Fans bei Darts-WM Pikachu: "Wer das Spiel stört, gehört nicht in die Halle"
Der einstmals für seine fairen Fans bekannte Dartsport hat seine Unschuld längst verloren. Pfeifen, Ausbuhen, nationale Gesänge – das alles gehört mittlerweile zur Tagesordnung. Maßgeblich mit dazu beigetragen haben seit Jahren auch Massen an deutschen Fans, die im WM-Tempel "Ally Pally" nicht immer nur angenehm auffallen.
Alle Jahre wieder: Deutschland bekommt saisonales Darts-Fieber. Die Symptome: nicht immer schön. So sind zuletzt ausgerechnet zwei Spiele mit deutscher Beteiligung im kollektiven Darts-Gedächtnis hängengeblieben: das Kopfhörer-Spiel von Gabriel Clemens gegen Gerwyn Price bei der WM 2023. Und das Spiel von Ricardo Pietreczko, genannt "Pikachu", gegen den späteren Weltmeister Luke Humphries bei der WM 2024.
Deutschland, ich höre nichts
In Pietreczkos Drittrunden-Match am 28. Dezember 2023 lag der zu diesem Zeitpunkt international noch völlig unbekannte Berliner plötzlich mit 3:1 Sätzen vorne, brauchte nur noch einen weiteren Satz zur Sensation. Deutsche Fans störten dabei Humphries immer wieder gezielt durch Pfiffe und Zwischenrufe während seiner Würfe, sodass der englische Topfavorit immer gereizter wurde. Als er das Match am Ende doch noch zum 4:3-Sieg gedreht hatte, ließ der sonst so besonnen und sanft wirkende Humphries richtig Dampf ab. Er plusterte sich regelrecht auf vor dem deutschen Störer-Block, ballte die Fäuste und hielt sich die Hände hinter die Ohren: "Warum hör ich nichts mehr?!"
Luke Humphries ist beim Darten die Ruhe selbst - aber er kann auch anders...
Angesprochen auf diese unvergesslichen Szenen merkt man Pietreczko an, dass ihm das auch mit einem Jahr Abstand immer noch unangenehm ist. "Dieses Gepfeife und so etwas - das mag keiner", so Pietreczko gegenüber der Sportschau, "man sagt ja immer, man muss Profi genug sein, um das alles auszublenden. Das Buhen und die Hintergrundgeräusche, die hörst du irgendwann auch nicht mehr. Aber wenn dann so ein schriller Pfeifton kommt, dann wirst du völlig aus der Konzentration gebracht."
Rauswurf aus der Halle
Pietreczko versuchte damals schon während des Matches, die groben Unsportlichkeiten seiner Landsleute zu unterbinden, machte beruhigende Gesten, schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Letztlich auf Kosten der Konzentration und des eigenen Fokus'.
Seine heutige Haltung dazu ist glasklar: "Es ist natürlich schwierig, aus diesen Menschenmengen herauszufiltern, wer das überhaupt ist. Aber ich sage: Wer das Spiel stört, sollte nicht weiter Teil des Events sein." Rauswurf aus der Halle durch die Ordnungskräfte im "Ally Pally" - genau das will die veranstaltende PDC in diesem Jahr auch noch konsequenter durchsetzen.
Price mit Schallschutz-Kopfhörern
Gerwyn Price hätte sich so etwas schon öfter gewünscht. Der Waliser hat ein sehr zwiespältiges Verhältnis zur Partygesellschaft auf den Plätzen, egal ob Deutsche oder Engländer. Price ist regelmäßig der Buhmann und schafft es nur selten, sich das nicht anmerken zu lassen.
Unvergessen sein legendäres Kopfhörer-Spiel gegen Gabriel Clemens. Price fühlte sich dabei vom Publikum so in die Enge getrieben, dass er sogar davon sprach, in Zukunft nicht mehr bei der WM antreten zu wollen. Er bezeichnete die Fans wörtlich als "eine einzige Katastrophe".
Price wurde an diesem Neujahrstag 2023 von den Zuschauern dermaßen durch den Wolf gedreht, dass er sich nicht anders zu behelfen wusste, als bei 1:3-Satzrückstand aus der Spielpause mit Kopfhörern auf die Bühne zurückzukehren. Das wirkte auf viele lächerlich und hilflos, aber es entsprach den Regeln, und Price rechtfertigte sich später: "Ich musste alles versuchen, was mir noch den Sieg hätte bringen können."
Clemens hört lieber weg
Das gelang ihm aber nicht mehr. Clemens zog mit einem sensationellen 5:1-Triumph in Halbfinale ein und sagt jetzt zur Sportschau: "Ich habe danach nie wieder mit Gerwyn über dieses Match gesprochen, ich glaube, er hat da auch keinen Bedarf."
Das Fan-Thema versucht er weitgehend auszublenden, er ist im Gegensatz zu Pietreczko auch nicht der Typ, der dann auf der Bühne Partei für seinen Kontrahenten ergreift. Clemens erinnert sich: "Bei diesem Spiel war die Halle schon ziemlich deutsch, aber die Gesänge bekomme ich gar nicht so mit. Man merkt natürlich, dass es laut wird, aber was genau da gesungen wird, da höre ich gar nicht so richtig hin."
So zu tun, als wäre nichts, ist das unfair? Nein. Clemens tut einfach nur alles, um sich nicht ablenken zu lassen. Er sagt: "Ich versuche, all das komplett nicht an mich ranzulassen, ich will einfach nur konsequent mein Spiel spielen. Ich kann es im Endeffekt eh nicht beeinflussen." Was ihm aber wichtig ist: "Ich würde nie versuchen, das Publikum aufzuheizen, wie es manche Spieler auch schon gemacht haben. Ich lasse die da unten einfach machen, und ich mach mein Ding."
Van Gerwen hat auch Lob übrig
Ein Spieler, den die Deutschen auf der Bühne überwiegend feiern, auch wenn er gegen Deutsche antritt, ist der dreimalige Weltmeister Michael van Gerwen. Der Niederländer hat schon in vielen Statements betont, wie wichtig ihm Respekt ist. Zuletzt sagte er nach einem Turnier in Leverkusen: ''Die Leute sind wirklich höflich und respektvoll. Ich denke, das braucht der Dartsport auch. Es gibt zu viele Probleme auf der Welt, also lasst uns alle Spaß haben.''