
Interview | Teenager in Fitness-Studios Warum so viele Jugendliche in Fitness-Studios trainieren
In vielen Fitness-Studios trainieren inzwischen scharenweise auch Schüler. Eine Einzelbeobachtung? Mitnichten. Der Sportsoziologe Thomas Alkemeyer sieht auch den Körperkult auf Social Media als Grund für das steigende Interesse am Krafttraining.
rbb|24: Herr Alkemeyer, ab welchem Alter ist es für Jugendliche in Ordnung, im Sportstudio Krafttraining zu machen?
Thomas Alkemeyer: Krafttraining bereits im Kindes- oder frühen Jugendalter halte ich für schwierig. Dagegen sprechen einerseits gesundheitliche Gründe. Aber ich finde es auch problematisch, wenn bereits Kinder auf bestimmte Körperbilder und -normen - die auch in Fitness-Studios verbreitet werden – gepolt werden.
Einer meiner eigenen Söhne hat Leistungssport betrieben und in diesem Rahmen relativ früh - mit dreizehn, vierzehn Jahren - angefangen, Krafttraining zu machen, weil er an Gewicht zulegen sollte. Aus meiner Sicht könnte etwa ab diesem Alter ein zielgerichtetes Training durchgeführt werden, sofern es verantwortungsvoll angeleitet wird und der individuelle Entwicklungsstand berücksichtigt wird.
Besser als ich können das aber Trainingswissenschaftler, Bewegungswissenschaftlerinnen und Medizinerinnen beantworten.
Aus welchen Gründen gehen schon Kinder und Jugendliche ins Fitness-Studio?
Soweit ich weiß, hat sich zwischen 2013 und etwa 2020 die Zahl der Heranwachsenden, die ins Fitness-Studio gehen, verdoppelt - auf rund 1,8 Millionen Jugendliche. Und eventuell ist die Zahl seither noch weiter gestiegen.
Das hat damit zu tun hat, dass auch die Lebenswelten von Heranwachsenden nicht frei sind von Erwartungen und Körperidealen, die sich innerhalb der gesamten Gesellschaft verbreiten. Gerade Jugendliche orientieren sich an Körperidealen, die ausgehend von den westlichen Gesellschaften seit etwa den Siebziger- und Achtzigerjahren Verbreitung finden und ihnen zunehmend auch in den sozialen Medien begegnen. Es gehört für viele Heranwachsende dazu, ihren Körper so zu gestalten und sich so in Form zu bringen, dass sie Anerkennung in ihren Peer-Groups finden.
Jugendliche wollen über einen Körper verfügen, der sich sehen lassen kann bei Gleichaltrigen. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass sie vermehrt in Fitness-Studios gehen.
Sie haben gesagt, dass sich die Zahlen seit 2013 verdoppelt haben. Denken Sie, es gab noch einmal einen Boost durch die Corona-Zeit?
Das ist sehr wahrscheinlich. Man konnte beobachten, dass es eine Beschäftigungsmöglichkeit in dieser Zeit war, zuhause unter der Anleitung von Fitnessvideos und Influencern an sich selbst zu arbeiten und sich zu optimieren. Andere Formen der Betätigung, beispielsweise in Sport-Vereinen, waren stark eingeschränkt. Unter diesen Bedingungen ist die Zahl derjenigen, die sich mit Fitness beschäftigen, sicherlich noch einmal angestiegen. Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, weiß ich aber nicht.
Das Stichwort Körperkult und -optimierung ist schon gefallen. Warum sehen das Erwachsene im Hinblick auf Jugendliche eher skeptisch? Genau derselben Generation wirft man ja oft vor, sie bewegte sich viel zu wenig und wolle nur vorm Handy abhängen.
