Der Redakteur | 06.11.2023 Warum gibt es Sportsgerichte und was können sie entscheiden?
Die deutsche Verfassung gibt Verbänden und Vereinigungen und auch der Kirche eine Selbstregulierungsbefugnis, auch Verbandsautonomie genannt. Salopp gesagt: Die sollen das, was in ihrem Kosmos passiert, bitte erstmal unter sich klären. Aber es gibt Grenzen.
Stellen wir uns vor, nach jeder Roten Karte bei einem Kreisligaspiel müsste das Amtsgericht entscheiden, wie lange der Sünder anschließend gesperrt wird. Das wäre gar nicht leistbar.
Auf Sportfragen spezialisierte Juristen
Auch sind Juristen keine Allrounder, es gibt Verfassungsrechtler, Zivilrechtler, Verkehrsrechtler, Strafrechtler und so weiter. Und so urteilen in den Entscheidungsgremien der Sportverbände Menschen, die spezialisiert sind auf die Materie Sportrecht.
Wer unzufrieden ist mit einer sportlichen Entscheidung, dem steht, wie im normalen Rechtssystem auch, der Rechtsweg innerhalb des Verbandes offen. Claudia Pechstein hat ihren Fall auch bis an den CAS, also den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne gebracht.
Der Internationale Sportgerichtshof
Dort ist auch Prof. Dr. Martin Schimke als Richter tätig, wenn er für einen Fall nominiert wird. Im "normalen Arbeitsleben" ist er unter anderem Fachanwalt für Sportrecht. Und er muss sich stets genau überlegen, ob er eine Nominierung als Richter annimmt. Zum Beispiel schauen, ob er oder seine Kanzlei schon einmal für eine der Seiten tätig war oder ihm aus anderen Gründen eine Nähe unterstellt werden kann. Ein Foto im Fantrikot in den sozialen Netzwerken wäre zum Beispiel ungünstig. Auch sollten etwaige Verbindungen zu einer Partei sorgfältig offen gelegt werden: "Weil heute durch die Transparenz der Medien schnell ein Punkt entdeckt werden kann, den Sie nicht offen gelegt haben", so der Jurist.
Die Grenzen der Sportgerichtsbarkeit
Zunächst muss man verstehen: Auch wenn die Verbände eigene Regeln aufstellen dürfen, so müssen sich diese im Rahmen der Gesetze bewegen. Spielsperren sind also in Ordnung, Stockhiebe sind es nicht. Und so lange wir über eine Ecke streiten oder über eine Karte, sind die normalen Gerichte in Ruhe zu lassen.
Das ändert sich schlagartig, wenn nicht die selbstgesetzten Regeln des jeweiligen Sports verletzt werden, sondern richtige Gesetze. Also: Wenn der Schiedsrichter tätlich angegriffen und gar verletzt wird, dann ist das Körperverletzung und wird auch verfolgt, wenn es auf dem Fußballrasen oder im Kabinengang passiert ist.
Und es steht auch jedem Schiedsrichter frei, einen Täter bei der Polizei anzuzeigen, Schadenersatz und Schmerzensgeld zu verlangen, wenn er das Spiel zum Beispiel im Krankenhaus beendet hat. Und dann muss der Übeltäter nicht nur mit einer möglicherweise lebenslangen Sperre durch den eigenen Verband rechnen, sondern wie jeder andere Schläger auch mit einem richtigen Gerichtsurteil im Namen des Volkes.
Die Sache mit den Tatsachen
Dass der Schiedsrichter spielentscheidend sein kann, ist bekannt. Den Videoassistenten (oder VAR für Video Assistant Referee) als auch nicht immer hilfreiche Instanz gibt es aber nur bei den Profis. Daraus folgt, es wird stets Situationen geben, wo es im Nachhinein klar ist, dass es eine Fehlentscheidung war: Die Ecke, die keine war, hat erst das Siegtor gebracht oder wenn die irrtümliche Rote Karte nicht gegeben worden wäre, hätten wir das Spiel gewonnen oder gar den Pokal.
Der Videoassistent kann dem Schiedsrichter bei der Entscheidung helfen.
Doch hier gilt in den meisten Sportarten das Prinzip der Tatsachenentscheidung durch den Schiedsrichter. Das bedeutet: Das Spiel ist mit dem Abpfiff vorbei und das Ergebnis amtlich. Allenfalls "für die Zukunft" kann das Sportgericht bei der Roten Karte noch etwas tun, also die obligatorische Sperre reduzieren oder aufheben. Und das ist auch gut so, sagt Prof. Schimke, sonst hätten wir ständig "hängende Verfahren". Wie soll denn da die Tabelle aussehen? Zwölf Punkte sind sicher, bei zwölf weiteren müssen wir gucken, wie das Sportgericht entscheidet?
Einzige Ausnahme bei den Tatsachenentscheidungen: Wenn eben keine "normale" Fehlentscheidung dahintersteckt, sondern Betrug. Und so etwas gab es ja auch schon. Stichwort Wettskandale und Bestechung. "Wenn ein Schiedsrichter bestochen wurde und man das beweisen kann, dann kann man eine ganze Spielwertung angreifen", sagt Schimke.
Die Härten der Sportgerichtsbarkeit
Viele Entscheidungen von Sportgerichten erscheinen dem Außenstehenden als zu lasch und bringen angeblich auch nichts. Der hochbezahlte Fußballprofi, der 10.000 Euro Strafe zahlen muss, wird darüber nur müde lächeln. Eine Sperre hat auch noch nie jemanden davon abgehalten, im nächsten Spiel nicht doch wieder mit gestrecktem Bein in den Gegner reinzugrätschen.
Eine Rote Karte bedeutet eine Sperre für den Spieler.
Martin Schimke sagt aber auch, dass die abschreckende Wirkung nicht wirklich messbar ist. Gerade Wiederholungstäter können durch ihr Tun folgende Sperren durchaus verlängern und auch Clubs mit Fans, die Wiederholungstäter sind, werden anders betraft als "Ersttäter".
Auch sonst würde Prof. Schimke nicht so weit gehen und sagen, dass verbandsinterne Strafen zu lasch sind. Das Beispiel Doping zeigt, wie extrem Sportler von einem Urteil betroffen sein können. Eine vierjährige Sperre zum Beispiel kommt einem Berufsverbot gleich, so Prof. Schimke. Wenn man das einmal auf einen Familienvater überträgt im "normalen" Leben, der vier Jahre seinen Beruf nicht ausüben darf, weil bei ihm eine verbotene Substanz nachgewiesen wurde, das ist schon ziemlich hart.
Eine Abwägung, wie sie vielleicht in dem einen oder anderen Verkehrsrechtsverfahren gemacht wird, die gibt es hier weniger. Soll heißen: Der Berufskraftfahrer kommt vielleicht statt mit Führerscheinentzug mit einer höheren Geldstrafe davon, wenn es die Umstände erlauben. Auf das faktische "Berufsverbot" eines Dopingsünders nehmen Sportgerichte hingegen weniger Rücksicht.
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MDR (dgr,thk)