Transfermarkt im Jugend-Amateurfußball Geld, Sperren und eine Verrohung der Sitten
Auch bei Kindern und Jugendlichen im Amateurfußball gibt es bereits einen Transfermarkt. In zwei Wechselfenstern geht es oft mit harten Bandagen zu. Leidtragende sind gesperrte Jugendspieler.
Auch bei Kindern und Jugendlichen im Amateurfußball gibt es bereits einen Transfermarkt. In zwei Wechselfenstern geht es oft mit harten Bandagen zu. Leidtragende sind gesperrte Jugendspieler. Der DFB versucht die Regeln zu bestimmen - und bewegt sich womöglich auf juristischem Glatteis.
Rainer Buch ist wütend. "Hier werden Kinder grundlos mit Fußball-Verbot bestraft", schimpft er, "und wir Eltern stehen machtlos daneben. Die meisten kennen doch nicht einmal das Reglement." Der Grund für Buchs Empörung sind Wechsel-Sperren und Ablöseforderungen im Jugendfußball. Sein Sohn, Jahrgang 2011, wollte im Sommer den Verein wechseln - und wurde deshalb von seinem alten Klub gesperrt.
Obwohl er fristgerecht zum 30. Juni die Vereinsmitgliedschaft gekündigt hatte, darf der abgebende Verein dies laut Jugendordnung des zuständigen Landesverbandes, in diesem Fall der Saarländische Fußballverband (SFV), tun. Wäre es dabei geblieben, hätte der Junge bis 1. November kein Spiel für seine neue Mannschaft absolvieren dürfen. Der abgebende Vereine muss noch nicht einmal einen Grund für die Sperre angeben.
DFB legt Ausbildungsentschädigung fest
In diesem Fall gingen Rainer Buch und der alte Verein seines Sohnes, für den er selbst auch als ehrenamtlicher Trainer tätig war, nicht im Guten auseinander. Der Verein betont, das Sperren von Kindern sei sonst nicht übliche Praxis bei ihm.
Im Fall Buch sei es noch um offene Mitgliedsbeiträge gegangen, die man sichern wollte durch die Sperre, und darum, dass der Sohn sich gegenüber einem Trainer "sehr beleidigend" geäußert habe: "Somit war er in den Konflikt involviert." Buch hingegen spricht von reiner Willkür und einem persönlichen Konflikt, der auf dem Rücken seines Kindes ausgetragen worden sei.
Solche Fälle gibt es jedes Jahr tausendfach, bundesweit. Und deshalb bedürfe es einer Regelung, auch in finanzieller Hinsicht, sagt der Deutsche Fußball-Bund (DFB). In seiner Jugendordnung hat der DFB deshalb unter Paragraph 3 eine "Ausbildungsentschädigung" für den abgebenden Verein festgelegt. Eine Art Transfersumme, zu zahlen für Spieler ab der U13.
Die Höhe der Summe errechnet sich anhand der Spielklasse der ersten Männermannschaft. Ein Bundesligist muss demnach bereits für einen D-Jugendspieler 1.500 Euro als Sockelbetrag bezahlen, plus 200 Euro pro Jahr, die das Talent in dem abgebenden Verein gespielt hat. Bei A- und B-Junioren sind es sogar 2.500 Euro. Entsprechend geringer fallen die Beträge für Klubs aus unteren Ligen aus.
DFB: "Zum Schutz der Vereine und Mannschaften"
Für einen Zwölfjährigen, der seit den Minis im Verein war, können da dennoch schnell mal 700 Euro fällig werden. Ist das Geld auf dem Konto des neuen Vereins, muss dieser den Spieler freigeben. Die Ausbildungsentschädigungen seien eine Anerkennung der Arbeit des abgebenden Vereins, verhinderten "Vereins-Hopping bereits im Jugendbereich" und seien insgesamt sinnvoll und bewährt "zum Schutz der Vereine und Mannschaften", schreibt der DFB der Sportschau.
Diese Regelung haben viele Landesverbände mitsamt der vom DFB erarbeiteten Geld-Tabelle in ihre jeweiligen Jugendordnungen übernommen: Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Württemberg, Hessen, Niederrhein, Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, der Südwestdeutsche Fußballverband - und seit Mai 2023 auch der Saarländische Verband. Andere Landesverbände haben zwar die Wartefristen vom DFB übernommen, nicht aber die Geldtabelle.
