
Ski Alpin Neureuthers DSV-Saisonbilanz - Zwei Großtalente und Vorbild Norwegen
Sportschau-Experte Felix Neureuther blickt im Wintersport-Podcast auf die DSV-Saison und spricht über die Talente Felix Rösle und Benno Brandis, den Durchbruch von Emma Aicher sowie Vorbilder, von denen Deutschland lernen kann.
Sportschau: Die DSV-Saison hatte einige Höhen und Tiefen. Das Speed-Team der Männer hatte große Schwierigkeiten, aber es gibt einen neuen Hoffnungsträger, Felix Rösle, der vor kurzem Junioren-Weltmeister geworden ist. Wo siehst du ihn in den kommenden Jahren?
Felix Neureuther: Erstmal muss man sagen, dass wir zwei Junioren-Weltmeister im Speed-Bereich haben. Felix Rösle in der Abfahrt und Benno Brandis im Super-G. Es ist toll, dass wir wieder zwei Junioren-Weltmeister haben. Das gibt Hoffnung für die Zukunft, aber man muss den Jungs einfach auch noch Zeit geben, es ist jetzt noch nicht so, dass die nächstes Jahr schon voll attackieren werden.
Was ich bei Benno zum Beispiel gesehen habe beim Super-G-Finale: Der Bursche bringt schon sehr viel Potenzial mit. Ich glaube, er ist in allen vier Disziplinen stark. Seine stärkste Disziplin ist von den Punkten her eigentlich der Slalom. Aber er kann Riesenslalom fahren, Super-G und Abfahrt. Sowas hatten wir schon lange nicht mehr in Deutschland, dass einer über vier Disziplinen hinweg einfach gut ist. Ihn muss man gezielt fördern und sehr schnell nach oben bringen, damit er mit Besseren trainieren kann. Er hat sehr, sehr viel Potenzial.
Felix ist eher Gefühls-Skifahrer, und das brauchst du in der Abfahrt dringend. Er bringt auch viel Potenzial mit. Ich bin wirklich gespannt: So in zwei, drei oder vier Jahren, wenn sie sich richtig entwickeln - dann haben wir zwei richtig heiße Eisen im Feuer.
Neureuther über Aicher: "Freue mich unfassbar für sie"
Sportschau: Benno Brandis kann vier Disziplinen fahren, bei den Frauen ist es Emma Aicher, die auch alle vier fährt. Es gab immer wieder Diskussionen: Ist das zu viel, ist das zu früh? Und dann hat sie mit ihrem ersten Abfahrtssieg in Kvittfjell für eine Überraschung gesorgt. Hättest du vor der Saison erwartet, dass sie so explodert?
Felix Neureuther: Ich habe vor der Saison mit Andreas Puelacher, Cheftrainer der Frauen, gesprochen. Ich hatte sie in der Vorbereitung gesehen, und habe dann zu Andi gesagt: Halleluja, bei der ein oder anderen Abfahrt wird es schwer sein, sie zu schlagen. Und dann hat Andi gesagt: Felix, hundertprozentig.
Die Frau bringt Dinge mit, sie ist so pfeilschnell, dass sie jetzt schon Weltcup-Rennen gewinnt. Das konnte man, glaube ich, nicht so sehen, dass sie sich so rasant entwickelt im Speed-Bereich. Mich freut das unfassbar für sie, weil sie, wie schon angesprochen, alle Disziplinen fährt. Das Programm ist extrem. Sie ist eigentlich die Einzige im kompletten Weltcup, die dieses Programm fährt.
Sie liebt das Skifahren. Sie liebt das. Die Freude, die sieht man ihr beim Skifahren an, egal ob es die kurzen oder die langen Schwünge sind. Sie ist natürlich eine, die uns in Zukunft noch viel Freude bereiten wird.
Sportschau: Würdest du es auf ihr Alter zurückführen, dass sie eine Abfahrt gewinnen kann und am nächsten Tag ausscheiden kann?
Felix Neureuther: Ja, das ist ganz normal. Das darf man nicht überbewerten, dass sie am Tag danach ausscheidet. Sie ist 21 Jahre alt. Da muss man auch Zeit geben. Dass sie überhaupt Rennen gewinnen kann und aufs Podium fährt, ist schon toll. Sie steht erst am Anfang und wird sich noch entwickeln, noch deutlich konstanter werden. Mir ist es lieber, jemand fährt schnell und mal aufs Podium, scheidet aber auch mal aus als wenn jemand permanent 15. oder 20. wird. Lieber so wie die Emma als andersherum.
