Linksaußen Jean-Luc Dompé (l.) und Interimscoach Merlin Polzin vom Hamburger SV

"Lassen uns nicht treiben" Polzin auch gegen Darmstadt HSV-Trainer

Stand: 02.12.2024 13:35 Uhr

Der HSV schenkt Interimscoach Merlin Polzin nach dem überzeugenden 3:1-Erfolg beim Karlsruher SC auch im Heimspiel am kommenden Sonntag gegen Darmstadt 98 das Vertrauen. Ob der 34-Jährige Chancen auf eine dauerhafte Beförderung zum Cheftrainer hat, ließ Sportvorstand Stefan Kuntz offen.

Von Hanno Bode

"Wir lassen uns nicht treiben. Es muss eine gute Entscheidung werden. Ich habe auch gesagt, dass es eine offene Entscheidung ist, dass wir natürlich verschiedene Möglichkeiten prüfen", erklärte Kuntz am Montagvormittag am Rande des Trainings des Hamburger Fußball-Zweitligisten. "Ich schließe gar nichts aus", erklärte der 62-Jährige auf Nachfrage, ob Polzin von der Interims- zur Dauerlösung werden könnte.

"Man hat bei der Mannschaft schon ein bisschen Befreiung gemerkt. Diesen Schwung werden wir bis zum Wochenende nicht unterbrechen."
— Stefan Kuntz

Der Sportvorstand kündigte aber an, dass der HSV am Sonntag (13.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) gegen Darmstadt 98 in derselben Konstellation gehen wird wie gegen den KSC: "Man hat bei der Mannschaft schon ein bisschen Befreiung gemerkt. Diesen Schwung werden wir bis zum Wochenende nicht unterbrechen. Merlin wird mit seinem Team auch das Heimspiel machen."

HSV zeigt in Karlsruhe ganz anderes Gesicht

Auf Namen von gehandelten Kandidaten auf die Nachfolge des entlassenen Steffen Baumgart ging Kuntz abermals nicht ein. Mit Polzin als Dauerlösung wird sich der frühere Nationalspieler aber wohl spätestens dann ernsthaft befassen müssen, sollte der HSV auch gegen die "Lilien" so stark wie gegen Karlsruhe auftreten.

Beim 3:1-Sieg bei den Badenern hatten die Hanseaten ein ganz anderes Gesicht als in den Vorwochen gezeigt. Polzins Maßnahmen griffen. Eine davon war, in Jean-Luc Dompé den vielleicht genialsten, aber auch streitbarsten Spieler im Kader in die Startelf zu nominieren. Er dankte es Polzin mit zwei Toren und einer Gala-Vorstellung.

Dompé wandelt oft zwischen Genie und Wahnsinn

Der Linksaußen steht nun seit knapp zweieinhalb Jahren auf der Lohnliste des HSV. 67 Einsätze schlagen für den Franzosen im Dress der Hanseaten zu Buche. Dabei wandelte er oft zwischen Genie und Wahnsinn. Brillanten Auftritten inklusive Traumtoren folgten nicht selten Darbietungen, die selbst bei den leidgeprüften und sehr geduldigen HSV-Fans Kopfschütteln verursachten.

Nicht nur die Anhänger, sondern auch die Trainer Tim Walter und Steffen Baumgart verzweifelten zuweilen an dem launischen Linksfuß. In Baumgarts letztem Spiel als HSV-Coach gegen den FC Schalke 04 (2:2) saß Dompé bis in die Schlussphase hinein auf der Bank. Nachdem er eingewechselt wurde, war der 29-Jährige nicht der erhoffte "Gamechanger", sondern bei neutraler Betrachtung ein Totalausfall. Wohl auch, weil er wegen seiner "Jokerrolle" beleidigt war.

Am Tag nach diesem beinahe schon frechen Kurz-Einsatz war Baumgart an der Uwe-Seeler-Allee Geschichte. Co-Trainer Polzin übernahm und beschloss, Dompé nicht abzustrafen, sondern im übertragenen Sinne zu streicheln. Eine geniale Maßnahme, wie sich nun gegen den KSC zeigte.

