Fußball-Historie "Einmaliger Fall" - falscher Fußball-Nationalspieler aus Hoyerswerda
Die Frage, ob jemand Fußball-Nationalspieler war oder nicht, sollte eigentlich keine sein. Heutzutage. Ist sie aber doch. Denn ein Stürmer des Hoyerswerdaer SV 1919 galt jahrzehntelang als Auswahlkicker. Aufgeführt in offiziellen Statistiken des DFB. Eigentlich war er aber keiner. Das fand der Sportjournalist und Historiker Udo Muras heraus und spricht von einem "einmaligen Fall". Wie konnte das passieren?
- Der Fußballspieler Karl Joppich vom Hoyerswerdaer SV wurde für das Länderspiel in Ungarn 1932 nominiert.
- Der Stürmer dementierte seine eigene Einwechslung, nachdem er fälschlicherweise in einem Spielbericht auftauchte.
- 84 Jahre lang ist der Sachse als Nationalspieler geführt worden - bis ein Historiker genauer nachforschte.
"Dieser Fall ist einmalig", sagt Sporthistoriker Udo Muras. Er hat aufgedeckt, dass ein Fußball-Nationalspieler aus Hoyerswerda gar keiner war. Eine Mischung aus Pleiten, Pech und Pannen brachte Angreifer Karl Joppich in den Dreißiger Jahren zur unfreiwilligen Ehre. Die er selbst sogar verhindern wollte. Anlässlich des 1000. Fußball-Länderspiels gegen die Ukraine recherchierte der "Welt-"Autor und DFB-Mitarbeiter Muras zu Namen und Zahlen der Nationalelf-Geschichte. Und erinnerte sich an den kuriosen Fall eines Akteurs, der ein- und wieder ausgewechselt worden war: Karl Joppich. Zuerst hatten "Die Welt" und "11Freunde" über den falschen Nationalspieler aus Sachsen berichtet.
Stürmer des Hoyerswerdaer SV einer von zwei Ersatzspielern
Den Stein ins Rollen brachte die Betriebsversammlung des Magazins "Kicker". Deshalb konnte kein eigener Redakteur zum Länderspiel Ungarn - Deutschland (2:1) am 30. Oktober 1932 in Budapest geschickt werden. Der Ersatz war der freie Mitarbeiter M.F. Leuthe.
Der kennt den erstmals nominierten Karl Joppich offenbar nicht. Der Stürmer des Hoyerswerdaer SV 1919 war nach starken Leistungen in der damaligen Südostauswahl von Bundestrainer Otto Nerz ins Aufgebot berufen worden, erklärt Muras. Unter anderem habe Joppich zuvor vor den Augen von Nerz gegen die Westauswahl geglänzt. In Budapest war er dann als Ersatzspieler für die Nationalmannschaft vorgesehen. Das bedeutete nur minimale Einsatzchancen. Denn: Im Gegensatz zu heute waren Wechsel damals verpönt.
"Nur bei einer Verletzung und bei Testspielen durfte reagiert werden. Und das auch nur nach Vereinbarung", sagt Sporthistoriker Muras. Joppich habe mit einem Torwart die komplette Reservebank gebildet, durfte aber immerhin aufs Mannschaftsfoto. Nur 12.000 Zuschauer waren gekommen, obwohl der ungarische Verband eine Radioübertragung untersagt hatte, damit mehr Fans kommen.
Sportjournalist und -historiker Udo Muras hat bereits einige kuriose Fußball-Geschichten aufgedeckt.
Kurios: Kicker wechselte Joppich ein - der dementierte per Leserbrief
Nach einer halben Stunde verletzte sich der Fürther Ludwig Leinberger. Es existieren Fotos, die zeigen, wie er von einem Betreuer gestützt das Feld verlässt. Joppich machte sich warm. Der "Kicker" schrieb damals: "Er stürzte schwer und musste für etwa fünf Minuten durch Joppich, einen anscheinend ganz farblosen Spieler, ersetzt werden." Diese Info war offensichtlich falsch. Denn rund eine Woche nach der Partie schrieb Joppich, ein gelernter Kaufmann und ein offensichtlich untadeliger Sportsmann, dem "Kicker" selbst. Die Redaktion gab es in der Ausgabe vom 8. November 1932 wider: "Der als Ersatzmann mitgereiste Spieler Karl Joppich aus Hoyerswerda bittet uns zu berücksichtigen, dass er für den vorübergehend ausgeschiedenen Leinberger n i c h t eingesprungen (ist). Damit wird auch jede Kritik hinfällig."
So weit so gut. Auch in der damaligen Heimatzeitung war kein Einsatz vermerkt worden, bestätigt Karolin Hirschauer vom Hoyerswerdaer Stadtarchiv MDR SACHSEN.
