Das Eiskunstlauf-Paar Minerva-Fabienne Hase und Nikita Volodin holten mit ihrem Kurzprogramm den vorläufigen ersten Platz bei der EM. (Foto: IMAGO / AFLOSPORT)

Interview | Eiskunstlauf-Experte Daniel Weiss Interview mit Experte Daniel Weiss: "Alles andere als Gold wäre für Hase/Volodin eine Enttäuschung"

Stand: 29.01.2025 18:20 Uhr

Für ARD-Experte Daniel Weiss sind Minerva-Fabienne Hase und Nikita Volodin bereit für den EM-Titel im Eiskunstlauf. Im Interview spricht der Ex-Profi über die Nerven von Hase und die positive Entwicklung des Berliner Duos Annika Hocke und Robert Kunkel.

rbb|24: Herr Weiss, was für ein Kurzprogramm haben wir in Tallinn gesehen? Was waren die größten Auffälligkeiten, die Sie generell - vielleicht auch abseits der deutschen Paare - beobachten konnten?
 
Daniel Weiss: Ich muss sagen, dass ich beim Paarlauf immer etwas skeptisch bin, vor allem bei den ersten Paaren, die oft leider echt schwache Leistungen zeigen. Heute (am Mittwoch, Anm. d. Red.) war es aber von Beginn an ein relatives gutes Niveau. Island hat beispielsweise zum ersten Mal überhaupt ein Paar zur EM geschickt und die sind mir eigentlich sogar zu schlecht weggekommen. In der Qualitätsspitze gibt es allerdings relativ wenige fehlerfreie Programme. Das darf auf Weltklasseniveau so eigentlich nicht passieren. Es fehlen halt Japan, Kanada, die USA und eben auch Russland, die das Niveau sonst stets hochschrauben. Ich fand es heute dennoch insgesamt in Ordnung.

Minerva Hase und Nikita Volodin bei der Eiskunstlauf-EM in Tallinn (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Sergei Grits)
Hase/Volodin nach Kurzprogramm auf Gold-Kurs
Das Berliner Eiskunstlauf-Paar Minerva Hase und Nikita Volodin liegt nach dem Kurzprogramm bei der Europameisterschaft in Tallinn (Estland) in Führung. Das Duo legte am Mittwochnachmittag einen furiosen Start hin und peilt Gold an.mehr

Das deutsche Eiskunstlauf-Spitzenduo aus der Berlinerin Minerva Hase und Nikita Volodin hat einen furiosen Start hingelegt (71,59 Punkte) und liegt auf Gold-Kurs. Wie blicken Sie auf ihre heutige Performance, die auf Platz eins führte?
 
Ich würde es gar nicht "furios" nennen - dafür hätte es heute absolut lupenrein sein müssen. Es war ein sehr guter Auftakt. Volodin hatte nach dem Solosprung einen kleinen Wackler, insgesamt fand ich es aber sehr souverän. Beide wollten sich ja künstlerisch weiterentwickeln und das haben sie in meinen Augen geschafft. Ich fand sie zuletzt relativ glatt, sie haben halt ihre Leistung heruntergespielt, aber um ein Top-Paar zu sein, das Olympia-Gold holen will, brauchen sie die Emotionen und das komplette Eingehen auf die Musik. Hier haben sie einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Wie trainiert man dieses Gefühl?
 
Zum einen muss man es einfach in sich haben - für beide kommt das Künstlerische eher natürlich. Zum anderen braucht es ein blindes Verständnis füreinander. Hase und Volodin sind erst seit zwei Jahren ein Paar, da dauert es etwas, bis man nicht mehr überlegen muss, wo Fuß und Hand des jeweils anderen sind. Wenn die tausenden Dinge während eines Laufs voll automatisiert sind, kannst du dich auf das Künstlerische konzentrieren.

Sie sagten wenige Sekunden vor Beginn ihres Kurzprogramms, dass die Frage ist, ob Hase ihre Nerven im Griff haben wird. Können Sie diesen Gedanken weiter ausführen?
 
