Weltverband FIDE Eiertanz ums russische Schach
Am Rand der Schacholympiade in Budapest will der russische Schachverband die Aufhebung aller Sanktionen durchsetzen. Ein entsprechender Antrag des kirgisischen Schachverbands soll nach Informationen der Sportschau zurückgezogen werden, wenn Russland wieder mit Team, Fahne und Hymne bei Weltmeisterschaften für Spieler mit Behinderungen antreten darf. So könnte Schach-Präsident Arkadij Dworkowitsch in Russland sein Gesicht wahren, ohne dass die FIDE ihre IOC-Akkreditierung riskiert.
Am Donnerstagabend (19.09.24) feierte die Weltschachföderation FIDE ihr 100jähriges Bestehen mit einem Galadinner auf der Budapester Burg. Bei diesem Anlass wurde Magnus Carlsen ein Preis für die beste Schachkarriere verliehen.
In seiner Dankesrede erklärte der Weltranglistenerste, dieser Preis hätte eher Garri Kasparow gebührt: "Stünde Garri vor Ihnen, würde er jetzt die Gelegenheit ergreifen, Ihnen von einer Aufhebung der Sanktionen gegen die Schachverbände Russlands und Belarus abzuraten. Und das würde ich auch."
FIDE droht Verlust der IOC-Akkreditierung
Vor Carlsen hatte sich auch schon der Vorstand der Europäischen Schachunion gegen ein Ende der Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Die ukrainischen Botschafter schrieben die jeweiligen Schachverbände an und forderten sie auf, einen Antrag des kirgisischen Schachverbands auf Wiederzulassung von Russland und Belarus mit Team, Fahne und Hymne bei FIDE-Wettbewerben abzulehnen.
Falls Russland bei der Vollversammlung am Wochenende rehabilitiert wird, droht der FIDE zudem der Entzug der IOC-Akkreditierung. Eine entsprechende Warnung kommt vom Dachverband der vom IOC akkreditierten nichtolympischen Sportverbände ARISF. Darüber hat der Deutsche Schachbund in den letzten Tagen alle nationalen Verbände informiert.
Unterschiedliche russische Interessen
Der Präsident des Weltschachbunds heißt seit 2018 Arkadij Dworkowitsch. Der als liberal geltende Technokrat hatte vorher 17 Jahre zu Putins engstem Führungszirkel gehört. Laut dem dänischen Großmeister Peter Heine Nielsen, der seit Russlands Überfall auf die Ukraine nahezu täglich auf Social-Media-Plattform X Fehltritte der FIDE anprangert, sind zwei kollidierende russische Interessen im Spiel.
FIDE-Präsident Arkadij Dworkowitsch
"Der russische Verband will so viel wie möglich wieder dabei sein. Dworkowitsch will die FIDE unter Kontrolle behalten. Er muss den Druck einerseits des russischen Verbands, andererseits vom IOC und den europäischen Verbänden balancieren. Er hat die Wahl, und ich habe keinen Zweifel, dass die Abstimmung in der Richtung ausgeht, für die sich Dworkowitsch entscheidet, angesichts der Mehrheiten, die ihn zuletzt wählten", analysierte Nielsen bei einer vom Autor dieses Beitrags organisierten Diskussion am Donnerstagabend in Budapest.
Schrittweise Rückkehr Russlands?
Nach den Entwicklungen der letzten Tage tippt er darauf, dass Russland nicht versucht, das Maximum herauszuholen, sondern sich mit kleinen Verbesserungen und Dworkowitsch an der Spitze der FIDE zu halten zufrieden geben wird.
Die Präsidentin des Deutschen Schachbundes Ingrid Lauterbach
Nach Informationen der Sportschau soll der Antrag auf Russlands Wiederzulassung von der Agenda der FIDE-Vollversammlung verschwinden, wenn russische Teams und Fahnen bei Weltmeisterschaften für Spieler mit Behinderung wieder aufscheinen dürfen. Damit könne Dworkowitsch in Russland sein Gesicht wahren. Die Präsidentin des Deutschen Schachbunds Ingrid Lauterbach sieht darin allerdings "ein Einfallstor". "Als nächstes wäre Russland wieder bei Weltmeisterschaften für Kinder und Senioren dabei".
