Talentförderung bei Hertha BSC Talentförderung bei Hertha BSC: Der Berliner Weg
Acht Eigengewächse liefen in dieser Saison schon für Fußball-Zweitligist Hertha BSC auf. Tendenz: steigend. Über Meilensteine auf dem "Berliner Weg" - und eine ernüchternde, sportliche Zwischenbilanz 2024/25. Von Anton Fahl
Ein Tag zum Vergessen – und zugleich einer für die Geschichtsbücher. Nichts anderes war der 29. September 2024 für Hertha BSC. Die "Alte Dame" unterlag an jenem Sonntag im Olympiastadion mit 1:4 gegen die SV Elversberg, doch ein Berliner Teenager sorgte für Grund zur Freude.
In der 85. Minute wechselte Cheftrainer Cristian Fiél den Mittelfeldspieler Boris Mamuzah Lum ein, der im Alter von 16 Jahren, elf Monaten und 27 Tagen zum jüngsten Spieler in der Geschichte von Hertha BSC avancierte, der je einen Profieinsatz absolvierte. Ein Meilenstein auf dem "Berliner Weg". Der Hauptstadtklub, so die plakative und häufig vorgetragene Zielsetzung der Verantwortlichen, soll im Profibereich in besonderem Maße von seinen Eigengewächsen leben: "Hertha-Bubis" als Grundstein für sportlichen Erfolg.
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Aus der Akademie in den Profifußball
"Unser Ziel ist es, dass es aus jedem Jahrgang zwei bis drei Spieler in den Profifußball schaffen", sagt Benjamin Weber, der von Juli 2014 bis Februar 2022 die Hertha BSC Fußball-Akademie geleitet hat und seit Ende Januar 2023 als Sportdirektor fungiert, im Gespräch mit dem rbb.
Die Statistik belegt, dass diese Zielvorgabe regelmäßig erreicht wird: Seit dem Jahr 2000 haben schon mehr als 100 Spieler, die in Herthas Akademie ausgebildet wurden, Einsätze im Profifußball gesammelt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: auf sehr unterschiedlichem Leistungsniveau und vor allem sehr unterschiedlich nachhaltig. Shervin Radjabali-Fardi debütierte zum Beispiel im Alter von 17 Jahren und zwei Monaten im Juli 2008 in der UEFA-Cup-Qualifikation für Hertha BSC – kam in der Folge aber zu keinem Liga-Einsatz im blau-weißen Trikot.
Historisch: Boris Mamuzah Lum (re.) vor seiner Einwechslung im Spiel gegen Elversberg.
Um dafür zu sorgen, dass sich nachkommende Spieler wie "Bobo" Mamuzah Lum langfristig bei den Hertha-Profis behaupten, gehe es "im Kern wie für jeden jungen Spieler in allererster Linie um Spielzeit. Als Verein steht man vor der Herausforderung, den Übergang vom Nachwuchs- in den Profibereich zu gestalten, zu moderieren und vor allem viel mit den Spielern über den Karriereweg zu sprechen", sagt Weber. "Es darf nicht die Erwartung entstehen, dass Bobo sofort jedes Spiel in der 2. Bundesliga von Anfang an bestreiten muss."
Im historischen Vergleich fällt auf, dass Hertha in den vergangenen vier Spielzeiten besonders viele Talente aus dem eigenen Nachwuchs an die Profi-Mannschaft herangeführt hat. Seit der Saison 2020/21 kamen in jedem Jahr mindestens neun Eigengewächse im Liga-Betrieb zum Einsatz. In den Jahren davor, zurückreichend bis in die Saison 2013/14 – seit dem bislang letzten Aufstieg in die 1. Bundesliga – waren es nie mehr als sechs.
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Drei Eigengewächse unter Trainer Fiél gesetzt
Außerdem ist bemerkenswert, dass – vor allem in der Saison 2023/24 und der nun angelaufenen Spielzeit 2024/25 – nicht nur die Quantität an Eigengewächsen gestiegen ist, sondern vor allem die Qualität ihrer Einsatzzeit. Im Vorjahr liefen insgesamt zwölf Spieler aus dem Hertha-Nachwuchs für die Profis in der 2. Bundesliga auf; sieben von ihnen an 13 oder mehr Spieltagen, fünf davon gar an 22 oder mehr Spieltagen.
