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Interview | Sportpsychologe Christoph Kittler Sportpsychologe Christoph Kittler: "Psychologie ist nicht dafür da, letzte Prozente aus der Maschine Fußballer zu holen"
Sportpsychologe Christoph Kittler arbeitet seit 2020 im Nachwuchsleistungszentrum von Union Berlin. Im Interview spricht er über die Akzeptanz seiner Methodiken und erklärt, was psychologische Betreuung bei Spielern bewirken kann.
rbb|24: Herr Kittler, mittlerweile arbeiten quasi alle professionellen Fußballvereine mit Psychologen zusammen. Wann begann der Einzug der Psychologie in den Fußball?
Christoph Kittler: Das lässt sich ganz genau sagen. Der Startschuss im Profifußball fiel 2006. Das haben wir dem Arbeitsfeld von Jürgen Klinsmann zu verdanken. Der hat sich bekanntlich viel in den USA umgeguckt und damals Hans-Dieter Hermann in sein Team bei der Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft geholt. Hermann ist erst letztes Jahr zurückgetreten und hat sehr gute Arbeit geleistet. Er hat für uns eine große Pionierrolle übernommen. Das Ganze wurde medienwirksam begleitet und er durfte Interviews geben. Auch wenn er ein sehr zurückhaltender Mensch ist, konnte er Aufklärung für unser Feld betreiben.
Die psychologische Arbeit im Fußball ist also bei weitem nicht mehr neu. Wie steht es heute um die Akzeptanz in einem Sport, der nach wie vor von maskulinen Stereotypen geprägt wird?
Es wurde und wird mit der Zeit merklich besser, die Akzeptanz immer größer und die Fragezeichen kleiner. In den Nachwuchsleistungszentren gibt es seit Jahren eine Pflicht, zumindest für 20 Stunden eine Psychologin oder einen Psychologen anzustellen. Es liegt dann an uns, so gute Arbeit zu machen, damit man nicht nur die Pflicht erfüllt, sondern die Vereine ein Interesse haben, uns bei sich zu haben. Bei mir persönlich ist es so, dass ich mit den für den Klub verpflichtenden 20 Stunden angefangen habe, mich nach zwei Jahren aber vollständig für 40 Stunden auf die Sportpsychologie konzentrieren konnte. Ich bin beim 1. FC Union also über die Pflicht hinaus beschäftigt. Das zeigt mir, dass ich und meine Arbeit akzeptiert sind und man überzeugt ist von der Sache.
Wie sieht die Arbeit eines Sportpsychologen im Alltag konkret aus?
Vormittags habe ich hauptsächliche Sitzungen mit Trainern und bereite Maßnahmen vor, die ich hier durchführe. Nachmittags habe ich dann häufig Gespräche mit Spielern, die sich dafür anmelden müssen. Das geht bei uns also immer vom Spieler aus. Seltener kümmere ich mich auch um Maßnahmen für ein ganzes Team. Mein Fokus liegt nicht auf den Mannschaftserfolgen, sondern eher auf der Entwicklung von Persönlichkeiten und den Spielern, die sich mit ihren Themen melden. Die Jungs wollen sich selbst weiterentwickeln und wir wollen sie dabei begleiten.

Haben die Spieler das Angebot von Anfang an wahrgenommen?
Nein. Es ist aber doch normal, dass erst einmal ein verhaltenes Gefühl bei den Spielern da ist, wenn irgendetwas und jemand neu ist. Mittlerweile bin ich aber solange da und gehöre zu deren Alltag. Für die Generationen, die jetzt nachkommen, ist psychologische Begleitung normal und die Berührungsängste sind weniger geworden. Die Spieler nutzen das, weil sie wissen, dass es um ihre Entwicklung geht und nicht unmittelbar um Probleme.
Beim Sport wird strikt zwischen Erfolg und Misserfolg unterschieden. Haben Sie mehr zu tun, wenn eine Mannschaft in einer sportlichen Krise steckt?
