Kanu-WM in Duisburg Von Königen und doppeltem Druck
Die deutschen Kanutinnen und Kanuten sind seit jeher Medaillen-Garanten. Nach zehn Jahren haben sie nun wieder ein weltmeisterliches Heimspiel. In Duisburg soll die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden.
Wie ein riesiger Spiegel, der umgekippt wurde, liegt sie da, die Regattestrecke in Duisburg. Keine Welle ist zu sehen. Ein Rechteck, von Bäumen umringt. 2.000 Meter ist sie lang.
Jacob Schopf steht am Ufer in der Abendsonne. Noch ist alles ruhig, doch der junge Potsdamer Kanut spürt ein leichtes Kribbeln: "Klar, eine Heim-WM ist besonders. Freunde und Familie kommen, aber auch Menschen, die der Kanu-Rennsport sonst nicht so interessiert. Hier werben wir für unseren Sport."
Die Regattastrecke im Sportpark Wedau, gleich neben dem Fußballstadion vom MSV Duisburg, ist eine mit Tradition. Bereits zum sechsten Mal finden dort die Kanu-Weltmeisterschaften statt, an keinem anderen Ort waren die Welttitelkämpfe öfter zu Gast.
"Ich kann endlich wieder etwas sehen"
Schopf geht mit einem der Traditionsboote an den Start, dem Kajak-Vierer der Herren, ein Boot, das im vergangenen Jahrzehnt ein Medaillen-Garant war. Kurz vor der WM wurde personell umgesetzt, der Vierer musste sogar umgebaut werden, denn die Boote sind kaum schmaler als die Hintern der Sportler. Werden Sitzplätze verändert, muss auch am Material gefeilt werden.
"Ich kann endlich wieder was sehen, weil Max Lemke, der jetzt vor mir sitzt, etwas kleiner ist", sagt Schopf lachend und ergänzt: "Nein, im Ernst, wir harmonieren besser, die Trainingszeiten sind schnell. Natürlich sitzen immer noch dieselben vier Leute im Boot, aber es fühlt sich anders an. Wir wollten die Druckkurven im Wasser besser übereinander legen, also den Peak der Kraftkurve. Das haben wir umgesetzt."
Der König ist zurück
Duisburg ist so etwas wie die deutsche Heimstrecke, viele Lehrgänge und Kaderüberprüfungen finden dort statt. Auch deswegen, um den Kopf noch einmal freizubekommen, hat sich die Mannschaft in München vorbereitet, erklärt der 24-jährige Schopf: "In München ist das Wasser extrem hart. Es ist ein gutes Gefühl jetzt in Duisburg bei weichem Wasser zu paddeln, da geht alles viel schneller an. Außerdem pusht so ein Ortswechsel, du hast das Gefühl, dass es auch wirklich losgeht."
In München ist das Wasser deutlich kalkhaltiger und der Grund flacher, wodurch es sich für die Athleten härter anfühlt. In diesem letzten Trainingslager hat auch einer der Besten wieder in die Erfolgsspur gefunden, Sebastian Brendel – der "König der Canadier".
Auf dem Weg zur 60. internationalen Medaille
Der 35-Jährige hat ein turbulentes Jahr mit vielen Rückschlägen hinter sich, doch rechtzeitig zur WM ist er wieder fit: "Es ist jetzt mein 15. Jahr im Einer, eine wirklich lange Strecke. Ich habe dem Verband viele Erfolge beschert. Wenn alles gut geht, kann ich in Duisburg meine 60. internationale Medaille gewinnen, aktuell stehe ich bei 59."
Brendel startet unter anderem im Einer über die 1.000 Meter. Vor elf Jahren wurde er über die gleiche Distanz in London bereits Olympiasieger. Es ist eine Strecke mit Prestige: "Ich freue mich, dass mir die Trainer vertrauen. Seit Olympia in Tokio 2021 bin ich international keinen Einer mehr gefahren. Das verunsichert schon. Das Gefühl muss ich mir dann eben bei der WM zurückholen." Dann hält der dreimalige Olympiasieger kurz inne, überlegt und fügt stolz hinzu: "Der Canadier-Einer ist eine deutsche Paradestrecke und ich hoffe, ich kann die Geschichte fortschreiben."
Ein olympisches und paralympisches Super-Event
Brendel baut dabei auch auf ein altes Erfolgsrezept - auf die Familie. Seine Frau ist selbst ehemalige Athletin und auch die Kinder sitzen von klein auf im Boot. "Meine Familie ist ab Freitag da, sie drücken mir die Daumen im Ziel. Das gibt mir nochmal einen extra Schub, ich bin dafür extrem dankbar."
42 deutsche Athletinnen und Athleten werden starten, insgesamt haben 80 Nationen gemeldet, auch die paralympischen Disziplinen werden bei diesen Weltmeisterschaften ausgetragen. Es ist eine Art Super-Event, in nur fünf Tagen, das seine Krönung in den Finalläufen ab Freitag finden soll. "Ich freue mich sehr auf diese Heim-WM. Manche Athleten erleben dieses Gefühl leider nie und ich darf das schon zum dritten Mal, darüber bin ich sehr glücklich", beschreibt Brendel.
"Der Druck ist immens"
Als wäre eine WM und dann auch noch zu Hause nicht Motivation genug, geht es doch um viel mehr als nur um Medaillen: "Der Druck ist immens, wir wollen ja alle vorn landen und dann sind da auch noch die Quotenplätze für Paris. Wenn du nicht eine bestimmte Platzierung erreichst, dann ist nicht nur die WM verpatzt, sondern du verpasst auch noch Olympia. Der Druck ist also verdoppelt", erklärt Jacob Schopf.
Traditionell werden bei den Weltmeisterschaften der Kanutinnen und Kanuten im vorolympischen Jahr bereits die meisten Olmpiatickets, also ein Großteil der olympischen Startplätze, vergeben. Für Jacob Schopf vom KC Potsdam ist das nicht neu, denn 2019 war er in der gleichen Situation und dennoch war damals alles anders: "Ich war gerade mal 19, da habe ich mir noch keine Platte gemacht, da bin ich einfach drauf losgeballert. Heute bin ich reflektierter und nicht mehr ganz so unbeschwert. Ich kenne meine Stärken und Schwächen und denke mehr darüber nach."
Deutsche Kanuten als Erfolgsgaranten
Spätestens ab Mittwoch wird sich der ruhige Wedauer Spiegel dann in ein brodelndes, welliges Gewässer verwandeln. Duisburg ist für schwierige Bedingungen und wechselnde Winde bekannt. Die deutschen Kanutinnen und Kanuten sind das gewohnt, auf ihrer Haus- und Hof-Strecke.
Der Kanurennsport ist die erfolgreichste deutsche olympische Sportart. Und das soll sich auch in den nächsten fünf Tagen zeigen. Jacob Schopf, Weltmeister von 2019, erklärt die Mission mit einem kurzen, klaren Satz: "Wir wollen unbedingt eine Medaille gewinnen."
Sendung: rbb24, 25.08.2023, 18:00 Uhr