Szene vom Jugend-Handball.

NDR-Sport Missbrauch im Jugend-Handball? Der schwierige Umgang mit Verdachtsfällen

Stand: 08.01.2025 09:15 Uhr

Ein talentierter Handballtrainer wird nach Missbrauchsvorwürfen bei Werder Bremen gekündigt. An anderer Stelle ist er willkommen. Über den schwierigen Umgang mit Verdachtsfällen.

Von Andreas Becker

Der Handballjugendtrainer Max Gutzeit gilt manchen seit Längerem als großes Talent. Im Sommer 2024 wird der damals 28-Jährige Nachwuchskoordinator beim SV Werder Bremen. Noch in der Probezeit kündigt Werder Gutzeit und stellt ihn Anfang September des vergangenen Jahres von allen Aufgaben frei. Offizielle Begründung: "Unterschiedliche Vorstellungen über Art und Weise der Zusammenarbeit."

Im "Weser-Kurier" ist von "Missbrauch seiner Position gegenüber Schutzbefohlenen, körperlicher Distanzlosigkeit, stark sexualisierter Sprache, Videos in Chatgruppen mit unangebrachten Berührungen sowie unangebrachter Nähe außerhalb des Spielfeldes" die Rede. Das Kinderschutzprogramm des Vereins hatte vielfach Alarm geschlagen.

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Trainer Gutzeit: "Kein klärendes Gespräch"

Es gibt keine Anzeigen, keine polizeilichen Ermittlungen, nichts Justiziables. Dennoch ist der Vorstandsbeschluss des Gesamtvereins SV Werder einstimmig. "Es ist schade, dass es im Vorfeld der Trennung kein klärendes Gespräch gab und damit auch keine Chance, Dinge anders zu machen", sagte Gutzeit dem "Weser-Kurier". Er fände es schade, "wenn sich Mädchen durch meine Trainingsarbeit eingeschüchtert oder verängstigt gefühlt hätten", denn so wolle er als Trainer und Mensch nicht wahrgenommen werden.

An anderer Stelle interessiert man sich für den Trainer: Nur sechs Wochen später stellt der Buxtehuder SV Gutzeit als einen neuen Nachwuchstrainer vor.

Kritiker sprechen von "Täterhopping"

Es kocht und brodelt hinter den Kulissen des Handballs. Es gibt viele Fälle interpersonaler Gewalt. Es geht immer wieder um Betroffene, deren Wunden so einfach nicht heilen. Im Fall von Gutzeit sprechen kritische Eltern in anderen Vereinen von "Täterhopping". Gemeint sind damit Fälle, bei denen Verursacher von Gewalt ihren Verein oder Verband verlassen, um woanders ein Umfeld zu finden, um weiterzumachen wie bisher. Aber ist das im Fall Gutzeit wirklich so?

Vorwürfe gegen Gutzeit nicht neu

Menschen, die ihm nahestehen beschreiben ihn als fachlich ausgezeichnet, als einen, "der sich reinhaut". Aber auch als einen, der sich schon mal im Ton vergreift. Das Thema Übergriffe taucht in Bremen nicht zum ersten Mal auf. Von Machtmissbrauch ist laut "Weserkurier" auch schon zuvor in Hannover-Badenstedt die Rede.

Missbrauch im Sport: Was können Eltern und Sportvereine tun?

Auf Anfrage widerspricht Bernd Schröder, Abteilungsleiter Handball: "In seiner gesamten Tätigkeitszeit beim TV Hannover-Badenstedt gab es nicht im Entferntesten Vorwürfe in diese Richtung, die gegenüber dem Vorstand bekannt wurden. Wir haben Herrn Gutzeit als sehr zuverlässigen, empathischen, engagierten, strukturierten und reflektierten jungen Trainer erlebt."

Nur im Ton vergriffen - oder Machtmissbrauch?

Gutzeit polarisiert offenbar. Hubertus Hess-Grunewald, der Vorsitzende des Gesamtvereins Werder Bremen möchte nach einer NDR Anfrage nicht mehr über den Fall Gutzeit sprechen. Hingegen erreichen den NDR aus dem Kreis von Gutzeits Unterstützern ungefragt mehrere Anrufe und Mails.

Eine Mutter, deren Tochter fünf Jahre bei Gutzeit trainierte, beschreibt das Verhältnis ihres Kindes zum Trainer wie folgt: "Er hat sich dann manches Mal im Ton vergriffen. Oft sind sie aneinandergeraten, haben sehr laut und hitzig diskutiert, weil beide ehrgeizig sind. Ja, Max hatte oft das letzte Wort, weil er als Trainer in der Verantwortung lag. Ist das Missbrauch einer Machtposition? NEIN!"