Zum Glück nicht. Meine Arbeit und die Gespräche, die ich führe, sind langfristig angelegt. In einer guten Phase sind vielleicht die Themen andere als in einer schlechten, aber die Arbeit an sich bleibt die gleiche. Eine schlechte Phase kann man auch vorher psychologisch schon vorbereitet haben. In der Regel ist es nicht so, dass ein Spieler sich nur anmeldet, wenn es nicht läuft. Es geht um eine langfristige Entwicklung und wenn überhaupt nur punktuell um Krisen. Es ist natürlich auch super unterschiedlich, was die Spieler bewegt.
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Können Sie Beispiele nennen?
Es geht für mich darum, die Jungs auf einen Fußball vorzubereiten, in dem großer Druck herrscht. Sehr viel dreht sich dabei um Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Häufig geht es aber auch um die Steigerung der Konzentrationsfähigkeit oder eine bessere Organisation im Alltag.
Lange Zeit ging es im Sport hauptsächlich um höher, schneller, weiter. Die physischen Leistungen scheinen aber immer mehr an die Grenzen zu stoßen, das Entwicklungspotenzial ist quasi ausgeschöpft. Wird auch deshalb die Psychologie immer wichtiger?
(überlegt) Man kann schon ein paar Prozente mehr herausholen - deshalb ist sie natürlich schon wichtiger. Psychologie sollte aber nicht dafür da sein, die letzten Prozente aus der Maschine Fußballer herauszuholen. Der Mensch sollte immer im Vordergrund bleiben. Wenn ein Spieler kommt und 'nur' an seiner Persönlichkeit arbeiten möchte, ist das für mich natürlich komplett okay. Es gibt kein 08/15-Programm für jeden Spieler, das er durchlaufen muss. Es ist sehr von den Spielern gesteuert. Wir machen sie nicht zu Robotern.
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Jürgen Klopp sorgte vor einiger Zeit für Aufsehen, weil er beim FC Liverpool versuchte, seine Spieler beim Elfmeterschießen und in anderen Drucksituationen mit Hilfe des Messens von Gehirnströmen zu verbessern.
Ja, sowas haben wir auch. Das ist gar nicht so neu, wie es damals dargestellt wurde. Es handelt sich dabei um ein simples EEG-Messgerät, das Hirnströme misst und sichtbar macht. Dabei spricht man vom sogenannten Neuro-Feedback. Der Spieler sieht auf einem Bildschirm oder mit Hilfe eines Tons, ob er konzentriert ist - ganz banal erklärt. Wir können dann prüfen, ob die Konzentrationstechnik, die angewendet wird, funktioniert oder nicht. Wenn Spieler sich da verbessern wollen, arbeiten wir damit. Erst in einem geschützten Raum und bei Bedarf auch auf dem Trainingsplatz. Das Elfmeterschießen zum Beispiel kann damit ein paar Prozent sicherer werden.
Die mentale Arbeit im Alltag ist das eine, die psychologische Unterstützung in Ausnahmesituationen das andere. Bei den Eisbären Berlin ist vor kurzem ein Mitspieler in jungem Alter an einer Krankheit gestorben. Dass die Eisbären einige Tage später schon wieder auf dem Eis standen, erschien vielen als Mammutaufgabe. Wie hilft man Sportlern in derartigen Situationen, wieder bereit zu sein und Leistung zu zeigen?
Auch Trauer ist ein sehr individuelles Thema. Am wichtigsten ist es auch hier, mit Spielern und Mitarbeitern das Gespräch zu suchen. Die Eisbären haben mit Markus Flemming einen sehr geschätzten Kollegen in ihren Reihen, der sicherlich die richtigen Schritte ergriffen hat. Man muss der Trauer Raum geben und alle abholen. Meine persönlichen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Sport oder die Arbeit ein sehr guter Katalysator sein können, um Dinge zu verarbeiten. Ein Spiel ein paar Tage nach einem tragischen Vorfall kann von manchen Spieler daher sogar begrüßt werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb sport.