Letztes Jahr bei den Europameisterschaften sind ihr die Nerven durchgegangen, da sind sie nur Fünfte geworden. Beim jüngsten Grandprix lagen sie auch in Führung, aber auch da hat sie ihre Sprünge nicht so souverän wie sonst absolviert. Da merkt man, dass der schwarze Peter in ihrem Ohr steckt und ihr zuflüstert: "Hoffentlich klappt das heute!" Das ist ein Thema, an dem sie arbeitet - auch mit einer Sportspsychologin. Sie schafft es bislang ganz gut, auch durch die Hilfe ihres Trainers, der ihr immer wieder sagt, dass sie nur von Element zu Element denken soll. Es hilft nicht, direkt an irgendeinen schweren Wurf zu denken - das allerdings in den Kopf zu bekommen, ist leichter gesagt als getan. Sie ist ja auch nur ein Mensch. Volodin ist dahingehend weniger verkopft. Das Paar wird reifer, was im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Mailand das allerwichtigste sein wird - dort werden sie die Souveränität bis in die letzte Fingerspitze brauchen.

Rechnen Sie mit Gold für Hase/Volodin bei dieser EM?
 
Ich habe schon vor dem Turnier mit Gold gerechnet! Die beiden können sich nur selbst schlagen. Treten sie in der Kür souverän auf, führt kein Weg an ihnen vorbei. Ich hatte mich vor dem EM-Start nur gefragt, ob Hase mit dem Favoritendruck umgehen kann, denn alles andere als Gold wäre eine Enttäuschung. Sie haben schon bei der letzten Weltmeisterschaft gezeigt, mit dem Druck umgehen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie morgen einbrechen. Sie stehen seit zwei Jahren bei nahezu jedem Wettbewerb, an dem teilgenommen haben, auf dem Podium - 80 Prozent davon als Sieger. Sie sind für den EM-Titel bereit.

Das Eiskunstlauf-Paar Robert Kunkel (l.) und Annika Hocke bei ihrem EM-Kurzprogramm. (Foto: IMAGO / AFLOSPORT)

Hocke Kunkel EM

Auch das zweite Berliner Duo Annika Hocke/Robert Kunkel darf sich zur Halbzeit auf Rang fünf (62,68 Punkte) noch Hoffnungen auf eine Medaille machen. Ein Erfolg, nachdem Hocke zum Ende des letzten Jahres Verletzungsprobleme plagten?
 
Definitiv. Ich hatte nach ihrem Kurzprogramm kurz Kontakt zu den beiden und sie sind wirklich glücklich über ihre Leistung. Abgesehen von einfachen Fehlern, die sie gemacht haben, empfand ich sie von der ersten Sekunde als angriffslustig, kraftvoll und fokussiert. Es war ein gut gemachtes Programm, das den beiden steht - vor allem, da Hocke hier glänzen kann. Kunkel ist eher der stoische Arbeiter, der aber viel Stabilität und Sicherheit schenkt, und Hocke ist die Galionsfigur. Das kehrt dieses Programm gut heraus. Hätten sie den kleinen Fehler beim Wurf nicht gehabt, hätten sie auch locker auf Rang vier einlaufen können. Bei der vorhandenen Konkurrenz sehe ich keine Gründe dafür, dass das Paar nicht auf Rang drei enden könnte.

Annika Hocke mit ihrem Eiskunstlauf-Partner Robert Kunkel. Quelle: imago images/AFLOSPORT
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Sie lobten in Ihrem Kommentar einen "sehr starken" Auftritt des Paares, das sich in Ihren Augen in "allen Aspekten" verbessert habe. Können Sie die Entwicklung von Hocke/Kunkel noch einmal näher beschreiben?
 
Auch dieses Paar fand ich im vergangenen Jahr oft zu glatt, Kunkel kann in seiner Art oft nicht mit Hocke mithalten, was das Künstlerische betrifft. Nun haben sie ein gutes Konzept für ihr Programm gefunden, da bei ihre Stärken einbringen können. Zudem sind sie zuletzt bei der Show "Holiday on Ice" mitgelaufen und haben sich dort einiges bei den Paaren abgeguckt. Dort geht es um absolute Show-Aspekte und niemand interessiert sich dafür, welchen Wurf sie dort genau machen - die Leute wollen unterhalten werden. Das Selbstbewusstsein, das sie aus jenen Shows gezogen haben, haben sie in ihre Programme mitgenommen und das hat ihnen unglaublich gut getan.

Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview führte Marc Schwitzky, rbb|24 Sport.

Sendung: rbb24, 29.01.2024, 21.45 Uhr