
Handball | Frisch Auf Göppingen Göppingens Handball-Ikone Horst Singer wird 90
Horst Singer ist der letzte lebende Spieler der legendären Weltmeistermannschaft von 1955, er ist mehrmaliger Deutscher Meister und einer der prägenden Handballer Deutschlands.
Als ich Christina Singer angerufen habe, um mich nach ihrem Vater zu erkundigen, sagte sie: "Er ist noch richtig fit, nur mit dem Laufen klappt es nicht mehr so gut, komm' ruhig vorbei." Ich klingle also in Göppingen bei den Singers. Helga, seine Frau, macht mir auf, auch sie ist noch "richtig fit". Horst Singer, den fast alle nur "Spatz" nennen, sitzt in einem Sessel im Wohnzimmer. Wache Augen, offenes Lächeln. "Freut mich, dass Sie vorbeikommen." Und dann plaudern wir. Über denn Rechtsaußen mit dem linken Zauberarm. "Mich darf jeder Spatz nennen", lächelt er, "das ist für mich eine große Ehre, ich bin ein Ulmer: Der Spatz, das Wahrzeichen der Stadt, der auf dem Ulmer Münster sitzt." Er ist in Ulm geboren und floh 1944 nach einem Bombenangriff nach Göppingen.
Eigentlich waren sie junge Turner bei Frisch Auf, die aber schnell in der alten Schiller-Turnhalle richtig Spaß am Handball hatten. Der Arzt Heinrich Zeller - später Frisch-Auf-Ehrenpräsident - trainierte die Jungs. Zeller verpasste allen Spitznamen. "Du bist der Spatz, weil du in Ulm geboren bist", sagt er dem 12-jährigen Horst. Der Spitzname blieb. Mit ihm verbinden viele bis heute die glorreichen Göppinger Handballzeiten.
Deutscher Meister im Feldhandball und in der Halle
Unter Spielertrainer Bernhard Kempa, dem laut Singer "begnadetsten Feldhandballer, den es je gab", wurde beim Endturnier um die Hallen-DM in Krefeld der SV Polizei Hamburg mit 10:7 bezwungen. Auf Rasen, im Großfeld, folgte der zweite nationale Coup. Vor 21.000 Zuschauern im Stuttgarter Neckarstadion ein 18:8-Sieg über TuS Lintfort. Kurz davor hatte ein Trick den Handball revolutioniert.
Der Kempa-Trick
Abspringen, Ball im Flug fangen und direkt werfen - Tor. So etwas hatte die Handball-Welt noch nicht gesehen, als der Kempa-Trick am 24. März 1954 bei einem inoffiziellen Länderspiel zwischen Deutschland und Schweden (10:10) in der Schwarzwaldhalle in Karlsruhe uraufgeführt wurde. "Ich lief in Richtung Kreis-Mitte, als Bernhard Kempa von Rückraum-Links den Ball hoch in Richtung Torraum spielte", beschreibt Horst Singer heute die handballhistorische Szene, als er vor über 70 Jahren das erste Kempa-Tor der Welt erzielte: "Nach dem Absprung vor dem Kreis nahm ich seinen Pass in der Luft ganz kurz an und warf den Ball in Richtung Tor."
Feldhandball Weltmeister 1955
Der Spielwitz und ein Team von begnadeten Handballern brachte dann den Weltmeistertitel im Feld. "Die Tschechen hatten keine Chance und dann ging's (im Endspiel) gegen die Schweizer und die hatten noch weniger Chancen", erinnert sich das Geburtstagskind. Das Ganze vor 50.000 Zuschauern im Stadion Rote Erde in Dortmund. Als Belohnung gab es damals von Frisch Auf einen Büchergutschein für sein Studium im Wert von 200 D-Mark. Später wurde er dann Oberstudienrat für Sport und Geographie am Hohenstauffen Gymnasium in Göppingen. Auch deshalb war er nur für kurze zwei Monate Trainer. "Der Beruf war wichtiger", sagt er.
Prägende Ära mit Frisch Auf Göppingen
Mit Göppingen holte er sich mehrere Meisterschaften in der Halle und feierte 1962 den größten Triumph. Als erste deutsche Mannschaft holten sich Frisch Auf und Horst Singer den Titel im Europapokal der Landesmeister (heute EHF Champions League). Bemerkenswert dabei: Göppingen hatte damals noch keine eigene Handball-Halle. Im Alter von 42 Jahren (!) bestreitet Horst Singer sein letztes Bundesliga-Spiel gegen Hofweier.
Ich fühle mich eher wie 80
Wenn man den letzten lebenden Handball-Weltmeister von 1955 fragt, ob er sich wie 90 fühlt, sagt er sehr schnell. "Nein, ich fühle mich viel, viel jünger, eher wie 80. Aber wenn ich mich dann mit dem Rollator oder meinem Stock rummarschieren sehe, denke ich doch, 90 ist ein stolzes Alter." Doch trotz seines Alters ist er immer noch auf dem Laufenden, was sein Frisch Auf angeht. Er schaut zwar seltener bei den Heimspielen in der Halle vorbei, aber vor dem Fernseher fiebert er immer noch mit.
Deshalb ist sein Geburtstagswunsch auch zweigeteilt: "Ich wünsche mir vor allem Gesundheit, das ist für mich das Wichtigste, für meine Frau und meine Kinder und vielleicht noch ein bisschen am Rande, dass mein Frisch Auf nicht absteigt." Am 8. März wird Horst Singer beim Heimspiel gegen Flensburg offiziell in die neu eingerichtete Hall of Fame von Frisch auf Göppingen aufgenommen. Am Sonntag, 2. März, feiert er aber erstmal seinen 90. Geburtstag.