine Geldauflage von 25.000 Euro eingestellt. Zuvor war bereits das Verfahren gegen den ebenfalls angeklagten früheren Generalsekretär Horst R. Schmidt (83) aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt worden. Die drei Beschuldigten haben den Vorwurf stets strikt zurückgewiesen. 

"Selbstanzeige wäre Schnäppchen gewesen"

Als Zeuge sprach Niersbach kürzlich erstmals ausführlich, bat aber um Verständnis, "dass ich an einigen Stellen keine Kenntnis mehr habe". Der heute 74-Jährige hat arg gelitten nach seinem Absturz. Er stolperte einst - überfordert in der größten Krise des DFB - über die Sommermärchen-Affäre. Von einer Selbstanzeige sei ihm damals abgeraten worden. Eine Selbstanzeige, so Richterin Distler an dieser Stelle sarkastisch, wäre im Nachhinein "ein Schnäppchen gewesen. Peanuts."

"Wunderbares Geschenk" mit 155 Millionen Gewinn

Niersbach half jedenfalls auch seine persönliche Nähe zu Beckenbauer und Netzer nicht mehr bei seinem unfreiwilligen Abgang. Für den früheren Journalisten war und ist die Heim-WM ein "wunderbares Geschenk", das ja auch noch 155 Millionen Euro Gewinn abgeworfen habe. 

Dass Beckenbauer einst Blatter unter vier Augen den so wichtigen WM-Zuschuss der FIFA in Höhe von 170 Millionen Euro abgerungen hat ("ein sagenhaft-sensationelles Ergebnis"), feierte Niersbach zwar ausgiebig mit dem Kaiser im "Stanglwirt" in Kitzbühel. Wie und zu welchen Bedingungen dieser den Deal abgeschlossen habe, wisse er aber nicht. "Er hat unter der Geschichte wahnsinnig gelitten", sagte Niersbach über Beckenbauer und den WM-Skandal. Und: "Wir haben nie über Geld gesprochen." Das gelte auch für seinen Freund Netzer.

Kein Handshake zwischen Niersbach und Zwanziger

Zerrüttet ist längst das Verhältnis zwischen Niersbach und Zwanziger, der seinem Nachfolger bei Gericht nicht einmal die Hand schüttelte. Während Niersbach nun nicht mehr im Landgericht erscheinen muss, hat es sich Zwanziger zur Aufgabe gemacht, dem seit mittlerweile einem Jahr andauernden Verfahren bis zum Ende beizuwohnen. Er selbst erwartet nichts weniger als einen Freispruch und damit eine Rehabilitierung. 

Bei einer Einlassung am 20. Verhandlungstag - weitere Termine sind noch bis Anfang Juni angesetzt - durfte sich Zwanziger ausführlich äußern. Das machte er mit all seiner Berufserfahrung als Jurist, der einst sogar zum Steuer- und Verfassungsrecht promoviert hat und unter anderem als Verwaltungsrichter tätig war. Sein Anwalt Hans-Jörg Metz konnte die meiste Zeit mit verschränkten Armen zuhören.

Zwanziger: Geld nicht bei der FIFA gelandet

"Ich habe 2015 erstmals erfahren, dass das Geld nicht in der Kasse der FIFA gelandet ist", sagte Zwanziger. Und: "Die Initiative zur Entschuldung Beckenbauers kam von der FIFA. Wir wussten nicht, dass das Geld am Ende bei Bin Hammam gelandet ist." Mit der folgenschweren Steuererklärung sei er in keiner Weise befasst gewesen. Und überhaupt: Zwanziger sieht seine Rolle eher als alter weiser Mann in der ganzen Causa.