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Rollstuhlfahrerplätze fehlen Rollstuhlfahrerplätze: Sportstätten in Berlin und Brandenburg haben Nachholbedarf bei Inklusion

Stand: 11.03.2024 06:06 Uhr

Viele Hallen und Stadien in der Region sind nicht inklusiv genug. Für eine Verbesserung muss viel Geld investiert werden. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung bezeichnet manche Entscheidungen als "gaga". Von Till Oppermann

Jürgen Dusel ist ein Mann klarer Worte. "Wir sind im Bereich der Barrierefreiheit weiterhin nur Kreisliga", sagt der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung im Interview mit der ARD und meinte die deutschen Fußballstadien. In Stadien bis 5.000 Plätzen sollen eigentlich ein Prozent und bei größeren Stadien 0,5 Prozent aller Plätze für Rollstuhlfahrer bereitgehalten werden. So steht es im Muster-Versammlungsstättenverordnung der Bundesregierung.
 
Doch diese Vorgabe erfüllt kein Bundesligastandort. Und das, obwohl der Ligaverband DFL die Vorgabe in seine Statuten übernommen hat.

 
Bitter sei das, sagt Dusel. "Wenn Inklusion nicht richtig stattfindet, dann haben bestimmte Leute auch ein Demokratieproblem." Schließlich seien das zwei Seiten derselben Medaille. Sowohl die DFL als auch die Bundesligavereine müssten sich verbessern, fordert er, und zwar: "Nicht, weil das ein Akt der Fürsorge ist, sondern Menschen mit Behinderung sind Fans wie alle anderen auch."

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Union Berlin muss nachlegen

Einer der Vereine, die das betrifft, ist der 1. FC Union Berlin. Im vereinseigenen Stadion an der Alten Försterei gibt es insgesamt nur 34 Rollstuhlplätze. Nötig wären laut den DFL-Statuten aber 135. Aber warum setzt der Verband das nicht durch?
 
Christian Arbeit, Pressechef bei den Eisernen, erklärt: "Die Infrastruktur soll sportlichen Erfolgen nicht im Weg stehen." Das gesamte Stadion sei laut den Regeln der DFL eigentlich nicht erstligatauglich, gibt Arbeit zu.
 
Union durfte nach dem Aufstieg mit einer Sondergenehmigung trotzdem weiter dort spielen, weil kein Verein dafür bestraft werden soll, wenn er sich sportlich schneller entwickelt als infrastrukturell.
 
Zumal der Ausbau und die Modernisierung des Stadions längst beschlossen sind. Konkrete Zahlen kann Arbeit noch nicht nennen, es ist aber klar, dass es in der neuen Alten Försterei deutlich mehr Plätze für Menschen mit einer Einschränkung geben wird. Weil Union drei Plätze für die Gäste vorhält und 24 Rollstuhl-Dauerkarten verkauft hat, gehen aktuell pro Spiel nur sieben Tickets in das gesonderte Losverfahren.

Olympiastadion auch nach Umbau nicht ausreichend

In der Saison 2025/26 werden Rollstuhlfahrer deutlich bessere Chancen auf Karten haben. Dann will Union ins Olympiastadion ausweichen. Das wurde rechtzeitig zur Europameisterschaft im Sommer modernisiert. Veranstaltungsdirektor Christoph Meyer schwärmt: "Es lag ein großer Fokus auf Inklusion."
 
Die Uefa forderte für das Olympiastadion eigentlich 270 Rollstuhlplätze. Weil die baulichen Voraussetzungen des denkmalgeschützten Olympiastadions mehr nicht zuließen, wurden es nur 228. Das ist immerhin eine Erhöhung um 36 Prozent und anders als an anderen Standorten sollen die Plätze aber auch nach dem Turnier erhalten bleiben. "Insofern war die Euro ein Motor, um hier Maßnahmen umzusetzen, die auch alle anderen Veranstalter nutzen können", erklärt Meyer.
 
Aus den insgesamt knapp 30 Millionen Euro, die die Landesregierung für den Umbau zu Verfügung gestellt hatte, flossen ungefähr 2,35 Millionen in Inklusionsmaßnahmen. Einige hunderttausend Euro davon wurden für den Bau sogenannter "Easy-Access-Plätze" aufgewendet. Diese 348 Vorzugsplätze sind für Menschen mit Gehhilfen und anderen Hilfsmitteln bestimmt und werden natürlich auch bei allen zukünftigen Heimspielen von Hertha BSC zur Verfügung stehen.