Sportschau: In den letzten zwei Jahren hat sie auch ordentlich Druck bekommen, weil die Leistung so ein bisschen ausgeblieben sind. War das jetzt auch ein Brustlöser für sie?
Felix Neureuther: Die ist noch so jung. Wie gesagt: Zeit geben. Wenn einer mit Druck umgehen kann, dann sie. Man hat nicht ansatzweise das Gefühl, dass sie das beeinflusst oder beeinträchtigt. Sie zieht ihr Ding durch. Das ist ja auch das Schöne bei ihr, das prallt alles ab. Sie kann mit Drucksituationen extrem gut umgehen.
Straßers Zeichen mit Blick auf die Olympischen Spiele
Sportschau: Linus Straßer hatte eine schwierige Saison, hat dann aber im Slalom WM-Bronze geholt. Was hat diese Medaille für ihn bedeutet?
Felix Neureuther: So eine Medaille zu gewinnen, ist natürlich dann schon mal sehr wichtig und gut. Vor allem: Der Linus hat bis dahin noch keine Einzelmedaille gewonnen bei Großereignissen, dann wird im Vorfeld natürlich viel darüber gesprochen. Den Druck, den baust du dir dann auch selbst auf. Dass du sagst: Okay, es wird jetzt mal Zeit, dass ich eine gewinne.
Das weiß ich auch selber aus eigener Erfahrung. Das ist nicht einfach. Dass du das dann geschafft hast, das ist dann schon mal eine sehr große Genugtuung.

2017 in St. Moritz: Felix Neureuther holt WM-Bronze im Slalom
Es war für den deutschen Skiverband extrem wichtig, dass wir diese Medaille gewonnen haben. Und für Linus auch, im Hinblick auf die Olympischen Spiele (2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo, Anm. d. Red.). Es war ein Zeichen für ihn, dass er bei Großereignissen eine Einzelmedaille gewinnen kann.
Sportschau: Wie erklärst du dir, dass gerade im alpinen Skisport Nationen wie Norwegen oder auch die Schweizer Topfahrer am laufenden Band hervorbringen können? Beim DSV hat man das Gefühl, dass es einen Topfahrer und eine Topfahrerin gibt - und das war es dann erstmal.
Felix Neureuther: Das liegt natürlich schon auch an den logistischen Voraussetzungen. Die Schweizer haben die Berge vor der Tür. In Norwegen können sie gefühlt das ganze Jahr über Skifahren.
Die Schweizer haben in den letzten 15 oder 20 Jahren aber auch eine Struktur aufgebaut, die extrem gut ist. Da kann man nur den Hut vor ziehen, sie sind dermaßen gut aufgestellt. Und die Norweger, da muss man sich mal vorstellen: Sie haben nur fünf Millionen Einwohner. Und die gewinnen nicht nur im Skifahren. Sie gewinnen im Biathlon, im Langlauf, gewinnen aber auch in der Leichtathletik, im Golf, haben in Erling Haaland einen der besten Fußballer dieses Planeten, im Tennis Casper Ruud. Was dieses kleine Land in einer Breite an Leistungssportlern herausbringt, ist unfassbar.
Es herrscht dort insgesamt eine Gesundheitskultur, auch in der Art, wie die Kinder dort aufwachsen - in den Kindergärten, in den Schulen. Die spezialisieren sich auch nicht so früh für eine Sportart, sondern sind breit aufgestellt. Die entscheiden sich dann mit 13, 14 Jahren, können sich aus fünf Sportarten eine aussuchen. Wenn sie es dann leistungsmäßig betreiben wollen, werden sie gut und richtig gefördert.
Bei uns in Deutschland spezialisiert man sich schon gefühlt mit acht, neun Jahren auf eine Sportart, weil man sehr früh schon sehr gut sein will. Diese Denke, dass die Kinder später nur gut sein können, wenn sie auch früh schon gut sind - das stimmt in der Form so nicht. Deswegen sage ich immer, bitte, liebe Eltern oder Trainer, lasst die Kinder doch einfach mehrere Sportarten machen.
Das gesamte Interview mit Felix Neureuther mit Themen wie seiner Tätigkeit als TV-Experte, den Comebacks von Marcel Hirscher und Lindsey Vonn sowie kuriosen Geschichte aus seiner Weltcup-Zeit gibt es in der kompletten Podcast-Folge am Donnerstag ab 5 Uhr.