Umgang mit Machtmissbrauch Deutscher Tennis Bund soll nachbessern
Der Deutsche Tennis Bund soll Strukturen und Regelwerke ändern, um sexualisierte Übergriffe möglichst zu verhindern. Das empfiehlt eine vom DTB beauftragte Anwaltskanzlei. Auslöser waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen den ehemaligen DTB-Vizepräsidenten Dirk Hordorff.
Im Rückblick erscheinen die Dinge oft klarer. Auch der Weg, den man hätte beschreiten sollen oder können. Der Deutsche Tennis Bund (DTB) vermittelt jedoch den Eindruck: "Alles richtig gemacht" im "Fall Dirk Hordorff", der den Verband vor einigen Wochen bis ins Innerste erschüttert hat. Auf die Frage, ob er beim Umgang mit dieser Causa aus heutiger Perspektive anders handeln würde, antwortet DTB-Präsident Dietloff von Arnim selbstbewusst: "Im Wesentlichen: Nein."
Vorwurf des Machtmissbrauchs und sexualisierter Gewalt
Von außen betrachtet, erscheint vielen Beobachtern der Umgang mit dem Fall dagegen zumindest als unglücklich. Der ehemalige Tennisprofi Maximilian Abel und weitere Spieler hatten Dirk Hordorff, damals noch Vizepräsident des Verbandes, Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt vorgeworfen. An die Öffentlichkeit gelangten die Vorwürfe Ende März durch gemeinsame Recherchen von NDR, Sportschau und "Süddeutscher Zeitung".
14 Spieler erheben Vorwürfe
Seitdem haben sich weitere Tennisspieler gemeldet und ebenfalls Vorwürfe gegen Hordorff erhoben. Insgesamt sind es nun 14 Personen, darunter zwei aktuelle Profis. Sie haben gegenüber dem Rechercheteam zum Teil in eidesstattlichen Versicherungen Grenzverletzungen und Machtmissbrauch durch Dirk Hordorff bezeugt.
Nach der ersten Veröffentlichung der Vorwürfe gegen Hordorff vor zwei Monaten war dieser nach mehrfacher Aufforderung und öffentlichem Druck von seinem Amt zurückgetreten - laut eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen. Hordorff bestreitet alle Vorwürfe. Über seine Anwälte ließ er mitteilen, Maximilian Abel sei "nicht glaubhaft". Außerdem liefen Ermittlungen gegen Abel wegen Erpressung, was die Staatsanwaltschaft Gießen auf Anfrage bestätigt.
Brief an den DTB-Präsidenten
In der Tat hatte Maximilian Abel, der aktuell eine Haftstrafe wegen Betrugs verbüßt, im Februar 2022 in einem Brief an den DTB-Präsidenten eine finanzielle Wiedergutmachung gefordert. Abels Anwalt Thomas Galli erklärt, sein Mandant habe diese Forderung im Beisein von Anwälten des DTB wieder zurückgenommen.
Spätestens mit einem Brief an von Arnim beginnt auch für den DTB der "Fall Hordorff". Der DTB-Präsident trifft Abel im Gefängnis zu einem persönlichen Gespräch. Im Sommer 2022 entscheidet das Präsidium des Deutschen Tennis Bundes dann, die von Abel erhobenen Vorwürfe untersuchen zu lassen. Damit beauftragt wird die Hamburger Anwaltskanzlei FHM. Auch eine Psychologin spricht mit Maximilian Abel. Sie soll prüfen, ob dessen Vorwürfe gegen Hordorff glaubwürdig sind.
Acht Monate braucht die Kanzlei für die Untersuchung. Dafür werden acht Zeugen angehört. Darunter, neben Abel, auch der indische Tennisprofi Sriram Balaji, der NDR, Sportschau und "SZ" berichtete, er habe sich vor Hordorff ausziehen müssen, weil dieser seine Muskeln habe begutachten wollen. Auch diesen Vorwurf bestreitet Hordorff.