Und allein an den ersten 13 Spieltagen der laufenden Saison waren es bereits acht Kicker aus dem eigenen Nachwuchs, die schon Minuten sammeln durften. Im ligaweiten Vergleich verfügt nur der 1. FC Köln über mehr Eigengewächse in seinem aktuellen Kader (14) als Hertha BSC (13). In diesem Kontext sei daran erinnert, dass die Domstädter aufgrund einer Transfersperre im vergangenen Sommer keine neuen Spieler verpflichten konnten [sportschau.de].
Mit Ibrahim Maza, der bislang auf 90 Prozent aller möglichen Spielminuten kommt, und Derry Scherhant (81 Prozent) zählen zudem zwei Eigengewächse zum Berliner Aufgebot, die an allen 13 Spieltagen auf dem Rasen standen. Márton Dárdai (75 Prozent) verpasste aufgrund einer Gelbsperre lediglich das Duell in Darmstadt.
Berliner Juwel: Ibrahim Maza.
Hertha machte aus der Not eine Tugend
Es ist eine Entwicklung, die eng mit dem sportlichen Niedergang der Vorjahre – und dem Abstieg ins Unterhaus als Tiefpunkt im Jahr 2023 – verknüpft ist. Wirtschaftliche Zwänge machten aus der Not eine Tugend, was zur Folge hat, dass Spieler aus der Hertha-Akademie mehr denn je tragende Rollen in der ersten Mannschaft übernehmen können und müssen.
Nichtsdestotrotz wird in Westend auch systematisch versucht, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, für eine möglichst starke Durchlässigkeit vom Nachwuchs in den Profibereich zu sorgen. Unter anderem indem in allen Altersstufen dieselbe Spielphilosophie verinnerlicht werden soll.
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"Grundsätzlich bilden wir im 4-3-3-System aus [ab der U14; Anm. d. Red.]. Natürlich ergeben sich aus Spielsituationen und den unterschiedlichen Phasen eines Spiels - zum Beispiel im eigenen Aufbau - aber stets neue Systeme", sagt Benjamin Weber.
In der Ausbildung seiner Talente habe der Verein den Anspruch, offensiven Fußball zu spielen. Vor diesem Hintergrund sei letztlich das Profil und die Spielidee des neuen Profi-Coaches Cristian Fiél ein entscheidender Faktor gewesen, der die Verantwortlichen dazu bewog, ihn als Nachfolger Pál Dárdais zu verpflichten.
Langfristige Bindung an den Verein oder finanzieller Gewinn – was ist mehr wert?
"Wir haben einen Trainer gesucht, der mutigen, dominanten, offensiven Fußball spielen lässt, Zweitliga-Erfahrung mitbringt, einen Bezug zur Ausbildung im Nachwuchsleistungszentrum hat, für die Förderung von jungen Spielern steht und natürlich zu dem Kader passt, den wir haben, um diesen entwickeln zu können", sagt Sportdirektor Weber. Fiéls favorisiertes System: 4-3-3.
Neben dem sportlichen Potenzial der Talente ist die wirtschaftliche Wertschöpfung, gerade für einen notorisch klammen Verein wie Hertha BSC, gleichermaßen von Bedeutung. "Das ist ein Spagat. Am Ende gehört beides dazu, ist beides gleich viel wert", so Weber. Und: "Die Kombination aus Schule und Sport ist Grundvoraussetzung dafür, dass sich die Spieler entwickeln können, um idealerweise bei uns den Sprung zum Profi zu schaffen und ihre ersten Schritte für uns im Olympiastadion zu machen."
Wertvolle Eigengewächse: John Anthony Brooks (li.), Jordan Torunarigha (2.v.li.) und Arne Maier (re.) in der Saison 2016/17.
