Weitreichende Folgen Deutschlands Stimme für russische Fechter
Russische Fechter auf der Planche in Tauberbischofsheim? Auch dank einer Stimme aus Deutschland könnte dies bald Realität sein - wenn die Politik mitspielt.
Der Deutsche Fechter-Bund (DFB) hat offenbar aktiv dazu beigetragen, dass Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus ab Mitte April wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können.
Wie die Sportschau aus mehreren Quellen erfuhr, hatte das DFB-Präsidium seiner Präsidentin Claudia Bokel auf einer Sitzung vor dem außerordentlichen Kongress des Internationalen Fecht-Verbandes FIE mitgegeben, dort für die Wiederzulassung von Einzelsportlerinnen und -sportlern zu stimmen. Dagegen sollte Bokel mit "Nein" stimmen bei den Fragen, ob auch Teams und Offizielle wieder teilnehmen dürfen.
Weltverband FIE stimmt für Rückkehr von Russen und Belarussen
Bokel war beim Online-Kongress der FIE am vergangenen Freitag (10.03.2023) stimmberechtigt. Das Ergebnis war mit Blick auf die Wiederzulassung von Athleten Russlands und aus Belarus bei internationalen Wettkämpfen recht eindeutig: Die Sperren, die seit dem Beginn des russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gelten, werden aufgehoben.
Mit 61 Prozent der Stimmen votierten die FIE-Mitglieder dafür, Einzelsportler wieder zuzulassen. 89 Ja-Stimmen standen 46 Nein-Stimmen gegenüber, dazu gab es eine Enthaltung. Bei der Frage nach den Teams gab es 85 Ja-Stimmen (51 Mal Nein), bei den Offiziellen, zum Beispiel Schiedsrichter, Trainer und Funktionäre, 88 Ja-Stimmen (48 Mal Nein).
DFB weicht vom DOSB-Kurs ab
Der Deutsche Fechter-Bund dementierte die Sportschau-Informationen über den Präsidiums-Beschluss nicht und schrieb auf eine entsprechende Anfrage: "Die Präsidentin hat sich im Vorfeld des FIE-Kongresses vom Präsidium ein Meinungsbild eingeholt. Dies ist zurzeit nicht öffentlich. Bitte haben Sie Verständnis, dass Frau Bokel grundsätzlich keine Auskunft über geheime Abstimmungen, zum Beispiel beim FIE-Kongress erteilen wird."
Mit seinem Vorgehen wich das DFB-Präsidium vom Kurs des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ab. Dessen Vorstandsvorsitzender Torsten Burmester hatte noch Ende Februar betont: "Aus unserer Sicht ist jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, Athlet:innen mit russischem oder belarussischem Pass wieder zu internationalen Wettkämpfen zuzulassen. Die kriegerischen Handlungen haben sich in den vergangenen Wochen weiter verschärft, insbesondere auch die Angriffe auf die Zivilbevölkerung."
Deutscher Fechter-Bund prescht vor
Einen Beschluss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zur Wiederzulassung könne sich der DOSB nur unter "ganz strikten Voraussetzungen" vorstellen: beispielsweise keine Flaggen und nationalen Symbole sowie keine Athleten und Athletinnen, die den Krieg aktiv unterstützen.
Obwohl diese Details seitens des IOC noch nicht geregelt sind, prescht der Deutsche Fechter-Bund nun offenbar vor. Kritik daran äußerte der DOSB nicht. Auf Sportschau-Anfrage schrieb er lediglich, dass er Vorgänge in den Gremien seiner autonomen Mitgliedsorganisationen grundsätzlich nicht kommentiere.
Kritik von Athleten-Seite
Auch die Fechterin Lea Krüger sagte zur Sportschau, sie könne sich nicht zum Abstimmungsverhalten des Nationalverbandes äußern. Aber sie übte deutliche Kritik. "Ich hätte mir definitiv gewünscht, dass der DFB die Entscheidung des Weltverbandes stärker verurteilt."
Fechterin Lea Krüger im November 2020
Vor allem kritisiert sie als Präsidiumsmitglied der Athletenvertretung Athleten Deutschland, dass die aktiven Fechterinnen und Fechter nicht eingebunden waren. "Die Entscheidungen wurden getroffen, ohne überhaupt mit uns zu reden", sagte Krüger.