Hordorff bleibt während der Untersuchung im Amt
Die vom DTB beauftragte Anwaltskanzlei kommt in ihrem Abschlussbericht, den NDR, Sportschau und "SZ" einsehen konnten, zu dem Ergebnis, Balajis Aussagen entsprächen "höchstwahrscheinlich" der Wahrheit. Auch Abels Vorwurf, Hordorff habe ihn in einem Hamburger Hotel mit einem Gürtel auf das nackte Gesäß geschlagen, hält die Kanzlei in ihrem Bericht für "überwiegend wahrscheinlich". Hordorff bestreitet dagegen auch diesen Vorfall.
Während des gesamten Zeitraums der Untersuchung blieb Dirk Hordorff im Amt, als Vizepräsident zuständig für Jugend- und Leistungssport. Eine Suspendierung während der Ermittlungen sehe die Satzung nicht vor. "Wir müssen das in dem Fall so akzeptieren", so DTB-Präsident Dietloff von Arnim. So konnte Hordorff weiterhin den DTB auf Veranstaltungen repräsentieren.
Hordorff bekommt Einblick, Abel nicht
Der Deutsche Tennis Bund hält die Ergebnisse der Untersuchung unter Verschluss. Aus Datenschutzgründen, wie Präsident Dietloff von Arnim im Interview mit NDR, Sportschau und "SZ" erklärt. Der 86-seitige Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei ist Dirk Hordorff jedoch bekannt. Auf Anfrage schreiben die FHM-Juristen: "Der Beschuldigte ist über die Ergebnisse umfassend informiert, konnte Einblick nehmen und Stellung beziehen".
Das NDR-Ressort Investigation recherchiert zu Sexismus, MeToo und sexualisierter Gewalt im Sport. Sie erreichen die Redaktion unter investigation@ndr.de. Beim WDR recherchiert die Redaktion Sport inside zu diesen Themen. Die Redaktion erreichen Sie unter sportinside@wdr.de.
Maximilian Abel dagegen hat lediglich eine vierseitige Ergebnis-Zusammenfassung bekommen, bestätigt sein Anwalt. Selbst in dem über ihn erstellten Glaubhaftigkeitsgutachten fehlten ganze Passagen.
Compliance-Experte Olaf Methner kann "die unterschiedliche Handhabung des Umfangs der Akteneinsicht nicht ganz nachvollziehen". Der Jurist schließt daraus, "dass die Interessen des Beschuldigten hier höher gewichtet und weiter gefasst werden als die Interessen des Betroffenen".
"Eigentlich hätte auch Herr Abel eine ggf. teilweise geschwärzte Fassung des vollständigen Berichts erhalten müssen", schreibt Methner auf Anfrage. Maximilien Klein von der Interessenvertretung Athleten Deutschland, ebenfalls seit mehr als einem Jahr in den Fall involviert, befürchtet: "Der Beschuldigte könnte die Möglichkeit gehabt haben, Einfluss auf das laufende Verfahren auszuüben."
Die Kanzlei erklärt, man habe sich in diesem Fall am Strafrecht orientiert, da es kein Regelwerk für derartige Untersuchungen gebe. Das bestätigen auch Compliance-Experten. Sie weisen allerdings auf Empfehlungen der Aufarbeitungskommission der Bundesregierung hin, wie derartige Untersuchungen am besten durchzuführen seien.
DOSB-Leitlinien nicht berücksichtigt
Daran hatte sich der DTB allerdings genauso wenig orientiert, wie an den Leitlinien des Deutschen Olympischen Sportbundes zur Aufarbeitung von Fällen interpersonaler Gewalt im Sport. Diese Leitlinien hat der DOSB Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht. Dem Deutschen Tennis Bund habe man sie bereits vorab zur Verfügung gestellt, schreibt uns der DOSB auf Anfrage. Und weiter: "Es wurde u.a. drauf hingewiesen, dass es gegebenenfalls weitere Betroffene und Zeug*innen geben könnte, so dass eine unabhängige Untersuchung angezeigt sei."
Erst jetzt, nach der Untersuchung durch die beauftragte Kanzlei, hat der Deutsche Tennis Bund eine Hinweisgeberstelle für solche Fälle eingerichtet und auch eine Aufarbeitungskommission ins Leben gerufen. Darin: ein Jurist, der auch gleichzeitig die Hinweisgeberstelle betreut. Diese Doppelrolle halten Experten für problematisch. Betroffene sind dort - anders als von Experten empfohlen - nicht selbst repräsentiert. Ihre Perspektive werde laut DTB aber einfließen.