Hängepartie des Sportausschuss-Vorsitzenden Ein Jahr nach Ullrichs Ankündigung - Kein Gutachten in Sicht
Frank Ullrich, der Vorsitzende im Sportausschuss des Bundestages, hat vor einem Jahr zugesagt, ein Gutachten über seine mögliche Dopingvergangenheit anfertigen zu lassen. Doch er spielt offenbar auf Zeit - und gerät zunehmend in die Kritik.
Wenn Evelyn Zupke über Frank Ullrich spricht, kann die SED-Opferbeauftragte der Bundesregierung ihren Unmut nur schwer zurückhalten. Ein Jahr ist es bereits her, da hatte die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin dem Sportausschuss-Vorsitzenden Ullrich die Zusage entlockt, ein Gutachten über dessen mögliche Dopingvergangenheit erstellen zu lassen. Doch der SPD-Politiker, für die DDR 1980 Biathlon-Olympiasieger, mauert. Ein Gutachten ist weit und breit nicht in Sicht.
"Natürlich habe ich mich schlau gemacht und erfahren, dass dieses Gutachten nie in Auftrag gegeben worden ist. Ich finde es höchst respektlos gegenüber seinen Abgeordnetenkollegen und mehr als beschämend gegenüber den Opfern, dass er dies bis heute nicht getan hat", sagte Zupke im Interview mit der ARD-Dopingredaktion. Auf Anfrage wollte sich Ullrich zum konkreten Stand seines Aufarbeitungsprozesses nicht äußern.
"Kein Olympiasieger-Bonus"
Zupke betont, dass Ullrich, "einer der höchsten Amtsträger im deutschen Sport" sei, die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, ob es eine Dopingverstrickung Ullrichs gibt. "Ich denke, in der Aufarbeitung unserer Geschichte darf es keinen Olympiasieger-Bonus geben", sagt sie.
Ullrich bestreitet bis heute, in das Dopingsystem der DDR verstrickt gewesen sein, obwohl ihn Weggefährten nach der Wiedervereinigung belastet hatten. Jürgen Wirth, Jens Steinigen, Jürgen Grundler oder Andreas Heß - gleich mehrere Biathleten hatten in den vergangenen Jahren den Beteuerungen Ullrichs, als Trainer oder Sportler nie etwas mit Doping zu tun gehabt zu haben, öffentlich widersprochen.
SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke
Unbewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus
Doch erst nach der Berufung an die Spitze des Sportausschusses wurden die blinden Flecken in Ullrichs Vita wieder verstärkt thematisiert. Denn für den Sportausschuss-Vorsitzenden ist qua Amt auch ein Posten im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) vorgesehen. Ein mutmaßlich belasteter Funktionär als Kontrolleur der Doping-Jäger - das war dann auch für die Parlamentarier zu viel des Guten.
Ein Gutachten des Deutschen Skiverbandes aus dem Jahr 2009 spielte zu Ullrichs Entlastung da schon keine Rolle mehr, weil es ohnehin kaum jemand ernst genommen hatte. Das alles andere als unabhängige Gremium unter dem Vorsitz des heutigen DSV-Präsidenten und damaligen "Vize" Franz Steinle sicherte dem erfolgreichen Bundestrainer die Weiterbeschäftigung. Es bescheinigte ihm für die Zeit seiner Tätigkeit als Trainer in der DDR hinsichtlich eines möglichen Umgangs mit Dopingmitteln einen "unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus".
Vor einem Jahr behielt Ullrich den Vorsitz im Sportausschuss, er musste aber wegen des gestiegenen öffentlichen Drucks aktiv werden: Neben der Zusage zur Erstellung eines Gutachtens und dem Verzicht auf das NADA-Amt willigte er in ein Treffen mit Dopingopfern ein. Nach Darstellung Zupkes wurde es zu einer Begegnung in eher frostiger Atmosphäre. "Da ging er in die Richtung: ‘Doping gibt es überall auf der Welt‘. Er hat einfach mit seiner Geschichte weitergemacht, dass er wirklich nichts damit zu tun hatte", sagt Zupke. Michael Lehner, der Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfe-Vereins, der dem Treffen beiwohnte, bestätigte diese Darstellung.
