Datenanalyse St. Pauli gegen Kiel - Wer hat die besseren Karten im Kellerduell?
Den Start ins Bundesliga-Abenteuer hatten sich die Aufsteiger FC St. Pauli und Holstein Kiel wohl anders vorgestellt. Beide stehen unten drin - und treffen nun am Freitag aufeinander. Wer holt sich den wichtigen Sieg im Nordduell? Das sagen die Daten.
Der Blick auf die Tabelle vor dem Nordduell am Freitagabend (20.30 Uhr, im NDR Livecenter) am Hamburger Millerntor zeigt schnell, wo bei St. Pauli der Schuh drückt. Bei nur sieben geschossenen Toren in elf Spielen ist es fast schon überraschend, dass das Team von Alexander Blessin überhaupt schon acht Punkte auf dem Konto hat. Und nimmt man die drei Treffer vom ersten Saisonsieg in Freiburg einmal weg, wird die Misere noch deutlicher: Siebenmal blieben die Kiezkicker ohne eigenen Treffer!
Kiel wiederum hat bereits 28 Gegentore kassiert. Das sind sogar doppelt so viele wie beim Gegner, nur der Letzte Bochum (32) steht noch schlechter da. Lediglich beim einzigen Saisonsieg gegen Heidenheim (1:0) stand hinten die Null.
Die Daten von Global Soccer Network (GSN) untermauern, dass diese Statistikwerte nicht von ungefähr kommen: Auch bei den Expected Goals belegt St. Pauli mit 9,79 Rang 18. Bei Kiel bedeuten 23,08 Expected Goals against Platz 17.
Das "Expected goals"-Modell
"Expected goals" sind "zu erwartende Tore" und werden anhand eines Datenmodells berechnet, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließt - unter anderem von wo auf dem Platz der Abschluss erfolgte, wie der Winkel zum Tor war und wie viele Gegenspieler noch zwischen Ball und Tor standen. Jede Torchance erhält dabei einen Wert zwischen 0 und 1, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der der Ball von diesem Punkt aus im Tor landet. "Expected goals"-Werte sind so aussagekräftiger als die normale Torschuss-Statistik, die alle Abschlüsse gleich behandelt. GSN hat zur Berechnung mehr als 3 Millionen Tore ausgewertet.
Hoffnung auf ein unterhaltsames Kellerduell machen die Begegnungen in der vergangenen Zweitliga-Saison: Mit 5:1 fertigten die Kiezkicker ihren Gegner am Millerntor ab. Noch mehr Tore fielen im Rückspiel in Kiel, als erneut St. Pauli mit 4:3 gewann.
In St. Paulis Offensive hakt es überall
Allerdings ist es den Hamburgern noch immer nicht gelungen, den Abgang von Topscorer Marcel Hartel im Sommer in die USA auch nur annähernd aufzufangen. Die Daten weisen das offensive Mittelfeld genauso wie die offensive Außenbahn und den zentralen Angriff als klare Schwachstellen aus.
Es hapert an allen Ecken und Enden. Die Probleme beginnen beim schlechten Pressing, weshalb St. Pauli nur wenig gefährliche Ballgewinne verzeichnet. Weiter geht es mit einem schwachen Passspiel in der Offensive: Die Erfolgsquote bei den "smarten Pässen", also jenen, die die gegnerischen Linien durchbrechen sollen, liegt gerade einmal bei 36 Prozent. Das führt im Endeffekt zu den wenigen Expected Goals - und die Ausbeute ist dann auch noch bescheiden, weil die Chancenverwertung ebenfalls zu wünschen übriglässt.
Die einzige Ausnahme bildet hier ausgerechnet der 3:0-Erfolg in Freiburg, als Elias Saad und Co. aus 1,10 Expected Goals gleich drei Tore machten. Und Freiburg hatte sogar noch einen besseren Wert (1,20).
Weiner und Machino bei Holstein Kiel die Stärksten
Dass es bei Holstein offensiv besser läuft, ist nicht zuletzt Shuto Machino zu verdanken. Der Japaner ist mit vier Treffern der mit Abstand gefährlichste Spieler auf dem Platz. Der Angreifer ist schnell und beweglich. Gerade bei langen Pässen in die Tiefe, die zudem zu Kiels Stärken gehören, muss St. Pauli höllisch aufpassen. Die Daten wiesen den 25-Jährigen bereits vor der Saison als einen der wenigen Bundesliga-tauglichen Spieler in Kiels Kader aus. Aber: Er bekommt zu wenige gute Zuspiele.
