Ein Ordner trägt eine Sicherheitsweste mit der Aufschrift Gegen Gewalt und für Toleranz am Spielfeldrand.

Umstrittener Neustart Nach Sperre setzt "Kine em" auf Gastfreundschaft

Stand: 24.09.2024 15:51 Uhr

In der Stadtoberliga Halle wurde im Oktober 2023 das Spiel zwischen "Kine em" und dem Reideburger SV abgebrochen. Kurz vor Spielende hatten Zuschauer und Spieler von "Kine em" den Schiedsrichter und Reideburger Akteure tätlich angegriffen. Anfang März wurde der von kurdischen Syrern gegründete Verein zu einer mehrmonatigen Spielsperre verurteilt. Was ist seitdem passiert?

Von Peer Vorderwülbecke

"Kine em" in Halle ist derzeit der einzige aktive Fußballverein in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen der von einer migrantischen Community gegründet worden ist. Bis heute bestehen Mannschaft und Vorstand komplett aus syrischen Kurden. Sportlich hat der 2017 gegründete Verein bereits mehrere Aufstiege gefeiert. Aber es hat bei Spielen von "Kine em" in den letzten Jahren auch mehrere Spielabbrüche gegeben, zuletzt vor knapp einem Jahr.

Damals ist der Schiedsrichter tätlich angegriffen worden. Daraufhin ist der Verein für die letzten drei Monate der vergangenen Saison vom Spielbetrieb ausgeschlossen worden, durfte aber in der Stadtoberliga Halle verbleiben – eine Kompromisslösung, die das Sportgericht vorgeschlagen hat. Im Regelwerk des Fußballverbands Sachsen-Anhalt ist so etwas eigentlich gar nicht vorgesehen. Am Ende haben auch die anderen Vereine der Stadtoberliga den Kompromiss akzeptiert. Jetzt ist die neue Saison ein paar Wochen alt – wie präsentiert sich "Kine em" in der neuen Saison?

Neues Sicherheitskonzept bei "Kine em"

Sonntag, 15 Uhr Heimspiel von "Kine em" in Halle Ammendorf. Zu hoch darf der Torwart nicht abschlagen – eine Hochspannungsleitung quert den holprigen Rasenplatz. Der Rote Stern Halle ist zu Gast. Der linke Verein positioniert sich bewusst gegen diskriminierendes Verhalten, so steht es auf der Vereins-Website. Ausländerfeindlichkeit ist in dieser Partie also nicht zu erwarten.

Der Stern hat nur ein gutes Dutzend Anhänger mitgebracht. Mindestens genauso viele Ordner in orange leuchtenden Westen stehen um den Platz verteilt. Eine Maßnahme des Sicherheitskonzepts, dass der Stadtverband Halle gemeinsam mit "Kine em" erarbeitet hat. Dabei ist die Zuschauerzahl an diesem sonnigen September-Sonntag überschaubar. Um auf 50 Zuschauer zu kommen, muss man schon die Familien mit Kleinkindern dazurechnen, die ein paar Meter hinter der Spielfeldumrandung picknicken.

Schild am Eingang zum Sportplatz auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofes am Askanischen Platz in Berlin-Kreuzberg.

Schild am Eingang zum Sportplatz auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofes am Askanischen Platz in Berlin-Kreuzberg.

Kompromiss: Spielbetrieb ja, Wertung nein

Zu den Zuschauern gehört an diesem Tag auch Thomas Paris, der Vorsitzende des Fußball-Stadtverbands Halle. "Ist ein ganz normales, ruhiges Spiel", so seine nüchterne Analyse. Aber natürlich weiß er, dass der mit "Kine em" gefundene Kompromiss von einigen Vereinen durchaus kritisch beobachtet wird. Paris verteidigt die Entscheidung, den Verein aus der Wertung zu nehmen und ihn trotzdem nicht absteigen zu lassen.

"Wir haben dadurch Zeit gewonnen, um das Ganze aufzuarbeiten und auch Lösungen zu finden." Denn das oberste Ziel des Fußball-Verbandes ist klar: Tätliche Übergriffe dürfen nicht mehr vorkommen. Der Verband hat neben dem Sicherheitskonzept auch mit wohlwollenden Vorschlägen gearbeitet. "Geht auf die anderen Vereine zu, ladet die ein, macht Turniere, zeigt, dass ihr gastfreundlich seid."

Verein zeigt sich reumütig

Und die Botschaft scheint bei "Kine em" angekommen zu sein. Mannschaftskapitän Rezan Kazem hat schon auf Landesebene Fußball gespielt. Er spielt seit sieben Jahren im Verein und ist eine Führungsfigur auf und neben dem Platz: "Es sind letzte Saison unschöne Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen," zeigt er sich reumütig.

Der Verein hat die Spieler ausgeschlossen, die vor knapp einem Jahr den Schiedsrichter angegriffen haben. "In dieser Saison wollen wir menschlich, respektvoll und fair miteinander umgehen", sagt der Mannschaftskapitän und fügt an: "Jeder Verein, der zu uns kommt, ist herzlich willkommen."

Fußballer kämpfen um den Ball

Fußballer kämpfen um den Ball

Gewalt als rote Linie

Am Spielfeldrand steht auch Arianit Besiri. Der Vizepräsident des Fußballverbandes Rheinland arbeitet als Referent für einen SPD-Bundestagsabgeordneten. Er hat viel mit Vereinen gearbeitet, die von migrantischen Communities gegründet worden sind. "Die überwiegende Erfahrung ist positiv", stellt er fest. Für ihn ist ein entscheidender Faktor, dass die Vereine offen bleiben. "Es ist nicht zielführend, wenn man sich als Verein verbarrikadiert", glaubt er.

Das gilt speziell für Vereine wie "Kine em", deren Mitglieder noch nicht so lange in Deutschland sind. "Dann sind oft Vereins- oder Verbandstrukturen nicht wirklich bekannt", manchmal führt das dann zu Kommunikationsproblemen – gerade wenn in solchen Vereinen die Deutschkenntnisse nicht so ausgeprägt sind. Die rote Linie ist für Besiri klar: "Wir dulden keine Gewalt – dann müssen Sanktionen ausgesprochen werden." Nach seiner Erfahrung handelt es sich aber meistens um einzelne Personen. "Man darf dann nicht verallgemeinern und sagen: Die sind alle so!" 

Aus Fehlern lernen

In Halle arbeitet der Stadtverband und auch der Landessportbund kontinuierlich mit "Kine em". Bis jetzt erfolgreich. Silko Gaste, der Trainer vom Roten Stern, war zuletzt sehr verärgert über das Auftreten von "Kine em" und auch deren Zuschauern. Deshalb hat er die Sperre zum Ende der letzten Saison auch befürwortet.

"Das war eine Entwicklung, die in der Klarheit gestoppt werden musste." Dass Kine jetzt weiterhin in der Stadtoberliga Halle kicken darf, ist für ihn aber in Ordnung: "Wenn Menschen Fehler machen, sollten sie auch die Chance bekommen, zu zeigen, dass sie aus den Fehlern gelernt haben."

Und genau das muss "Kine em" in dieser Saison unter Beweis stellen.