Ski Alpin Airbag im Skirennsport: Wird das Luftkissen zur Luftnummer?
Bei den Speedfahrern ist der Airbag jetzt verpflichtend, doch es gibt eine Ausnahmeregelung "die faktisch heißt, wir überlassen es doch jedem selbst".
Verpflichtung zum Tragen eines Airbags auf der einen, Ausnahmeregelung auf der anderen Seite. Vor dem Start der ersten Speedrennen am Wochenende auf der berühmt-berüchtigten Raubvogelpiste von Beaver Creek kommt wieder Bewegung in die Sicherheitsdiskussion im Skirennsport. Um die Anzahl schwerer Verletzungen zu verringern, hat der Weltverband FIS eine Airbag-Pflicht für die schnellsten Disziplinen Abfahrt und Super-G eingeführt. Es ist eine Art Korsett mit integrierter Kaltglasflasche, das aufgeht, wenn sieben integrierte Sensoren kritische Werte messen.
Schlupfloch hilft, Airbag-Pflicht zu umgehen
Die Sicherheit der Athletinnen und Athleten, so Generalsekretär Michel Vion, sei "nicht verhandelbar". Doch es gibt ein Schlupfloch, das den Skirennläufern die Möglichkeit eröffnet, per Antrag auf das Luftkissen zu verzichten. Denn manch einer sorgt sich darum, dass der Airbag nicht bei einem Sturz, sondern nach einem Sprung und unruhigen Bedingungen auslöst. Oder gar nicht bequem zu tragen ist. Angeblich sollen schon über 30 Gesuche bewilligt worden sein.
Maier für Wahlfreiheit
Auch für Wolfgang Maier ist die Verpflichtung nicht der richtige Weg, zumal die FIS einen Exklusivvertrag mit einem italienischen Hersteller abgeschlossen hat. Quasi ein Monopol für die Sicherheit. "Wenn das Produkt gut ist, dann überzeugt es ja selber", sagte der DSV-Alpindirektor vor der Saison gegenüber BR24Sport, und "dann muss ich es nicht vorschreiben".
Es gäbe ja auch keine Regel von der FIS, dass man einen Rückenprotektor tragen müsse. "Und dann sagt man, man muss einen Airbag tragen, wobei es beim Airbag noch gewisse Zweifel gibt." Deshalb "soll das der Athlet selber entscheiden. Der weiß, welches Risiko er eingeht."
Jocher will Airbag tragen
Selber entscheiden will es auch DSV-Speedfahrer Simon Jocher: "Es ist jetzt ein besseres Produkt als vor ein paar Jahren. Ich bin jetzt wieder auf dem Stand, dass ich den Airbag fahren werde, egal ob es Pflicht ist oder nicht", sagte der 28-Jährige Ende Oktober. "Ich fühl mich wohl dabei beim Skifahren." Aber auch er findet, "Pflicht ist immer ein hartes Wort". Speedfahrerin Kira Weidle nimmt es gelassen: "Pflicht ist Pflicht. ... Es wird damit gefahren" und es sei ja für alle gleich. Somit gäbe es auch keine Ausreden wegen der Aerodynamik. Die neueste Version störe sie auch beim tragen nicht zu sehr. Für die 28-Jährige ist klar: "Es wird den Sport definitiv sicherer machen."
Es wird eigentlich jedem selbst überlassen
Bei der aktuellen Entwicklung reibt sich auch der frühere deutsche Männerchefcoach Charly Waibel verwundert die Augen. Im Interview mit BR24Sport zeigt er sich überrascht von der Ausnahmeregelung, "die faktisch heißt, wir überlassen es doch jedem selbst".
Natürliche Schwachstelle ist das Knie
Der "Bundestrainer Wissenschaft" beim DSV war über Jahre Teil einer FIS-Arbeitsgruppe, die sich intensiv mit dem Airbag befasste. Sie riet von einer Pflicht ab. "Das Sicherheitsplus, das durch den Airbag entsteht, ist sehr überschaubar. Das große Problem des Skirennsports sind die schweren Knieverletzungen und dagegen hilft der Airbag erst mal gar nicht", so Waibel.
Die Wirbelsäule sei "durch den Rückenprotektor, den alle Athleten tragen, ganz ohne Verpflichtung ausreichend gut geschützt." Und es seien auch so gut wie keine großen Wirbelsäulen-Verletzungen zu sehen. "Der Rückenprotektor schützt das, was er schützen soll. Der Airbag schützt in erster Linie den Bereich Schulter, Oberkörper, das ist aber kein Verletzungshotspot." Die Verpflichtung könne man natürlich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. "Die Entscheidung lag beim Weltverband". Dort fehle es derzeit allerdings an klaren Botschaften und da passe der Airbag leider ins Bild.
Dass die Airbag-Pflicht nun eingeführt wurde, zugleich aber Ausnahmen zugelassen werden, nannte Waibel kopfschüttelnd "irreführend". Denn "jetzt kennt sich niemand mehr so richtig aus", so Waibel. "Im Endeffekt kommt es einer freiwilligen Nutzung gleich."
Viele Begründungen, um keinen Airbag zu tragen
Bewilligt werden die Anträge laut FIS-Mann Vion übrigens, "falls ein Athlet oder eine Athletin einen gerechtfertigten medizinischen, technischen oder physiologischen Grund angibt". Das kann von Unbehagen wegen des vermeintlich unangenehmen Tragekomforts bis hin zu Unlust alles sein. Wie oder ob überprüft wird, dass die Airbags getragen werden, ist offen.
Quelle: mla/BR/Sid