Vier Wochen im Amt Nach vier Wochen im Amt: Unions Trainer Baumgart sucht noch erfolglos nach der sportlichen Identität
Im ersten Monat unter Steffen Baumgart wurde deutlich, dass ein Trainerwechsel allein nicht reicht, um die Probleme des 1. FC Union zu lösen. Der Verein weiß nicht, für welchen Fußball er stehen will. Von Till Oppermann
Steffen Baumgarts erster Monat beim 1. FC Union hat sich angefühlt wie die Theorieprüfung für den Führerschein. Zumindest wie die eines Fahrschülers, der die richtigen Antworten nicht auswendig gelernt hat. Wie Union schnell wieder erfolgreich werden kann, war sicher einer der Fragen, die Horst Heldt Steffen Baumgart zu Beginn der Zusammenarbeit gestellt hat. Bisher sucht der Trainer die Antwort nach dem Ausschlussprinzip. Seine gewünschte Viererkette ließ er schon nach zwei erfolglosen Spielen gegen Heidenheim und Augsburg sein.
Das 0:3 gegen St. Pauli - der dritten Niederlage im vierten Spiel - brachte Baumgart die nächste Erkenntnis. Seiner Mannschaft habe die Einfachheit gefehlt, so Baumgart. Man müsse wissen, was man könne und was man nicht könne, erklärte er: "Und sich durchkombinieren liegt jetzt vielleicht nicht in unserer Stärke." Nach vier Wochen im Amt weiß Baumgart vor allem, was seine Mannschaft nicht kann. Nach einer Lösung sucht er noch.
Offensivspiel schon lange schlecht
Bei seiner Vorstellung präsentierte sich der ehemalige Stürmer als Trainer, der offensiv denkt. Seine Teams seien stets dafür bekannt gewesen, viele Tore zu schießen. Das klang schön, aber auch Baumgart wurde schnell mit Unions Realität konfrontiert. Keine Mannschaft schießt so wenig Tore wie die Köpenicker. Schon Baumgarts Vorgänger Nenad Bjelica und Bo Svensson scheiterten daran, dass sich die Mannschaft kaum Chancen erspielte und die wenigen, die sie bekam, oft kläglich vergab.
Baumgarts Antwort auf das maue Angriffsspiel klang nach der Niederlage auf dem Kiez reichlich resigniert. Die Spieler müssten "klarer nach vorn spielen" und da die Bälle gewinnen, so Baumgart. Im Klartext: Ab jetzt setzt er im Spielaufbau auf lange Bälle. Ob die ankommen, ist zweitrangig. Hauptsache, die Mannschaft kommt gut ins offensive Gegenpressing und sammelt die Abpraller ein.
Im Sturm fehlt Qualität
So soll der Weg zum Tor für die Stürmer um Jordan Siebatcheu und Benedict Hollerbach kürzer werden. Ob das allein hilft, darf bezweifelt werden. Beim 0:3 auf St. Pauli hatten beide gute Chancen, aber trafen nicht. Mal wieder lobte ihr Trainer den Aufwand, den beide betrieben hatten. Doch im Vergleich zu ihren Vorgängern Taiwo Awoniyi, Sheraldo Becker und Max Kruse fehlt ihnen vor dem Tor schlicht und ergreifend die Qualität.
Trotzdem setzt der Trainer weiter auf das Duo. Aus der Not heraus. Jordans Ersatzmänner Andrej Ilic und Ivan Prtajin sind häufig verletzt oder krank. Ob Kevin Volland nach seiner Knie-Operation jemals zu alter Stärke findet, weiß niemand.
Hollerbach-Ersatz Yorbe Vertessen strich Baumgart gegen Augsburg sogar aus dem Kader, obwohl er fit war. Dazu kritisierte er die Einstellung des Belgiers. Insgesamt haben die sechs genannten Stürmer in dieser Saison fünf Tore geschossen - vier davon gehen auf Hollerbachs Konto. Auch deshalb sucht Sport-Geschäftsführer Horst Heldt händeringend nach Verstärkungen. Bis zum 3. Februar ist das Wintertransferfenster geöffnet.
Mannschaft fehlt klares Profil
Doch auch ein neuer Stürmer könnte der nächste Fall fürs Ausschlussprinzip werden. Denn Unions Probleme liegen deutlich tiefer. Der Verein steht vor einer Frage, die aktuell niemand so richtig beantworten kann. Für welche Art von Fußball steht man eigentlich?
Das fängt mit der Kaderzusammensetzung an. Spieler wie Vertessen und Tim Skarke sind auf der offensiven Außenbahn zu Hause. Tom Rothe und Josip Juranovic sind klassische Schienenspieler. Ein System, in dem alle ihren Platz haben, ist schwer zu finden. Diese Erfahrung machte auch Baumgart, als er seine Viererkette ausprobierte und unter anderem daran scheiterte, dass ihm defensivstarken Außenverteidiger fehlten. Union hat viele talentierte Spieler, aber wenige, die gut zusammenpassen.
Das gilt sogar für die stark besetzte Innenverteidigung. Wie schon Svensson will auch Baumgart den Ball möglichst hoch auf dem Feld im Gegenpressing gewinnen. Dafür soll die gesamte Mannschaft geschlossen nach vorne rücken, um Lücken zwischen den Reihen eng zu halten. So öffnen sich hinter der eigenen Abwehr Räume für den Gegner. Leider fehlt Kevin Vogt und Diogo Leite das Tempo, diese zu schließen. Auch deshalb tendierten die Eisernen immer wieder dazu, tiefer zu stehen als gewünscht. Zumal das Team unter Urs Fischer perfektioniert hatte, aus einem tiefen Block heraus zu verteidigen.
Union braucht mehr als Emotionalität
So ist es kein Wunder, dass insbesondere langjährige Führungsspieler wie Rani Khedira und Christopher Trimmel in Interviews regelmäßig "Stabilität" und die Rückbesinnung auf "Unions Tugenden" einfordern. Und es ist ebenfalls kein Wunder, dass ausgerechnet diese beiden unter Baumgart bisher keine große Rolle spielen. Nicht nur fußballerisch gibt es dafür gute Gründe. Beide stehen für Unions unglaublichen Weg aus der zweiten Liga in die Champions League. Aber nach den vergangenen anderthalb Jahren stehen beide auch dafür, dass Union sich kontinuierlich verschlechtert und keine Antwort darauf findet.
Ganz offensichtlich versucht der Trainer, eine neue Hierarchie aufzubauen. Wenn das funktionieren soll, muss er die Mannschaft schnell von seinen Lösungsansätzen auf dem Feld überzeugen. Bisher sprechen die Spieler vor allem über den Charakter des Trainers. "Baumgart ist einer, der den Verein lebt. Seine Emotionalität tut uns gut", sagte etwa Aljoscha Kemlein. Noch dringender braucht Union einen Trainer, der sportlich eine Idee präsentiert, an der Spieler und Verein wachsen können.
Sendung: rbb Der Tag, 27.01.2025, 19:15 Uhr