Selbst KSC-Coach Eichner lobt HSV-Matchwinner

Mit zwei Toren und einer Vorlage war der Offensivmann der überragende Spieler beim überzeugenden 3:1-Erfolg der Hamburger. Für seinen Treffer zum 2:1, einen Schlenzer ins lange Eck, bekam der Franzose sogar ein großes Lob von Karlsruhes Coach Christian Eichner: "Das habe ich noch nicht so oft gesehen in der Zweiten Liga."

Auch seine Teamkameraden schwärmten anschließend von dem 29-Jährigen. "Ich habe ihm vor dem Spiel noch einmal gesagt, was für ein Spieler er ist, damit er es sich bewusst macht. Er weiß das manchmal selber gar nicht. Man hat heute einmal mehr gesehen, wie wichtig er für unser Spiel ist", sagte Mittelfeldmann Daniel Elfadli. Ransford Königsdörffer stieß in dasselbe Horn: "Dompé ist ein Topspieler. Das wissen wir, das wissen die Gegner. Eigentlich muss man den dauernd manndecken, aber das schaffen auch nicht alle."

Co-Trainer Favé redete Dompé gut zu

Blieb bei all den Lobeshymnen auf den Matchwinner noch die Frage, was der Grund für die Leistungsexplosion des Angreifers war? Polzin beantwortete sie. "Die Jungs im Trainerteam wissen, dass der Junge ein kleines Schlitzohr ist, dass man ihn das eine oder andere Mal vielleicht ein bisschen anders, besonders anpacken muss. Da haben wir auch sehr sprachkräftige Unterstützung in unserem Trainerteam", erklärte der Interimscoach.

Mit der "sprachkräftigen Unterstützung" spielte er auf seinen Co-Trainer Loïc Favé an, der wie Dompé französischer Staatsbürger ist und dem Angreifer offenbar gut zugeredet hatte. Jedenfalls führte Dompés erster Weg nach seinem Tor zum 1:0 genau in die Arme von Favé.

Polzin gab Team Selbstvertrauen zurück

Der 31-Jährige ist eigentlich Trainer der U21 und Sportlicher Leiter für den Nachwuchsbereich des HSV. Gemeinsam mit Richard Krohn, dem Assistenzcoach des Regionalliga-Teams, unterstützt er aktuell aber Polzin. Möglicherweise wird aus dieser Übergangs- aber sogar eine Dauerlösung. Denn das junge Trio muss in der Woche vor der Karlsruhe-Partie gute Arbeit geleistet haben.

Die Hamburger waren gegen die Badener im Vergleich zu den Vorwochen nicht wiederzuerkennen. Sie traten selbstbewusst auf, wussten fußballerisch zu gefallen und verrichteten mit wenigen Ausnahmen konzentrierte, sachliche Abwehrarbeit. "Unser Fokus im Trainer-Team lag darauf, die Überzeugung in die eigenen Stärken wieder zurückzugewinnen, die vielleicht bei dem einen oder anderen nicht mehr ganz so da war", erklärte Polzin.

Kuntz: "Nicht aus Emotion heraus entscheiden"

Der 34-Jährige, der wie Favé in Kürze die UEFA-Pro-Lizenz erwerben wird, hatte mit klugen Entscheidungen großen Anteil am Sieg. So erwies sich die Maßnahme, von einem 3-4-1-2-System in eine 4-4-2-Formation zurückzukehren, als richtig. Die Abwehr bekam so wieder mehr Stabilität. Und auch mit der Auswahl des Personals lag Polzin mit Ausnahme vielleicht von Bakery Jatta, der aus einer starken Mannschaft abfiel, richtig.

Vier Wechsel nahm der Interimscoach im Vergleich zum Schalke-Spiel vor. Während besagter Dompé vorne wirbelte, sorgte in der Verteidigung in Dennis Hadzikadunic ein Mann für Sicherheit, der viele Wochen außen vor war. Polzin drehte also erfolgreich an den häufig zitierten Stellschrauben. Die Suche nach einem neuen Trainer geht laut Kuntz dennoch weiter.

Man wolle nicht aus der Emotion heraus entscheiden, sagte der Sportvorstand. Der Unterschied zur vergangenen Woche könnte aber sein, dass nun der Name Merlin Polzin auch auf der Liste seiner Kandidaten steht, die als Baumgart-Nachfolger in Betracht kommen.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 01.12.2024 | 22:50 Uhr