Und weiter: "Ich mag mich gar nicht in ihn hineinversetzen, wie es ihm in den letzten Monaten ergangen ist. Sicher grübelt er, welche anonymen Hinweisgeber das Kinderschutzprogramm in Bremen Alarm schlagen ließen. Ich frage mich, wie ein Mensch solche rufschädlichen Vorwürfe aushält."

Gutzeit: Vorwürfe kamen "aus dem Nichts"

Nachdem wir drei Anfragen zu einem Gespräch mit Max Gutzeit gestellt haben, stimmt er einem Gespräch am Telefon zu. Er wirkt angespannt, mitgenommen, nachdenklich. Er betont, dass er sich an keinerlei konkrete Verfehlung erinnern könne.

"Für mich kam die Nachricht wie aus dem Nichts. Ich habe von den Vorwürfen erst mit der Kündigung erfahren. Natürlich habe ich versucht, mich zu hinterfragen und bin verschiedene Situationen durchgegangen und habe mögliche Fehler bei mir gesucht. Das war ohne konkrete Vorwürfe aber sehr zäh. Ich werde mit Vorwürfen konfrontiert, zu denen ich einfach nichts sagen kann und das nimmt einen psychisch schon mit und macht etwas mit einem."

"Vorwürfe sind schnell erhoben, aber sind sie auch berechtigt?"

Max Gutzeit hat den Verantwortlichen des BSV angeboten, auf sein Engagement zu verzichten. Im Verein gab es auch kritische Stimmen nach dem Motto: "Muss das denn sein?" Trotzdem hat sich der Vorstand für die Verpflichtung entschieden.

Abteilungsleiter Peter Prior: "Die Vorwürfe sind auch von Werder Bremen nicht wirklich geprüft worden, man hat Max Gutzeit dazu nicht mal angehört, sondern ihn einfach entlassen. Ich meine, Vereine als Arbeitgeber haben auch Schutzfunktion gegenüber den Trainern. Vorwürfe sind schnell erhoben, aber sind sie auch berechtigt? Ist es ein Allerweltsspruch oder schon eine stark sexualisierte Sprache, wenn ein Trainer sagt: 'Mädchen, ihr dürft jetzt nicht den Schwanz einziehen, ihr müsst mehr kämpfen.'"

"Es gibt aktuell im großen BSV wohl keinen Trainer, der so aufmerksam und kritisch beobachtet wird wie Max Gutzeit."
— BSV-Abteilungsleiter Peter Prior

Gutzeit trainiert jetzt die weibliche B-Jugend des BSV. "Max soll seine vielversprechende Trainer-Karriere bei uns fortsetzen können. Wir wollen und werden ihm dabei zur Seite stehen", sagt Prior. "Wir erleben Max Gutzeit heute als einen sehr nachdenklichen und verunsicherten Menschen. Er hinterfragt sich sehr stark, was er eventuell falsch gemacht haben könnte oder wie er sich künftig vielleicht anders verhalten sollte. Und eines ist auch sicher: Es gibt aktuell im großen BSV wohl keinen Trainer, der so aufmerksam und kritisch beobachtet wird wie Max Gutzeit."

Max Gutzeit betont nun, "vorsichtiger zu sein. Ich nehme vor allem mit, dass auch ich mich auf mein Umfeld einstellen und mich anpassen muss. Jeder Mensch nimmt Dinge unterschiedlich auf und interpretiert sie anders."

Kindernothilfe: Werders Handeln vorbildlich

Die Kindernothilfe Duisburg hat das Kinderschutzkonzept bei Werder Bremen innerhalb von eineinhalb Jahren gemeinsam mit dem Verein entwickelt. Für Niklas Alof ist das konsequente Handeln Werders im Fall Gutzeit vorbildlich: "Wenn ich solche Leitlinien habe und dann nicht konsequent handele, mache ich mich als Verein unglaubwürdig."

Kritisch sieht er das Engagement von Max Gutzeit in Buxtehude: "Es muss unser Fokus sein, Kinder im Sport vor Gewalt zu schützen. Grundsätzlich hat jeder eine zweite Chance verdient, aber das wichtigste Kriterium muss der Schutz der Kinder sein. Es geht nicht nur um sportliche Kompetenz, erst durch ein vertrauensvolles und gewaltfreies Umfeld ist optimale Leistung überhaupt möglich."

Safe-Sport-Code des DOSB soll Prävention verbessern

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat jetzt den sogenannten Safe-Sport-Code verabschiedet, eine 80 Seiten starke Information, die eine Kultur des Hinsehens und der Prävention stärken und Vereinen und Verbänden Rechtssicherheit geben soll - bei interpersonaler Gewalt unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit. Das könnte Vereinen bei der Bewertung von Fällen helfen.

Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 08.01.2025 | 09:17 Uhr