Schadenersatzklage gegen Schwimmverband DSV unter Druck: Fall Hempel eine "Frage der Haltung"
Jan Hempels Schadenersatzklage setzt den Deutschen Schwimm-Verband unter enormen Zugzwang. Der Fall bekommt mehr denn je auch eine moralische Dimension.
Kerstin Claus lässt bei der Einordnung des Falles "Hempel gegen den DSV" keine Zweifel aufkommen. "Das ist ein immens wichtiger Schritt", sagte die Unabhängige Missbrauchsbeauftrage im ARD-Interview.
Der ehemalige Wasserspringer Jan Hempel hatte angekündigt, gegen den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) wegen des jahrelangen sexuellen Missbrauchs durch seinen Trainer eine Schadenersatzklage in Millionenhöhe einzureichen. Nun nimmt die Diskussion über diesen Präzedenzfall und die neue Form der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Sport Fahrt auf. Der Dachverband gerät verstärkt unter Druck, während Hempel für seinen Schritt viel Zuspruch erhält.
"Wird Opfern nicht gerecht"
Es gehöre zum Prozess der Aufarbeitung, sagte Claus, Antworten auf zentrale Fragen zu finden: "Wer trägt heute Verantwortung und wer hat sie damals getragen?" Für Léa Krüger, Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland, hat die Klage "eine sehr große Signalwirkung, weil wir jetzt endlich auch über Wiedergutmachung reden". Die erste Reaktion des DSV auf Hempels Vorstoß kritisierte die Säbelfechterin scharf: "Das wird den Opfern nicht gerecht."
Der DSV schloss schon am Sonntag direkte Zahlungen an Betroffene mit Verweis auf Vereinsrecht und Gemeinnützigkeit grundsätzlich aus, kurz nachdem Hempels Anwalt Thomas Summerer in der Sportschau eine Klage wegen Organisationsverschuldens "in siebenstelliger Höhe" angekündigt hatte. Dies widerspreche dem satzungsgemäßen Zweck, hieß es in einer Pressemitteilung. Für Summerer eine Schutzbehauptung: "Wenn der DSV zu einer Zahlung verurteilt wird, wird er sich auf gar keinen Fall auf Gemeinnützigkeit berufen können."
Zentrum für "Safe Sport" dringend nötig
Ohne den Namen Hempel ein einziges Mal zu erwähnen, machte der DSV vage Hinweise auf die Möglichkeit der Einrichtung von Fonds oder Stiftungen für Betroffene. Krüger geht das nicht weit genug. Die Athletenvertreterin mahnte "konkrete Diskussionen" an. "Das zeigt auch wieder, wie dringend wir das Zentrum für 'Safe Sport' brauchen, das mit allen Kompetenzen ausgestattet ist und dafür sorgt, dass Opfern schneller Gerechtigkeit widerfährt", sagte Krüger. Die letzten Planungen für die bereits beschlossene Einrichtung einer solchen zentralen und unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene von Missbrauch im Sport sollen im Sommer abgeschlossen sein.
Die Klage Hempels hat für den DSV aber auch eine besondere moralische Komponente. Da die sexuellen Übergriffe durch Hempels Trainer Werner Langer bereits verjährt sind, könnte der DSV über die sogenannte Verjährungseinrede - also indem er auf die Verjährung besteht - eine zivilgerichtliche Aufarbeitung des Falles erschweren oder sogar verhindern.
"Am Ende ist das eine Frage der Haltung. Diese Frage wird der Deutsche Schwimm-Verband für sich beantworten müssen", sagt Kerstin Claus. Die Missbrauchsbeauftragte verweist auf Fälle in der katholischen Kirche. Beispielweise hat das Erzbistum Köln bei der Klage eines Missbrauchsopfers keine Verjährung geltend gemacht –auch mit Verweis auf mögliche Reputationsschäden.
DOSB bleibt maximal unverbindlich
Dass eine übergreifende Diskussion zu konkreten Entschädigungsleistungen für Betroffene von sexualisierter Gewalt vom Sport selbst mit aller Konsequenz vorangetrieben wird, erscheint unrealistisch – auch angesichts der Reaktion des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) auf die Klageankündigung Hempels. In einer schriftlichen Stellungnahme auf eine ARD-Anfrage blieb der DOSB maximal unverbindlich. "Stetige Verbesserung in der Qualität von Prävention, Intervention und Aufarbeitung zum Schutz vor Gewalt im organisierten Sport und ein Ausbau der dafür notwendigen Strukturen innerhalb und außerhalb des Sports" stünden im Mittelpunkt. Auf den konkreten Fall "Hempel gegen den DSV" ging der Dachverband nicht ein.
Die Institution katholische Kirche ist bei der Grundsatzdiskussion über die Entschädigung von Missbrauchsopfern offenbar weiter als der organisierte Sport – wohl auch, weil die Klage im Präzedenzfall bereits seit Monaten läuft. Der Kläger Georg Menne gibt an, von einem Priester in mindestens 320 Fällen missbraucht und vergewaltigt worden zu sein. Menne verklagte das Erzbistum Köln im Sommer vergangenen Jahres auf die Zahlung von 805.000 Euro.
Mennes Anwalt Eberhard Luetjohann sagte im ARD-Interview, dass sich in seiner Kanzlei und bei vielen weiteren Anwälten immer mehr Betroffene melden, die auf Gerechtigkeit und Schadenersatz hofften. "Wir wussten, dass sich da eine kleine Welle wölben würde, aber es ist viel mehr, als wir vermutet haben", sagt Luetjohann. Möglicherweise löst Jan Hempel nun eine ähnliche Welle im Sport aus.