"Sommermärchen"-Prozess Das Wissen der DFB-Präsidenten
Mit Reinhard Grindel hat ein weiterer ehemaliger Präsident des DFB im "Sommermärchen"-Prozess ausgesagt. Er wiederholte seine Vermutung, an wen die ominösen 6,7 Millionen Euro tatsächlich gingen und gab der Richterin Tipps, wen sie sonst noch so laden sollte.
Im sogenannten "Sommermärchen"-Prozess sind sämtliche lebenden Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) involviert, zumindest indirekt. Theo Zwanziger (Amtszeit 2006 bis 2012) sitzt als Angeklagter vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Ihm wird Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Zwanziger, 79 Jahre alt, beteuert seine Unschuld, und weil er die auch vom Gericht dokumentiert haben möchte, sitzt er noch auf der Anklagebank.
Wolfgang Niersbach, Zwanzigers Nachfolger, im Amt bis 2015, hat es hinter sich. Er zahlte die ihm aufgebrummten 25.000 Euro. Das Verfahren gegen ihn ist somit beendet, ohne dass Schuld oder Unschuld festgestellt wurde. Niersbach soll an einem der kommenden Verhandlungstage als Zeuge vernommen werden.
Der frühere DFB-Präsident Wolfgang Niersbach
Fritz Keller (Amtszeit 2019 bis 2021) war im Dezember 2024 gehört worden, und er trug wenig zu der Frage bei, die über dem Verfahren hängt: Wozu diente eine Zahlung über 6,7 Millionen Euro, die sich der verstorbene Franz Beckenbauer beim verstorbenen französischen Unternehmer Robert Louis-Dreyfus geliehen hatte, und die über Umwege beim korrupten Katarer Mohamed bin Hammam landeten?
Grindel sagt über mögliche Verwendung der 6,7 Millionen Euro aus
Die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distel will - das wurde vom ersten Verhandlungstag im März 2024 an klar - diese Frage unbedingt klären. Sie hofft mit jedem weiteren Zeugen, meistens einem prominenten, auf Aufklärung oder zumindest nützliche Hinweise. Am Montag (13.01.2025) wurde sie durchaus zufrieden gestellt. Reinhard Grindel sagte aus, und er bekam ein Lob, das Richterin Distel bislang selten in diesem Prozess verteilte: "Zum Glück leiden sie nicht an Gedächtnisschwund."
Richterin Eva-Marie Distel am Landgericht Frankfurt am Main
Grindel war Präsident des DFB von 2016 bis 2019, zuvor schon als Schatzmeister für den Verband tätig. Er gehörte zum innersten Zirkel, als im Oktober 2015 ein Bericht im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" über die ominöse Zahlung den Schatten auf das Sommermärchen der WM 2006 warf.
Was Grindel aussagte, hatte er schon häufiger erzählt, oder es war durch Recherchen von Medien bekannt geworden, oder es stand in Untersuchungsberichten, die zu dem Fall für Millionen an Euro in Auftrag gegeben worden waren.
Grindel wiederholte vor allem die Vermutung, die er seit Jahren hat: Bin Hammam habe das Geld genutzt, um andere dafür zu bezahlen, dass sie Sepp Blatter 2002 erneut zum Präsidenten des Weltverbandes FIFA wählen. Beckenbauer habe auch mal gesagt, zumindest habe Grindel es aus sehr guter Quelle gehört: "Der (Blatter) ist mit meinem Geld gewählt worden." Franz Beckenbauer bestritt, das gesagt zu haben.
Mohamed Bin Hammam (l.) und Sepp Blatter
Grindel schreibt sich Freshfields-Report auf die Fahnen
Im Gegensatz zur deutschen Fußballlegende lebt bin Hammam noch. Grindel hätte ihn gerne mal selbst gesprochen, aber alle Versuche seien gescheitert. Auch Gianni Infantino, Blatters Nachfolger als Präsident der FIFA, habe der mehrmaligen Bitte, ein Treffen zu arrangieren, nicht entsprochen. Grindel fügte an, dass er "nicht blauäugig" sei. Er wisse, dass bin Hammam auch ihn vermutlich nicht aufgeklärt hätte.
