Vendée Globe Segel-Experte Kröger schreibt Herrmann nicht ab
Die Segler bei der Vendée Globe nähern sich einer vielleicht vorentscheidenen Phase im Südpolarmeer. NDR-Experte Tim Kröger sieht Gefahren auf das Spitzenduo zukommen - und schreibt Boris Herrmann noch längst nicht ab.
Es war - nicht zum ersten Mal - keine schöne Nacht für Boris Herrmann bei der Vendée Globe. Der Hamburger Skipper musste am Foilkasten seiner Malizia Reparaturarbeiten vornehmen.
Mit einer gewissen Kreativität bekam er das Problem zumindest vorläufig in den Griff, Kraft kostete die Reparatur aber doch. Seine virtuelle Teilnahme am NDR Talk am Mittwoch musste Herrmann wegen Müdigkeit absagen.
Extreme Bedingungen im Südpolarmeer
Technische Probleme häufen sich bei der spektakulären Solo-Weltumseglung nach dreieinhalb Wochen auf See. "Die Boote fangen an, sich aufzulösen", sagte NDR Segel-Experte Tim Kröger am Mittwoch.
Und in den kommenden Tagen könnte es einige Segler deutlich schlimmer erwischen als Herrmann, wenn es im Südpolarmeer extreme Bedingungen gibt.
"Das sind die unwirtlichsten Ecken der Welt, mit starker Belastung für Mensch und Material. Das ist gigantisch und echt hart", betonte Kröger: "Da unten ist alles grau: das Wasser, der Himmel - und der Albatros, der manchmal vorbeikommt."
Kröger: "Könnte gruselig werden"
Kritisch werden könnte es vor allem für das Spitzenduo Charlie Dalin (Macif Santé Prévoyance) und Sébastien Simon (Groupe Dubreuil), das sehr weit südlich segelt und direkt auf ein Tief zusteuert, während andere noch rechtzeitig den Bogen nach Norden geschlagen haben. Der Weg ist deutlich weiter, aber auch schonender für Mensch und Material. "Dalin und Simon könnten von dem Tiefdruckgebiet aufgefressen werden. Die Nacht von Freitag auf Sonnabend könnte gruselig werden", prognostizierte Kröger.
Im schlimmsten Falle erwarten die beiden Franzosen Winde von bis zu 60 Knoten und zehn Meter hohe Wellen. "Das sind Bedingungen, da geht es nicht ums Regatta-Segeln, sondern vor allem ums Überleben", betonte Kröger deutlich.
"Das sind keine Regattabedingungen, das sind Überlebensbedingungen."
— Tim Kröger
Dalin und Simon können nur hoffen, dass es nicht ganz so schlimm wird, eine Kursänderung ist ausgeschlossen. "Die haben keine Möglichkeiten mehr, nach Norden umzuschwenken und müssen das ausfahren", sagte Kröger.
Auch nach Süden gibt es keine Ausweichmöglichkeit, da sich dort die Eisgrenze befindet.
Stichwort: Sperrgebiete
Die Skipper müssen während der Vendée Globe einige Bereiche meiden. Drei verschiedene Arten von Sperrgebieten werden durch GPS-Punkte in ihrer Routing-Software angezeigt. Zonen mit starkem kommerziellen Verkehr, wie Schnellstraßen für Frachtschiffe und Containerschiffe, sind den Seglern im Nordatlantik bekannt, wie beispielsweise die Ushant-Schifffahrtsroute an der Spitze der Bretagne oder das Kap Finisterre im Nordwesten Spaniens. Es gibt sechs solcher Sperrzonen für die Imocas auf dem Kurs, zusätzlich eine Ölplattformzone vor der Küste Brasiliens.
Ein neues Merkmal sind die Zonen zum Schutz der Biodiversität. Um Kollisionsrisiken mit Booten zu minimieren, wurden zwei Zonen auf dem Kurs als unzugänglich markiert, da sie eine wichtige Rolle als Migrations- und Brutgebiete für große Wale und andere Meeressäugetiere spielen, nahe den Azoren und Kap Verde.
Die Eiszone oder Antarktische Sperrzone umschließt den Südpol, um zu verhindern, dass die Rennteilnehmer eine kürzere Route nehmen, die das Risiko birgt, auf treibendes Packeis, Eisberge oder Growlers - kleine Eismassen, die im Wasser treiben - zu stoßen. Die Zone wird ständig von Satelliten überwacht, um Bewegungen von Packeis und abgebrochene Eisberge zu identifizieren. Die Zone kann sich ändern, wenn das Rennmanagement über abdriftendes Eis auf dem Kurs informiert wird.
Die Verfolger befinden sich weiter nördlich womöglich in einer deutlich besseren Position. Zuletzt hatte Yoann Richomme einen auf den ersten Blick ungewöhnlichen Kurs gewählt, der sich aber bezahlt machen könnte.
"Richomme hat ein Husarenstück hingelegt und ist einfach mal nach Nordwesten abgebogen. Im Grunde genommen ist er zurückgesegelt, um sich besser zu positionieren. Er hat investiert, um diesem dramatischen Tief, das sich da entwickelt, zu entgehen", beschrieb Kröger die Taktik. Ähnlich verhielt sich Boris Herrmanns ehemaliger Navigator Nicolas Lunven (Kröger: "Ein cleveres Kerlchen").
"Für Boris ist noch nicht alles zu Ende"
Und wie steht es um Herrmann? "Er muss kämpfen. Aber es ist ein Marathon und es gibt noch reichlich Möglichkeiten", schätzt Kröger die Lage des gebürtigen Oldenburgers ein: "Es sind erst 30 Prozent des Rennens gesegelt, und er hat schon ein paar Meilen aufgeholt. Für Boris ist noch nicht alles zu Ende."
Doch auch bei Herrmann wird es darauf ankommen, wie stabil sein Boot ist - gerade nach der jüngsten Reparatur. "Die war nicht ganz ohne, ist aber nicht das Ende vom Lied", so Kröger mit verhaltenem Optimismus.
Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 04.12.2024 | 13:00 Uhr