Die olympischen Ringe am Eiffelturm in Paris

Künstliche Intelligenz bei den Spielen in Paris Zwischen technischem Wettlauf und olympischer Romantik

Stand: 27.06.2024 12:15 Uhr

Künstliche Intelligenz (KI) hat bereits ihren festen Platz im Leistungssport. Das erkennt nun auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) und meldet vor den Spielen in Paris seine Führungsrolle bei der Weiterentwicklung von KI im Sport an.

Zum Gespräch mit der ARD kommt Lindsey Vonn (39) auf Krücken. Die ehemals beste alpine Skiläuferin der Welt hat seit dem Frühjahr ein künstliches Kniegelenk – der Preis für jahrelangen Leistungssport. Über ihre Verletzung redet die US-Amerikanerin auf Deutsch. Als das Gespräch aber auf das eigentliche Thema kommt, wechselt sie in ihre Muttersprache Englisch: Künstliche Intelligenz im Leistungssport, da möchte Vonn keine Fehler machen.

Vonn ist Botschafterin des Internationalen Olympischen Komitees und beauftragt, über die "Olympische KI-Agenda" zu reden, die das IOC vor den Spielen in Paris veröffentlicht hat. Und da Lindsey Vonn bereits 2019 zurückgetreten ist, kann sie das nur sehr theoretisch tun: "Ich wünschte, ich hätte Künstliche Intelligenz in meiner sportlichen Karriere nutzen können", sagt Vonn.

Die Weichen sind längst gestellt

"Damals habe ich alle meine Daten selbst gesammelt. Ich hatte keinen Computer, der mir geholfen hat, Entscheidungen über meine Ausrüstung, meine Linie oder meine Technik zu treffen. Ich war auf meine Erfahrung und die meines Teams angewiesen." Viermal gewann Vonn den Gesamtweltcup, wurde Olympiasiegerin und Weltmeisterin und die erfolgreichste Skifahrerin ohne KI.

Dass das IOC ausgerechnet Vonn als Botschafterin für seine KI-Agenda engagiert hat, irritiert genauso wie die Ankündigung seines Präsidenten Thomas Bach, "die Weichen für die KI-Zukunft im Sport" stellen zu wollen. Denn diese Zukunft hat längst begonnen und die Weichen sind bereits gestellt. Bestes Beispiel: die aktuell laufende Fußball-Europameisterschaft. Pro Spiel werden mehr als drei Millionen Datenpunkte gesammelt und mit künstlicher Intelligenz ausgewertet. Sensoren sind an den Körpern vieler Spieler platziert und in den Bällen. Zentimetergenau kann berechnet werden, wo sich einzelne Körperteile auf dem Platz befinden. Trainer nutzen Live-Analysen, um während des Spiels einzugreifen.

Fußball als Vorreiter

Die KI-Revolution hat aber nicht erst bei der EM begonnen. Die meisten Top-Klubs nutzen KI-Algorithmen schon seit Jahren. Zum Beispiel beim Scouting, um die Leistungen ihrer Spieler zu überwachen und um ihre Taktiken zu optimieren. Der Fußball, die Sportart mit dem meisten Geld, treibt mit hohen Investitionen die Entwicklung von KI im Sport unaufhaltbar voran.

Andere Sportarten ziehen nach, wenn auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Denn KI gibt es nicht umsonst. Software und entsprechende Nutzungslizenzen müssen teuer erworben werden. Und damit ist es noch nicht getan, wie Daniel Memmert erklärt. Memmert leitet das Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln: "Um Künstliche Intelligenz im Sport effektiv zu nutzen, ist schon sehr viel Expertise und Personalaufwand notwendig. Da reicht nicht ein Knopfdruck, und man hat irgendwie die Daten. Wenn man nicht in der Lage ist, dafür eine gewisse finanzielle Unterstützung bereitzustellen, dann wird es schwierig mitzuhalten."

Reiche Nationen profitieren

Denn KI kann zwar riesige Datenmengen erfassen und Muster errechnen, die das menschliche Auge nicht erkennen kann. Diese helfen, Stärken und Schwächen eines Athleten oder einer Mannschaft besser zu verstehen. Daraus Handlungsempfehlungen für den Trainings- und Wettkampfbetrieb zu generieren, bleibt aber eine menschliche Aufgabe. Professionelle Datenanalysten an der Seite von Trainern seien dafür unverzichtbar, so Memmert.

Mit Blick auf die Olympischen Spiele glaubt er, dass die großen Sport-Nationen stärker vom technologischen Fortschritt profitieren, weil sie mehr in KI-gestützte Programme für ihre Sportler investieren können. Künstliche Intelligenz habe einen neuen Wettlauf im Weltsport ausgelöst: "Es gibt einen Wettlauf in zweierlei Hinsicht. Einen Wettlauf hinsichtlich der Daten: Wer kann die genauesten, die besten Daten und die meisten Daten generieren? Welche Verbände können das? Welche Sportarten können das? Welche Länder können das? Und auf der anderen Seite gibt es einen Wettlauf um die besten Köpfe. Wer kann diese Daten am besten veredeln?"

IOC setzt auf Solidarität

Solche wirtschaftlichen Überlegungen spielen in der KI-Agenda des IOC eher eine untergeordnete Rolle. Auch dass die Schere zwischen reichen und armen Sportnationen durch KI noch weiter auseinander geht, glaubt man beim IOC nicht. Im Gegenteil: Der Verband setzt auf die olympische Solidarität und versteht sich als Vermittler, wie Christophe Dubi, der IOC-Geschäftsführer Olympische Spiele erklärt: "Wir können die Kraft von KI einer größeren Anzahl von Sportlern zugänglich machen und jedem Athleten neue Chancen ermöglichen."

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kündigt das IOC an, den Rahmen einer Regulierung für KI im Sport schaffen zu wollen. Gleiche Technik, gleiche Chancen, Künstliche Intelligenz weltweit für alle Sportler? Eine solche Regulierung wäre wohl schwer umzusetzen und noch schwerer zu kontrollieren.

Auch Lindsey Vonn scheint das zu wissen und lenkt das Gespräch zur Olympischen KI-Agenda auf die nicht-sportlichen Bereiche der Spiele, in denen KI nützlich werden könnte. Etwa bei Angriffen auf Athleten in den Sozialen Medien, denen sie als Athletin selbst ausgesetzt gewesen sei. Oder in Fragen zu Sicherheit und Organisation der Spiele.

Sportlich wird es noch einmal, als das Gespräch auf ihre Knie-OP zurückkommt. In der Reha profitiere sie nun als Sport-Rentnerin von Künstlicher Intelligenz. Da Kraft und Koordination mittlerweile genauer und bei jeder Tätigkeit gemessen werden können als zu ihrer aktiven Zeit, werde sie gezielter wieder an Belastungen herangeführt. Rückschläge könnte sie dadurch vermeiden, so Vonn. "Hätte ich diese Möglichkeiten bei früheren Verletzungen gehabt, wäre ich sicher noch einige Jahre länger Rennen gefahren."