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Großer Unterschied zwischen den Hallen

Das ist keinesfalls selbstverständlich. Aus 144 Rollstuhlplätzen werden beispielsweise in Dortmund nach dem Turnier wieder 72. Gaga und fast zynisch sei das, schimpft Behindertenbeauftragter Jürgen Dusel. "Zu sagen, wir machen das jetzt, weil wir es eben von außen gesagt bekommen - und dann bauen wir wieder zurück."
 
Zumal Chancen wie die Euro, bei denen die öffentliche Hand Geld für Umbaumaßnahmen bewilligt, selten sind. Viele Sportstätten werden für eine lange Zeit gebaut. Wenn sich in der Folge Standards und Verordnungen ändern, ist es sehr teuer und teilweise nicht möglich, darauf zu reagieren.
 
Das zeigt auch ein Vergleich der beiden großen Hallensport-Spielstätten in der Hauptstadt. Die 1996 eröffnete Max-Schmeling-Halle hat bei einer Gesamtkapazität von 8.500 bei Spielen der BR-Volleys und den Füchsen Berlin 16 Plätze für Rollstuhlfahrer, deren Anzahl auf bis zu 75 erweitert werden kann.
 
In der 2008 eröffneten Mercedes-Benz-Arena sind es bei Spielen der Eisbären und von Alba Berlin 196 Plätze für Rollstuhlfahrer und ihre Begleiter. Dieses größere Angebot wird angenommen: "In der Saison 23/24 hatten wir eine Auslastung von 90 Prozent auf diesen Plätzen", schreiben die Eisbären auf Anfrage.

Cottbus profitiert von erfolgreicher Vergangenheit

Wie wichtig sportlicher Erfolg und die damit verbundenen Einnahmen für die Ermöglichung von Teilhabe sein können, zeigt das Beispiel von Energie Cottbus. Der Viertligist verfügt insgesamt über 154 Plätze für Menschen mit Einschränkungen, davon 50 für Rollstuhlfahrer. Das hänge damit zusammen, dass die Osttribüne im LEAG Energie Stadion gebaut worden sei, als Energie Cottbus 2003 in der Bundesliga spielte, erklärt Stefan Schwarzenberg-Hecht.
 
Der Cottbuser Pressesprecher fährt fort: "Die Planungen waren auch im Bereich der Inklusion und Schaffung von Barrierefreiheit für die damalige Zeit auf modernste Standards ausgelegt."
 
Die Auslastung der Plätze liegt im Durchschnitt ungefähr bei 50 Prozent. Der Verein hat vor der Saison 30 Rollstuhlfahrer-Dauerkarten verkauft. Gemessen an der Gesamtkapazität von 10.787 steht auch der Brandenburger Rivale Babelsberg 03 im Vergleich zu so manchem Bundesligisten gut da. Zumal von den 20 Rollstuhlplätzen im Karl-Liebknecht-Stadion nur vier dauerhaft vergeben sind. Easy-Access-Plätze gibt es in dem Stadion, das 2012 zuletzt renoviert wurde, nicht.

Senat will Jahn-Sportpark als Leuchtturmprojekt ausbauen

Als Vorbild für andere Sportstätten soll der Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg als "Leuchtturmprojekt für Inklusion, Teilhabe und Gleichberechtigung" ausgebaut werden.
 
So soll das Gelände auch in Zukunft weiterhin für die Bevölkerung, Schulen und Vereine nutzbar bleiben und gleichzeitig ein Stützpunkt für Behindertensport entstehen.
 
Deshalb spielten Fragen bezüglich der Barrierefreiheit der Sportstätten im Designprozess eines Architekten-Wettbewerbs eine wichtige Rolle. Auch Menschen mit Bewegungseinschränkungen sollen mit Hilfe von zahlreichen Rampen jeden Teil des Stadions erreichen können, ohne dabei auf Aufzüge angewiesen zu sein.
 
Weitere inklusive Elemente wie etwa ein Blindenfußball-Platz oder eine Laufrunde mit akustischen Signalen, geeignet für blinde und eingeschränkt sehende Menschen, sind Teil der Pläne. "Es wird das erste Stadion, das es allen Menschen ermöglicht, Sport zu treiben und zu erleben", erklärte die damalige Staatssekretärin für Sport, Dr. Nicola Böcker-Giannini im Dezember 2022 als die Pläne vorgestellt wurden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.03.2024, 09:15 Uhr