Als "bedingt Bundesliga-tauglich" galt Torhüter Timon Weiner - aber mit dem klaren Potenzial für mehr. Und dieses hat der 25-Jährige schneller nachgewiesen als erwartet: Aufgrund der Abwehrschwäche des Teams steht der 1,90-Meter-Mann besonders im Fokus und belegt in der Paraden-Statistik mit 3,88 pro Spiel ligaweit den vierten Platz. Mit einer Quote von 58 Prozent gehaltenen Bällen bei den Schüssen aus kurzer Distanz ist er zudem Siebter - und hat schon manch höhere Niederlage verhindert.
Und dann ist da noch die Kieler Standardstärke. 58 Prozent ihrer Tore haben die "Störche" nach Standardsituationen erzielt. Was wiederum nicht zuletzt an der Kopfballstärke liegt - in mindestens jedem dritten Spiel ein Kopfballtor bedeutet im Ligavergleich Rang fünf.
St. Paulis Defensive mit einem klaren Plan
Demgegenüber steht allerdings St. Paulis Abwehrbollwerk. Die Hamburger haben erst ein Tor nach einem Freistoß des Gegners kassiert. Außerdem leisten sich Abwehrchef Eric Smith und seine Nebenleute extrem wenig Fehler im Spielaufbau. Mit nur 4,45 gefährlichen Ballverlusten im eigenen Spielfelddrittel pro Partie sind sie Zweiter der Liga. Bei der Defensivarbeit konzentrieren sie sich besonders darauf, das Zentrum dichtzumachen. So lassen sie überhaupt nur wenige hochprozentige Abschlüsse des Gegners zu.
Und falls doch mal ein Schuss durchkommt, ist da auch noch Keeper Nikola Vasilj. Mit 75 Prozent gehaltenen Bällen gehört der Bosnier zu den besten Torhütern der Beletage. Und es ist besonders auffällig, dass er regelmäßig Möglichkeiten entschärft, die eine hohe Wahrscheinlichkeit auf ein Tor haben.
Prognose: Leichte Vorteile für St. Pauli
Das Fazit lautet daher aus Datensicht: St. Pauli hat die größeren Chancen auf den Sieg. Die defensive Stabilität, die physische Intensität und die bessere Organisation sprechen für die Gastgeber, die neben Machino auch auf Lewis Holtby aufpassen müssen. Der frühere HSV-Spieler ist der kreative Kopf im Kieler Mittelfeld.
Mit einer guten Defensive Kiels gefährliche Offensivleute zu stoppen, muss ein Ziel des FC St. Pauli sein. Mindestens genauso wichtig ist es aber, dass die Hamburger selbst treffen: Denn nach fünf Heimspielen wartet die Mannschaft von Coach Blessin noch immer auf das erste Tor im eigenen Stadion. Es wird also Zeit, dass Kapitän Jackson Irvine, Johannes Eggestein und Oladapo Afolayan aus Hartels langem Schatten treten.
Holstein muss hingegen wohl auf individuelle Fehler von St. Paulis Defensive hoffen - und dann auch nutzen. Sonst bleiben die Standardsituationen, um im Spiel einen Vorteil zu erlangen. Da könnte besonders Patrick Erras helfen. Der 1,96-Meter-Mann ist die personifizierte Kopfballstärke.
Aussichten für St. Pauli und Kiel insgesamt finster
Beim Blick auf die Tabelle vor dem Nordduell in Hamburg ist klar: Eigentlich sind sowohl St. Pauli als auch Kiel zum Siegen verdammt, ein Unentschieden würde keinem wirklich nutzen. Denn der Ausblick ist für beide Teams wenig verheißungsvoll.
St. Pauli belegt in der errechneten Abschlusstabelle Rang 16 - müsste also in die Relegation. Für die Schleswig-Holsteiner schlägt am Ende sogar Rang 18 zu Buche - die Abstiegswahrscheinlichkeit beträgt auf Grundlage der aktuellen Datenlage schon jetzt satte 72 Prozent. Ein Sieg in Hamburg könnte aber die Vorzeichen nicht zuletzt auch mit Blick auf die Moral und Hoffnung in eine positivere Richtung drehen.
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Sport aktuell | 29.11.2024 | 12:17 Uhr