Angst vor Abwerbeversuchen der NLZ
Im Saarland kam es im vergangenen Sommer zu 1.200 Wechseln im Jugendbereich, bei 500 Vereinen, sagt Rainer Lauffer. Er sei kein Freund dieser Regelung, die die Vereine auf dem Verbandstag mehrheitlich beschlossen hätten, sagt der Jugendleiter des Saarländischen Fußballverbandes: "Aber auch ich muss vielleicht einsehen: Die Zeiten von Shakehands und Fairplay, die ich noch gepflegt habe als Jugendleiter, sind im Jugendfußball vielerorts vorbei. Die Regularien kommen jetzt vom DFB und sie sollen Streitigkeiten eindämmen."
Zudem hätten die Vereine den Wunsch gehabt, sich vor Abwerbungen aus den Nachwuchsleistungszentren (NLZ) zu schützen. Und da herrsche die Meinung vor: Die Profis hätten doch das Geld, also sollen sie auch für Talente zahlen.
Denn ansonsten werden die kleinen Verein erst dann finanziell vom DFB und der Deutschen Fußball Liga entschädigt, wenn das Kind sein erstes Profispiel bei den Männern absolviert hat.
Kinder sind häufig die Verlierer
Beim Konflikt um Rainer Buchs Sohn hat sich Lauffer eingeschaltet. Die Fronten seien verhärtet gewesen zwischen Verein und Vater. Buch oder der neue Verein seines Sohnes hätten zwar zahlen können - in seinem Fall 150 Euro für die Freigabe - aber der Vater lehnte rigoros ab. Lauffer sagt, er habe das nicht verstanden. Buch aber betont, das sei "Kinderhandel im Amateurfußball. Ein absolut unmoralisches Spiel, dass ich aus Prinzip nicht mitmachen wollte." Und das, obwohl ihn "die Tränen meines Sohnes" gerührt hätten.
Die Kinder sind bei solchen Wechseln häufig die Leidtragenden. Vor allem, wenn wenig bis nichts geregelt ist. Bisweilen wird dann übel gefeilscht um Ablösesummen für Kinder. Beispiel Berlin, das die Geldtabelle des DFB nicht übernommen hat: Die Freigabe gibt es nur mit Zustimmung des Vereins. Selbst wenn der neue Verein oder die Eltern den vom DFB vorgegebenen Betrag freiwillig bezahlen, muss der alte Verein den Spieler nicht freigeben. Dann sind Kinder, die im Sommer den Verein wechseln, bis November gesperrt.
Spieler einer Jugend-Spielgemeinschaft in der Eifel
In Berlin mit zahlreichen Vereinen auf engstem Raum und vielen Vereinswechseln und Animositäten unter den Klubs kommt das häufig vor. Zudem gäbe es immer mehr Vereine, die daraus ein Geschäftsmodell mit Kinder-Transfers entwickelt hätten, erzählen mehrere Jugendleiter der Sportschau.
"Diese Vereine bezahlen schon ab der B-Jugend Prämien und brauchen auch dafür Geld aus sogenannten Transfers", sagt Gerd Thomas, Vorsitzender des FC Internationale Berlin: "Es ist bisweilen unmöglich, mit manchen Vereinen Lösungen im Sinne der Kinder zu erzielen." Denn es gibt auch Berliner Vereine, die solche Ablösezahlungen prinzipiell ablehnen - das Kind muss die Sperre dann absitzen.
Vergebliche Hoffnung auf Vernunft
Burak Isikdaglioglu, Nachwuchsleiter und Vizepräsident beim Berliner AK, schildert einen Fall, den er diesen Sommer erlebt habe: "Summen von 75 oder 100 Euro sind ja noch okay als Ausbildungsentschädigung, aber wir mussten für sechs B- und C-Jugendspieler an einen bestimmten Verein 3.000 Euro überweisen. Das hat uns richtig wehgetan." Der BAK spielt in Berlin zumeist in den höchsten Spielklassen - und sei deshalb auf Zugänge angewiesen.
Der Berliner Fußballverband (BFV) bestätigt solche Fälle, schreibt von "realitätsfernen Freigabesummen", die dazu führten, dass man nach vielen Jahren, in denen man auf Selbstreinigung und Vernunft der Vereine gesetzt habe, das Thema im Oktober im Jugendbeirat nochmal diskutiert habe. Man strebe in Berlin eine neue Regelung bis zum 1. Juli 2024 an.
