Die Spieler des VfB Stuttgart bedanken sich nach dem Spiel gegen Paris Saint Germain bei ihren Fans

Fußball | Meinung Trotz "Horror-Spielverlauf" gegen Paris - der VfB Stuttgart muss sich nicht grämen

Stand: 30.01.2025 09:42 Uhr

Der VfB Stuttgart bekommt von Paris Saint Germain seine Grenzen deutlich aufgezeigt und scheidet aus der Champions League aus. Eine kommentierende Einordnung von SWR-Sportredakteur Johann Schicklinski.

Um sich klarzumachen, wo man im Leben steht, hilft oft der Blick zurück. Zu schauen, wo man einmal gewesen ist, kann das Einordnen der aktuellen Situation meist unterstützen. So oder ähnlich dürften auch die Fans des VfB Stuttgart im abschließenden Spiel der Champions-League-Ligaphase gegen Paris St. Germain gedacht haben. Die Schwaben kassierten vor heimischer Kulisse eine bittere 1:4 (0:3)-Pleite gegen das französische Topteam und schieden dadurch aus der Königsklasse aus. Von Pfiffen war in der Stuttgarter Arena allerdings nichts zu hören. Im Gegenteil: Die Anhänger feierten ihre Mannschaft vor allem in der zweiten Halbzeit und nach Abpfiff lautstark. Ganz so, als ob das Ergebnis keine Rolle spiele.

Aufschwung unter Trainer Sebastian Hoeneß

Die Fans dürften sich an die jüngere Vergangenheit zurück erinnert haben. Es ist noch keine zwei Jahre her, dass der VfB Stuttgart nach mehr als einem Dreiviertel der Saison Tabellenletzter in der Bundesliga war. Der bloße Gedanke an internationale Spiele, erst recht an die Teilnahme an der Champions League, hätte damals wohl für eine Einweisung gesorgt. Doch in knapp 22 Monaten unter Trainer Sebastian Hoeneß legte die Mannschaft einen schier unglaublichen Aufstieg hin, der diese Szenarien zur Realität machte.

Und das honorierten die Fans. Sie anerkannten, dass Stuttgart am letzten Spieltag der Ligaphase der Champions League gegen Paris die Chance aufs Weiterkommen in der eigenen Hand hatte. Sie goutierten noch einmal, dass der VfB gegen Real Madrid im Bernabeu-Stadion phasenweise die bessere Mannschaft gewesen war und dass das Team Juventus Turin in deren eigener Arena an die Wand gespielt hatte. Das alles wurde noch einmal bejubelt, die Mannschaft wurde noch einmal gefeiert. Es lag viel Dankbarkeit in der Luft, als sich die Spieler nach der Partie gegen Paris bei ihren Anhängern für den Support bedankten - und zwar von beiden Seiten.

Maximilian Mittelstädt: "Es war eine tolle Reise"

"Es war eine tolle Reise, die wir alle zusammen durchgemacht haben. Das war das erste Champions-League-Jahr - dafür haben wir uns gut verkauft", befand VfB-Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt nach der Partie - und dürfte damit vielen aus der Seele gesprochen haben.

Paris St. Germain mit reifer Vorstellung

Der VfB Stuttgart war gegen Paris chancenlos. Körperlich, spielerisch und vor allem im Kopf. Die Franzosen waren gedanken- und handlungsschneller, sie waren spritziger, geradliniger und abgezockter. Sie waren einfach deutlich reifer und somit an diesem Abend für die Schwaben nicht eine Nummer zu groß, sondern mindestens zwei.

Der VfB wirkte von Anfang an beeindruckt, die Spieler hatten augenscheinlich schwere Beine. Nach dem frühen 0:1 durch Bradley Barcola (6. Minute) war zu spüren, wie es in den Köpfen der Stuttgarter Spieler arbeitete. Die Angst vor Fehlern war förmlich greifbar. Ousmane Dembelé hatte bei seinen weiteren Treffern (17., 35., 54.) kein allzu schweres Spiel. Das Eigentor von Willian Pacho (77.) war nur Ergebniskosmetik.