Aber er sei mit sich im Reinen, weil er es immerhin versucht habe, genau wie er den Freshfields-Report in Auftrag gegeben habe, der immerhin zutage förderte, dass die Millionen in Katar landeten. Reinhard Grindel gab der Richterin noch ein paar andere Namen zu Protokoll, von denen eventuell Aufklärung zu erwarten sei.
Grindel schlägt weitere Zeugen vor: Niersbach, Linsi, Blatter, Radmann
Er nannte Niersbach, der genau wie der langjährige Vizepräsident und legendäre Strippenzieher Rainer Koch früher davon gewusst habe, dass der "Spiegel" eine Recherche veröffentlichen werde, die den DFB ins Mark treffen werde. Auch Urs Linsi, ehemaliger Finanzchef der FIFA und später Generalsekretär, habe intime Kenntnisse, außerdem Blatter, Beckenbauers Intimus Fedor Radmann und Günter Netzer.
Günter Netzer
Den, so Grindel, bewundere er ja für seine Künste als Fußballer, aber der habe über seine Vermarktungsagentur Infront auch so viel Geld mit dem DFB verdient, dass er sich eine Beteiligung an der Aufklärungsarbeit erhofft hätte.
Eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro in der Steuererklärung des DFB war für das Jahr 2006 als Betriebsausgabe angegeben worden. Damit hätte sie eine geringere Steuerschuld zur Folge gehabt. Die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass der Grund der Zahlung (Zuschuss für eine Gala der FIFA, die nie stattfand) den wahren Zweck verschleiern sollte. Sie erkennt die gewinnmindernde Ausgabe nicht als solche an und geht daher von Steuerhinterziehung aus. Die Angeklagten beteuern ihre Unschuld. Im Raum steht der Vorwurf, dass mit dem Geld Stimmenkauf bei den Vergabe der WM 2006 betrieben wurde.
Urteil wird auch für Bernd Neuendorf und den DFB interessant
Manches Wissen führte Grindel auf Gespräche mit Horst R. Schmidt zurück, der anfangs zusammen mit Niersbach und Zwanziger auf der Anklagebank saß. Aus gesundheitlichen Gründen wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Schatzmeister und Vizepräsidenten des DFB aber abgetrennt.
Ob Schmidt und/oder Zwanziger ihm mal etwas über die Verbuchung der 6,7 Millionen Euro als Betriebsausgabe erzählt hätten, wurde Grindel nicht gefragt. Dabei ist das der Kern des Verfahrens. Auch um die Frage, was denn Zwanziger wohl über die wahre Verwendung des Geldes wisse, kam Grindel herum. Ihm dürfte es recht gewesen sein, denn zu Zwanziger pflegt Grindel auch heute noch ein gutes Verhältnis, im Gegensatz zu Niersbach, der ihn nie im innersten Zirkel habe sehen wollen.
Am 30. Januar wird in Frankfurt weiterverhandelt. Dann sollen Marcus Höfl, langjähriger Manager von Franz Beckenbauer, und Niersbach als Zeugen aussagen. Bis in den Juni hinein sind Verhandlungstage angesetzt.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf
Das Urteil ist dann auch für Bernd Neuendorf interessant, den aktuellen Präsidenten des DFB. Er ist indirekt von dem Prozess betroffen, weil das Urteil erhebliche finanzielle Folgen für den Verband haben könnte. Dem DFB war wegen der angeklagten Fehlbuchung die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Er musste daher 22 Millionen Euro Steuern nachzahlen. Ein Freispruch Zwanzigers würde zumindest die Chance ergeben, auf Rückzahlung zu klagen, inklusive Zinsen.