"Das verstand er nicht"
Zudem habe Ullrich laut Zupke die Frage aufgeworfen, wer das private Gutachten über seine Vergangenheit überhaupt bezahlen solle. "Ich habe ihm gesagt, ich gehe davon aus, dass er das selbst übernimmt, schließlich geht es um seine Geschichte. Das verstand er nicht", sagte Zupke.
Wie weit Ullrich auf dem langen Weg zu einem Gutachten momentan vorangeschritten ist, weiß offenbar nur Ullrich selbst. Anfang April sagte er dem Deutschlandfunk, er suche noch eine "geeignete Person, die ein Gutachten unter der Einbeziehung der Aktenlage erstellen kann". Zupke hatte Ullrich vor einem Jahr eine renommierte Gutachterin vorgeschlagen und Leitfragen vorformuliert - vergeblich. Und sie hatte selbst in Stasi-Akten zum DDR-Doping-Staatsplan 14.25 und der Beteiligung der Biathlon-Sparte recherchiert. Zupke kam zu dem Ergebnis: Dass Ullrich als Trainer "kein Wissen um das Doping, um die Verfahren" gehabt habe, halte sie für "sehr schwer vorstellbar". Ullrich hat derlei Vorwürfe stets abgestritten.
"Alles in Arbeit"
Auf eine aktuelle Interview-Anfrage der ARD-Dopingredaktion reagierte Ullrich nicht. Schriftlich teilte er nur so viel mit: "Es befindet sich alles in Arbeit."
Ullrichs Kolleginnen und Kollegen im Sportausschuss üben derweil erstaunlich wenig Druck auf ihren Vorsitzenden aus. Es wirkt, als sei ihnen peinlich, dass sie bei Ullrichs Wahl offenbar weder Vergangenheit (Doping-Anschuldigungen) noch Gegenwart (NADA-Posten) auf dem Schirm hatten. Die Unebenheiten in Ullrichs Lebenslauf fielen auch für die SPD-Fraktionsführung nicht ins Gewicht. Auch weil sie Ullrich für den Sieg bei der Bundestagswahl in dessen Wahlkreis in Südthüringen gegen CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen überaus dankbar war, durfte der erfolgreichen Quereinsteiger im Bundestag direkt den Sportausschuss-Vorsitz übernehmen.
Hahn: Kein Gutachten nötig
Bei einer ARD-Befragung der Sportausschuss-Obleute äußerte sich Ullrichs Stellvertreter Philip Krämer (Bündnis 90/Die Grünen) noch am kritischsten. Er bezeichnete es als "absolut unverständlich, dass wir nach einem Jahr noch immer kein Gutachten haben". Auch wenn er nicht direkt einen Rücktritt forderte, brachte er ihn zumindest für den Fall ins Spiel, dass die Expertise Ullrich nicht klar entlasten wird: "Dann müssten wir natürlich über die Person diskutieren, weil wir dann dort eben eine direkte Verbindung zwischen dem belasteten DDR-Sportsystem und dem Sportausschussvorsitz des Deutschen Bundestages haben. Und das ist ein großes Problem."
Der AfD-Vertreter reagierte auf die ARD-Anfrage nicht. CDU/CSU und FDP forderten eine umgehende Anfertigung des Gutachtens, aber selbst das sehen nicht alle im Sportausschuss so. Linken-Obmann André Hahn würde am liebsten den Mantel des Schweigens über Ullrichs DDR-Vergangenheit ausbreiten: "Ich habe von Frank Ullrich kein Gutachten gefordert und halte es auch nicht für nötig, schon gar nicht mehr als 30 Jahre nach der deutschen Einheit."