Wie Heranwachsende ihr Dasein verbringen, ist stark vom Milieu und ihren Lebensbedingungen abhängig. Es gibt sicherlich viele Kinder und Jugendliche, denen man so etwas wie Bewegungsmangel diagnostizieren kann. Das mag auch damit zu tun haben, dass sie viel vor Bildschirmen sitzen oder ihre Zeit mit dem Handy verbringen. Doch es gibt auch Milieus, in denen Bewegungsmangel so gut wie gar nicht nicht vorkommt. Dort ist man – ganz im Gegenteil – sportlich hochaktiv. Diese Jugendlichen sind im Sportverein, machen in informellen Gruppen Sport oder gehen ins Fitness-Studio.
Das hängt ganz klar vom sozialen Status, von der Bildung und vom Einkommen der Herkunftsfamilie ab. Wo das Einkommen gut ist und die Bildungsabschlüsse vergleichsweise hoch sind, sind bereits materiell die Voraussetzungen für einen gesunden Lebensführungsstil gegeben. In einem solchen Umfeld spielen zudem häufig Werte wie Selbstkontrolle und eigenverantwortliche Lebensgestaltung eine große Rolle. Dazu gehört es dann auch, den Körper in Form zu halten und regelmäßig Sport zu treiben.
Es gibt Milieus, in denen Bewegungsmangel so gut wie gar nicht nicht vorkommt. Dort ist man – ganz im Gegenteil – sportlich hochaktiv
Das heißt, die frühere Testosteron-Muckibude ist aus der Schmuddelecke gekommen?
Zum Teil. Schlank zu sein, fit auszusehen, ist wohl ein milieuübergreifendes Ideal. Das Sich-Aufpumpen, das Bodybuilding in der Muckibude, orientiert sich allerdings an einem sehr traditionellen Bild von Männlichkeit, das sich durch Körperkraft, Stärke, harte Arbeit, Überlegenheit und ähnliches auszeichnet. Das gilt nicht in allen Milieus als erstrebenswert und wird in Lebenswelten, die sich selbst als eher liberal und intellektuell verstehen, als ein Phänomen der sogenannten Unterschichten angesehen. Es kommt deshalb auch nicht bei allen männlichen Heranwachsenden, die in ein Fitnessstudio gehen, gleich gut an. Oder ihm wird in einer Lebensphase nachgeeifert, in der man sich gern auch vom Elternhaus abgrenzt.
Vielen geht es aber um eine moderate Gestaltung und Definition des eigenen Körpers. Er soll weniger durch eine aufgeblähte Muskulatur auffallen, sondern Fitness, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Attraktivität ausstrahlen. Mit der Nachfrage nach unterschiedlichen Gesundheits-, Fitness- und Sportangeboten hat sich auch der Markt der Fitnessstudios ausdifferenziert. Die klassische Muckibude repräsentiert nur ein Segment.

Auf Social Media gibt es ja längst sogar Fitness-Challenges und ähnliches. Welche Rolle spielen die sozialen Medien im Fitness-Hype?
Die sozialen Medien sind eine enorme Triebkraft. Sie stimulieren die Sorge um den eigenen Körper und die Beschäftigung mit ihm, indem sie - überwiegend geschlechtsspezifische - Körperideale in Szene setzen und hier - keineswegs immer unproblematische - Tipps zu Fitness, Gesundheit und Ernährung geben. Im Vordergrund stehen die Optimierung und visuelle Herrichtung des Körpers. Jugendliche orientieren sich nicht zuletzt an den präsentierten Idealen, um Anerkennung bei Gleichgesinnten zu finden und auch den eigenen Körper auf Social Media-Plattformen ausstellen zu können.
So kann man Zugehörigkeit zu entsprechenden Communities erlangen. Challenges spornen zusätzlich zu Überbietungswettbewerben an, in denen nicht nur andere übertroffen, sondern auch die eigenen Grenzen überschritten werden sollen. Das kann auch problematische Konsequenzen haben.
Was wären das für Konsequenzen?