Jahrelange Ausbildung der Top-Talente – nicht immer mit Ertrag
Ein Fall, der längst nicht immer eintritt. Besonders vielversprechende Talente wie Lukas Ullrich (Jahrgang 2004) oder Bence Dárdai (2006) wurden jahrelang von Hertha BSC ausgebildet und hatten in Berlin die Aussicht auf Einsatzzeit, konnten aber nicht gehalten werden. Stattdessen entschieden sie sich dafür, ablösefrei zu höherklassigen Vereinen zu wechseln.
Paradebeispiel ist dagegen John Anthony Brooks, der zunächst 130 Pflichtspiele für den Hauptstadtklub absolvierte und seinem Ausbildungsverein im Juli 2017 eine Ablösesumme im zweistelligen Millionenbereich einbrachte. "Auch Arne Maier hat in jungen Jahren viel für unsere Profimannschaft gespielt", verweist Weber auf ein weiteres namhaftes Berliner Eigengewächs.
Maier war Teil der Mannschaft, die im Jahr 2018 die bis dato einzige A-Junioren-Meisterschaft in Herthas Vereinsgeschichte gewann – und er ist der einzige Spieler des "goldenen" Berliner 1999er-Jahrgangs, der sich nachhaltig in der 1. Bundesliga bewiesen hat. Nach 66 Pflichtspieleinsätzen im Hertha-Trikot wurde Maier im Juli 2022 für eine Summe im mittleren einstelligen Millionenbereich von der "Alten Dame" an den FC Augsburg verkauft.
Stammkraft und Nationalspieler: Wie geht es für Maza weiter?
Künftig könnte auch Offensiv-Juwel "Ibo" Maza den Berlinern Einnahmen in Millionenhöhe bescheren. Herthas 19 Jahre alte Nummer 10 hat im Sommer einen Vertrag bis 2027 unterzeichnet, ist mittlerweile algerischer A-Nationalspieler, unter Trainer Fiél gesetzt und mit einem geschätzten Marktwert von acht Millionen Euro der wertvollste Kicker im gesamten Team – sofern man denn dem Fußball-Fachportal transfermarkt.de Glauben schenken mag.
Die Entscheidung über Mazas Zukunft in Berlin dürfte vor allem von der Höhe der Ablösesumme abhängen, die ein anderer Verein bereit ist, für ihn zu bezahlen. Erst recht in dem Szenario, das am Ende der Saison 2024/25 ein drittes Zweitliga-Jahr in Folge für Hertha BSC bedeuten würde.
"Es bleibt unser Ziel, so viele Spieler wie möglich in den Profibereich zu integrieren – mit dem Wissen, dass es immer eine Mischung aus Eigengewächsen, erfahrenen Spielern und Spielern von außen sein wird. Vier oder fünf Eigengewächse, die in der Regel bei uns in der Startelf stehen, sind eine beachtliche Zahl", meint Sportdirektor Weber. "Es geht darum, mit ihnen weiterzuarbeiten und sie weiterzuentwickeln, um ein Fundament für die Zukunft zu bauen."
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"Berliner Weg" als Drahtseilakt
Schließlich ist die sportliche Komponente des "Berliner Wegs", unter dem Druck des gnadenlosen und ungeduldigen Profigeschäfts, ein Drahtseilakt.
Die Zwischenbilanz unter Coach Fiél liest sich, bei allem gefühlten und wohl auch tatsächlichen spielerischen Fortschritt, nicht entscheidend besser als unter Vorgänger Pál Dárdai.
Nach dem 13. Spieltag stehen die Berliner mit 18 Punkten und einem Torverhältnis von 22:22 auf dem 12. Platz. In der Vorsaison war die "Alte Dame" zum Vergleichszeitpunkt ebenfalls Tabellenzwölfter: mit 17 Zählern und 24:22 Treffern. Seit dem Abstieg 2023 standen die Herthaner in der 2. Bundesliga noch nie besser da als auf dem 6. Platz - mit den Aufstiegsrängen hatten sie also noch überhaupt nichts zu tun.
Das weiß auch Benjamin Weber: "Vielleicht ist Hertha BSC irgendwann für den einen oder anderen Spieler zu klein – dann gehen sicherlich andere Türen für sie auf. Auch das gehört zum Berliner Weg."