Fechter aus der Ukraine sollen also mit einer Waffe in der Hand gegen Russen antreten, die als Spitzensportler eine wichtige Rolle in Putins System einnehmen. Nun müssen ukrainische Sportler und Sportlerinnen wohl selbst die Entscheidung treffen, ob sie boykottieren oder protestieren und damit ihre Karriere gefährden.
Sorgen und Geld und Doping
Auch deutsche Fechterinnen und Fechter müssen sich damit auseinandersetzen, wie sie in dem Spannungsfeld agieren. Immerhin scheint eine Sorge ausgeräumt: Das Bundes-Innenministerium hat Ausnahmeregelungen angekündigt, um die Athleten weiter finanziell zu unterstützen. Seit einem Erlass aus dem März 2022 gibt es normalerweise keine Förderungen mehr für Wettbewerbe, an denen auch Russen teilnehmen.
Heikel ist auch das Thema Doping, schließlich sind Russen und Belarussen in der Zeit ihres Ausschlusses kaum kontrolliert worden.
Visa-Erleichterungen für russische Fechter?
Dass der Deutsche Fechter-Bund sein Abstimmungsverhalten nicht öffentlich macht, ist angesichts der weitreichenden Folgen bis in die Politik fragwürdig. Vom 5. bis 7. Mai steht zum Beispiel der Florett-Weltcup der Frauen in Tauberbischofsheim an. Der Weltverband hat den DFB bereits per Mail gefragt, ob Deutschland Visa für Athleten aus Russland und Belarus ausstellt. "Um diese Frage wird sich jetzt gekümmert", schreibt der DFB auf seiner Website.
Der Sport wirkt also auf die Politik ein, grundlegende Entscheidungen über den Umgang mit Russlands Angriffskrieg zu ändern - nicht nur in Deutschland. Im Oktober 2022 hat der Europäische Rat beschlossen, Visaerleichterungen für Russen vollständig auszusetzen. Nur bei dringenden Gründen sind Visa weiterhin möglich, etwa für Journalisten, Dissidenten und Vertreter der Zivilgesellschaft.
Weltcup in Tauberbischofsheim wackelt
Und bald auch für Fechter? Sollten die EU-Staaten keine weiteren Ausnahmen ermöglichen, droht den nationalen Verbänden der Verlust von Veranstaltungen. Neben Tauberbischofsheim könnten beispielsweise Madrid und das französische Saint-Maur Mitte Mai betroffen sein. Eine Verlegung in ein anderes Land hätte zudem Auswirkungen für die Athleten, die womöglich schon Hotels und Flüge gebucht haben.
Das Bundes-Innenministerium antwortete auf Sportschau-Frage, ob es Fechtern aus Russland und Belarus die Einreise ermöglichen wolle, mit einem Verweis darauf, dass noch eine Entscheidung des IOC abzuwarten sei. Und es wiederholte seine ablehnende Haltung gegenüber der FIE-Entscheidung: "Solange Putin seinen Angriffskrieg in unveränderter Brutalität gegen die ukrainische Zivilbevölkerung fortsetzt, ist es der völlig falsche Weg, Russland und Belarus jetzt die Tür zu Olympischen Spielen und anderen internationalen Sportgroßveranstaltungen zu öffnen."
Fragezeichen hinter Europaspielen in Krakau
Wichtig für die Olympia-Qualifikation sind die Europaspiele 2023, die am 21. Juni in Krakau beginnen werden. Polen, als Nachbarland der Ukraine besonders nah dran am Kriegsgeschehen, wird ziemlich sicher keine russischen Fechter willkommen heißen. Die wahrscheinlichste Lösung auch mit Blick auf andere Sportarten bei den Europaspielen ist, dass Athleten aus Russland und Belarus ausweichen auf die Asienmeisterschaften.
Russischer Einfluss im Fechtsport
Das IOC sucht aktuell nach Wegen, Athleten beider Nationen die Rückkehr zu Wettbewerben zu ermöglichen. Sie sollen die Chance erhalten, sich für die Sommerspiele 2024 in Paris zu qualifizieren. Befürworter dieser Strategie gibt es vor allem in Asien und Afrika, Gegner in Europa und Nordamerika.
Der internationale Fechtverband FIE ist eng mit Russland verstrickt und abhängig von Millionenzahlungen des russischen Oligarchen Alischer Usmanow. Der Multimilliardär war seit 2009 Präsident der FEI, seit dem Angriffskrieg lässt er sein Amt ruhen. Auch IOC-Präsident Thomas Bach ist ehemaliger Fechter, gewann 1976 in Montreal olympisches Mannschafts-Gold.