Problematisch wird es etwa dann, wenn sich das ganze Leben um die Gestaltung des eigenen Körpers zu drehen beginnt. Wenn das Thema alles andere dominiert oder Heranwachsende ein schlechtes Gewissen entwickeln, wenn sie sich einmal nicht entsprechend ernährt oder einmal nicht trainiert haben. Wenn es also zu einer Art Obsession wird, die alles andere überstrahlt. Sofern sich ein innerer Zwang zur Gestaltung und Optimierung des eigenen Körpers entwickelt, kann das zu erheblichen gesundheitlichen, physischen, psychischen und auch sozialen Problemen führen. Insbesondere, wenn auch zu irgendwelchen Mitteln gegriffen wird, um den Körper noch intensiver formen und exzessiver trainieren zu können.

Sie meinen Mittel wie Proteine oder Kreatin?
Ja. Und das sind Mittel, die im Hochleistungssport nicht einmal auf der Dopingliste stehen würden. Doch ich halte es schon für problematisch, wenn gewohnheitsmäßig Proteine, Kreatin oder andere Nahrungsergänzungsmittel genommen werden, weil sich ein Jugendlicher davon bessere Trainingseffekte verspricht. Die Hemmschwelle, auch zu anderen, gefährlicheren Mitteln zu greifen, sinkt dann allmählich.
So ist im gesamten sportlichen Bereich etwa eine Zunahme des Schmerzmittelkonsums zu beobachten. Das gehört ebenfalls in diesen Kontext. Es geht darum, auch dann noch trainieren und Leistung erbringen zu können, wenn der Körper längst nein sagt. Oft ist das ein Resultat der Verinnerlichung von Leistungserwartungen und ihrer Umwandlung in selbst gesetzte Ansprüche, denen man gerecht werden möchte. Man möchte auch dann trainieren können, wenn man sich ohne diese Mittel dazu gar nicht in der Lage fühlen würde.
Wenn sich in bestimmen Milieus so viele Heranwachsende optimieren, stellt sich die Frage, was mit denen ist, die das nicht tun oder nicht tun können. Können die sich dann auf "Body Positivity" als Gegenerzählung stützen oder werden die schlicht ausgegrenzt?
"Body Positivity" ist ja tatsächlich eine Gegenerzählung. Es ist eine Strategie, die darauf abzielt, der Entwertung nicht normentsprechender Körper entgegenzuwirken. Insofern ist es eine Antwort auf die Vorherrschaft bestimmter Körperideale in unserer Gesellschaft. Doch damit lässt sich kein Gleichstand, keine gleiche Anerkennung aller Körperformen erreichen. Denn der Maßstab, an dem bewertet sind, sind immer noch die vorherrschenden Körpernormen und Schönheitsideale. Auch für Heranwachsende gilt, dass der Körper zu einer Art Visitenkarte der Person geworden ist. Er ist ein Medium, das Werte wie Anstrengungsbereitschaft, Leistungswillen und die Bereitschaft, sich selbst eine Form zu geben, kommuniziert. Das sind in unserer Gesellschaft hochgeschätzte Werte. Umgekehrt werden Körper, die diesem Ideal nicht entsprechen, abgewertet und ihren Trägern und Trägerinnen wird häufig zugeschrieben, sie würden sich gehen lassen und hätten ihr Leben nicht in der Hand.
Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass stark von der Norm abweichende Körper häufig als Unterklassen-Körper bewertet und diskriminiert werden. Das, so heißt es dann, seien die Körper derer, die sich von Fast-Food ernähren und die Kontrolle verloren hätten. Das wird sehr stark mit der Zugehörigkeit zu den "unteren" sozialen Schichten assoziiert. Während die fitten, gestylten Körper als Körper der Mittelklassen etikettiert und aufgewertet werden.

Das stimmt doch aber gar nicht immer.
Nein. Aber es sind soziale Zuschreibungen, die sich durchgesetzt haben und eine große Wirkung auf die Wahrnehmung, Klassifizierung und Bewertung von Menschen entfalten. Zur Verbreitung solcher Zuschreibungen haben sicherlich neoliberale gesellschaftliche Diskurse und Ideologien der vergangenen Jahrzehnte beigetragen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
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