Fabian Wohlgemuth: "Wir waren schockiert"

"Ich kann der Mannschaft gar nicht so viel vorwerfen", resümierte VfB-Sportvorstand Fabian Wohlgemuth. "Alle haben alles gegeben. Es war einfach ein Gegner, der uns an unsere Grenzen geführt hat." Der 45-Jährige führte aus, woran es seiner Meinung nach gelegen hatte: "Wir waren in der ersten Halbzeit ein Stück weit überfordert. Die Pariser haben uns an unsere Grenzen geführt. Wir waren zu passiv, auch schockiert. Wir haben es nie geschafft, dass alle elf Spieler am Limit waren. Alle elf hätten am obersten Limit spielen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben. Man muss neidlos die Qualität von Paris anerkennen."

Diese elf Spieler am obersten Limit hatte der VfB dieses Mal nicht - im Gegenteil: Rechtsverteidiger Josha Vagnoman erwischte einen rabenschwarzen Tag. Mittelstädt, sein Pendant auf Links, war in der Rückwärtsbewegung komplett überfordert. Und Kapitän Atakan Karazor auf der Sechs lieferte sein wohl schlechtestes Saisonspiel ab. Festzuhalten bleibt aber auch: Normalform hatte so gut wie kein Stuttgarter Spieler.

Sebastian Hoeneß: "Es war ein Horror-Spielverlauf"

"Es war ein Horror-Spielverlauf", analysierte VfB-Coach Hoeneß. "Du musst die Chancen nutzen, um den Hauch einer Chance zu haben, sonst passiert etwas im Kopf." Was offensichtlich der Fall gewesen ist.

Der Erfolgstrainer kündigte an, dass seine "sehr junge Mannschaft die Erfahrungen mitnehmen und zur Entwicklung" nutzen werde. "Wir werden diesen Abend gemeinsam verarbeiten und eine Reaktion zeigen."

"Die KI ist wohl doch nicht so toll, wie alle erzählen"

Der VfB Stuttgart scheidet somit mit zehn Punkten aus - obwohl vor der neuen Ligaphase der Champions League der Datenanbieter Opta durch unzählige Simulationen herausgefunden haben wollte, dass zehn Zähler mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99 Prozent zum Weiterkommen reichen. Doch in der Realität haben die Schwergewichte Real Madrid und Bayern München die direkte Qualifikation fürs Achtelfinale verpasst, Manchester City und Paris mussten bis zuletzt ums Weiterkommen bangen. "Die KI ist wohl doch nicht so toll, wie alle erzählen", sagte Hoeneß nach der Partie. Für mich irgendwie auch eine beruhigende Vorstellung.

"Nach all' der Scheiße geht's auf die Reise - Stuttgart International!" Das war der Hit, der den VfB und seine Anhänger in den letzten anderthalb Jahren getragen hat. Nun ist die Reise geendet. Schade, aber für mich kein Beinbruch. Der VfB muss sich nicht grämen. Ein Abend zum Vergessen macht das, was davor passiert ist, nicht ungeschehen.

Konzentration auf Bundesliga und DFB-Pokal

Stuttgart steht angesichts der Vierfachbelastung gut da, und wenn die Mannschaft sich künftig auf Bundesliga und DFB-Pokal konzentrieren kann, ist das aus meiner Sicht nicht von Nachteil. Im Gegenteil: In beiden Wettbewerben hat der Klub hohe Ziele und es ist positiv, sich nun auf diese konzentrieren zu können.

Und wer weiß, vielleicht geht es dann in der nächsten Spielzeit schon wieder "auf die Reise". Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht - wie auch dafür, dass es nicht wieder 15 Jahre dauert, bis der VfB Stuttgart in der Champions League mitspielt.

Sendung am Do., 30.1.2025 6:00 Uhr, SWR Aktuell am Morgen, SWR Aktuell