Russische Schachspieler, Trainer und Funktionäre fordern Ende des Kriegs
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte sich der Weltschachbund FIDE von seinen russischen Sponsoren losgesagt und die Mannschaften, Fahnen und Hymnen von Russland und Belarus aus offiziellen Wettbewerben verbannt. Die Spieler aber dürfen weiterhin unter der Fahne der FIDE antreten.
Das schien angemessen. In der deutlichsten Reaktion russischer Sportler gegen den Angriff auf die Ukraine hatten 44 führende Schachspieler, Trainer und Funktionäre Anfang März 2022 Russlands Präsident Wladimir Putin in einem offenen Brief aufgefordert, den Krieg zu beenden. Wenige Monate später wurde Dworkowitsch als FIDE-Präsident wiedergewählt. Nur 16 Länder, einschließlich Deutschlands, unterstützten den ukrainischen Gegenkandidaten Andrij Barischpolets.
Soft Power durch Schach
Der Weltschachbund ist schon lange eine russische und zuvor sowjetische Domäne. Der als liberal geltende Dworkowitsch war die langjährige rechte Hand des ehemaligen russischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew. Dworkowitsch war im Kreml nicht mehr haltbar, nachdem zwei mit ihm befreundete Oligarchen wegen Korruption verurteilt worden waren. Kurzfristig bewährte er sich als Organisationschef der Fußball-WM 2018.
Verglichen mit seinem Vorgänger im Amt des FIDE-Präsidenten Kirsan Iljumschinow, der wegen Ölgeschäften mit Syriens Machthaber Baschar al-Assad 2015 mit US-Sanktionen belegt wurde, wirkte Dworkowitsch als Reformer. Sponsoren für die FIDE fand er nicht nur in Russland sondern dank von ihm geschaffener professioneller Strukturen auch anderswo. 2023 wurde allerdings die von Dworkowitsch selbst eingeführte Beschränkung auf zwei Amtszeiten mit 108:27 Stimmen aufgehoben. Nun hat er zumindest die Option, über 2026 hinaus FIDE-Präsident zu bleiben.
FIDE-Ethikkommission fordert Russlands Auschluss
Vor einigen Monaten strengten der ukrainische Schachverband und der Däne Peter Heine Nielsen ein Verfahren an, weil der russische Verband in den besetzten Gebieten Wettbewerbe organisiert und seinem Kuratorium unter anderem der ehemalige Verteidigungsminister Russlands, Sergei Schoigu, angehört. Gegen Schoigu, inzwischen Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen.
Russlands Präsident Wladimir Putin (vorne) und der ehemalige russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu
Im Mai entschied die Ethik-Kommission der FIDE, den russischen Verband komplett auszuschließen, sollte er sich nicht von Schoigu trennen und seine Aktivitäten in den besetzten Gebieten beenden. Außerdem wurde FIDE-Präsident Dworkowitsch selbst gerügt, weil er dem wie Schoigu ebenfalls dem Kuratorium des russischen Verbandes angehört. Noch bevor das Urteil publik wurde, verbreiteten russische Medien bereits, dass der russische Verband dagegen in Berufung gehen werde.
Geldstrafe statt Ausschluss
Vorige Woche hob ein Berufungsgericht der FIDE dann die Rüge gegen Dworkowitsch auf und verhängte statt des Ausschlusses eine Geldstrafe von 45.000 Euro gegen den russischen Verband. Gegen das milde zweite Urteil legte der ukrainische Verband Widerspruch. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts Francois Strydom sei befangen. Der südafrikanische Anwalt ist sowohl für die russische Sportkanzlei SILA als auch den skandalträchtigen Weltboxverband IBA tätig, der bereits seine IOC-Akkreditierung verloren hat und nicht mehr fürs olympische Boxen zuständig ist.
Eine letzte FIDE-Instanz hat den ukrainischen Widerspruch allerdings abgelehnt. Der ukrainische Verband will in der Causa nun laut seiner Vizepräsidentin Natalja Schukowa vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS ziehen.