In der Hauptstadt, aber auch anderswo, sind Jugendspieler häufig der Willkür ihres alten Vereins ausgeliefert. Noch schlimmer wird es, wenn das Kind im Winter gehen möchte. Im zweiten Wechselfenster, das ab 1. Januar beginnt. Dann ist schon ein elfjähriger D-Jugendspieler ab dem letzten Punktspiel für den alten Verein für sechs Monate gesperrt. Heißt: letztes Spiel Mitte Dezember für den alten Klub, erstes Spiel für den neuen Klub Mitte Mai.
DFB diskutiert Anpassung
Burak Isikdaglioglu schildert einen Fall, der zeigt, wie sehr die Sitten im Jugendfußball bisweilen verrohen. So habe sein Berliner AK für einen Verein, der schon im März ankündigte, im Sommer gleich 13 Spieler aus einem Team holen zu wollen, 10.000 Euro Ablöse aufgerufen. Der neue Klub wollte nicht zahlen. Die Spieler traten daraufhin ab März nicht mehr für den BAK an, sodass sie ablösefrei gehen durften und zu Saisonbeginn Anfang September wieder spielberechtigt waren. Isikdaglioglu: "Das hat uns sportlich und wirtschaftlich geschadet."
Solche Fälle bestätigen den DFB in seiner Haltung. Am 8. Dezember besprechen Vorstand und Präsidium "Anpassungen bei Ausbildungsentschädigungen". Rainer Lauffer vom Saarländischen Verband, Mitglied im DFB-Jugendbeirat, gibt Einblicke: Das Alter für Ausbildungsentschädigungen bei Vereinswechseln solle herabgesetzt werden. Womöglich sollen Klubs bereits für U11-Spieler zahlen - sonst greife schon bei Zehnjährigen die Sperre.
Zwei Jugendspieler im Kampf um den Ball
Hintergrund, so Lauffer, sei mithin, dass die Nachwuchsleistungszentren immer jüngere Spieler scouten würden. Das liege daran, dass viele Leistungszentren schon bei der U12 in Turnierform gegeneinander spielen würden.
Lauffer sieht darin eine Art "bundesweiten Wettbewerb", den man durchaus kritisch sehen könne: "Das bedeutet Leistungsfußball in noch jüngeren Jahren. Unsere Amateurvereine beklagen, dass die NLZ deshalb bei ihnen immer früher zugreifen. Mancher empfindet das als Wildern - und das müsse bezahlt werden."
Zweifel an Rechtmäßigkeit von Ausbildungsentschädigungen
Wie das alles juristisch einzuordnen ist - dazu hat der renommierte Sportrechtler Gregor Reiter, lange Zeit auch Geschäftsführer der Deutschen Fußballspieler-Vermittler-Vereinigung, eine klare Meinung: "Was der DFB und seine Landesverbände da treiben, mit Sperren und Wechseln, diese außerdem von pauschalisierten Ausbildungsentschädigungen bei Kindern im Amateurbereich abhängig zu machen - das alles ist rechtlich nicht haltbar."
Es gäbe zwar ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes, das Wechselsperren aus sportlichen Gründen erlauben würde - aber nur für den Profibereich, um den Wettbewerb sportlich und ökonomisch zu regulieren. Im Kinder- und Jugendfußball gäbe es keine derartigen Gründe, das läge auf der Hand: "Wenn einer mal dagegen klagen würde, ist davon auszugehen, dass das System kippt." Der DFB sieht das anders: "Wartefristen nach Vereinswechseln schützen die Integrität des Wettbewerbs und sind grundsätzlich rechtlich möglich".
"Damit der Wahnsinn ein Ende hat"
Rainer Buch wollte tatsächlich zivilrechtlich gegen die Sperre seines Sohnes vorgehen, sein Anwalt war bereits aktiviert - da lenkte der alte Verein seines Sohnes ein. Burak Isikdaglioglu hat in Berlin gerade geklagt. Vor dem Sportgericht des Berliner Fußballverbandes konnte er im September so die Sperre für einen A-Jugendspieler aufheben, für dessen Freigabe dessen alter Verein 500 Euro verlangte.
Das BFV-Sportgericht verwies darauf, dass in der Berliner Jugendordnung die DFB-Regelung für Ausbildungsentschädigungen nicht vermerkt sei - und deshalb die Geldforderung "eine unzulässige Forderung" ohne Rechtsgrundlage sei. Der Jugendleiter des Berliner AK hofft, damit ein Grundsatzurteil erreicht zu haben, "damit der Wahnsinn endlich ein Ende hat".