Wo ist Karl Joppich?
Erst nach einem Leserbrief aus Bernsdorf am 5. April 1938 geht es wieder um Joppichs Nationalelf-Karriere. Ein Leser aus Sachsen bemängelt, dass Joppich im 1937 erstmals erschienen Kicker-Almanach nicht bei der Nationalspieler-Liste aufgeführt werde, erklärt Historiker Muras. Der Kicker habe daraufhin einen Einsatz von "etwas mehr als fünf Minuten" bestätigt und vorgeschlagen, Joppich offiziell "in die Liste der deutschen Internationalen" aufzunehmen - ohne den Leserbrief von Joppich zu berücksichtigen. Der kurze Einsatz dürfe "kein Hindernisgrund sein", hieß es damals.
Niederlausitzer fragte nach - Joppich auf der DFB-Liste
Rund ein Jahr später, am 28. März 1939, kommt ein weiterer Leserbrief, rekonstruiert Muras. Diesmal aus Guben in der Niederlausitz: "Ob man in Sachen Joppich schon etwas vom DFB gehört habe?" Der Kicker schaut im Fußballjahrbuch nach, das "Carl Koppehel, der Pressewart des Reichsfachamts Fußball, wieder mit bekanntem Geschick zusammengestellt hat", so der Kicker. Und weiter: "Wir freuen uns, unseren Lesern aus Hoyerswerda mitteilen zu können, dass Joppich nunmehr auch amtlich als Nationalspieler geführt wird." Von da an ist Karl Joppich zum zweiten Mal Nationalakteur. Und der DFB hat ihn auf seiner offiziellen Liste.
Diesmal kein Dementi
Joppich wehrt sich diesmal nicht, möglicherweise kämpft er im 2. Weltkrieg, erklärt Muras. Joppich stirbt am 15. Juli 1940. Auch seine Ehefrau Elsa Jacob habe sich nicht gemeldet und sei 1991 gestorben. Kinder habe es keine gegeben. "Also auch keine Nachkommen, die ein jahrelang gut gehütetes Familiengeheimnis hätten ausplaudern können", sagt Muras.
Von der 'Mitteldeutschen Sportzeitung' bis zur 'Fußball Woche' sagen alle: Der Spieler Leinberger wurde kurz behandelt - und kann dann wieder zurück. Keine Spur vom Hoyerswerdaer Joppich. Udo Muras |
Muras fiel der ungewöhnliche Wechsel auf
Erst seine Recherche sorgte dafür, dass ein Nationalspieler aus der Statistik flog. Dem Magazin "11Freunde" beschreibt er die Hintergründe seines Nachhakens: "Auf den Fall bin ich schon vor Jahren gestoßen und habe mich gewundert, wieso jemand gegen denselben Spieler ein- und wieder ausgewechselt werden kann. Zunächst habe ich es nicht weiter verfolgt. Anlässlich des Jubiläums der 1.000 Spiele hatte ich den Ehrgeiz, das aufzuklären und mir einfach mal die Kicker-Ausgaben angesehen, die nach dem Spielbericht erschienen. Und dort fand ich Joppichs Gegendarstellung."
Der DFB führt Joppich noch als Nationalspieler
Mit dem Wissen durchforstete er acht weitere Sportzeitungen, die ihm vom Sport-Historiker-Kollegen Udo Luy zur Verfügung gestellt worden waren. Das Ergebnis sei eindeutig, berichtet Muras: "Von der 'Mitteldeutschen Sportzeitung' bis zur 'Fußball Woche' sagen alle: Der Spieler Leinberger wurde kurz behandelt - und kann dann wieder zurück. Keine Spur vom Hoyerswerdaer Joppich." Die Statistik muss also wieder bereinigt werden. Nach satten 84 Jahren. Der Kicker tat dies bereits. Der DFB führt Joppich nach wie vor als Nationalspieler.
Rainer Nachtigall jetzt der einzige Nationalspieler des Hoyerswerdaer SV
Dennoch gibt es einen Nationalspieler mit Wurzeln beim Hoyerswerdaer SV: Angreifer Rainer Nachtigall bestritt zwischen 1960 und 1965 elf Länderspiele für die DDR. Weitere bekannte Namen des Klubs: Marvin Stefaniak von Fußball-Drittligist FC Erzgebirge Aue und Tony Jantschke, langjähriger Bundesliga-Spieler bei Borussia Mönchengladbach. Die Fans rufen ihn liebevoll "Fußballgott". Beide waren immerhin U21-Nationalspieler. Aues Sportchef Matthias Heidrich ist in "Hoywoy" geboren und wurde beim FSV Hoyerswerda ausgebildet.
Neben dem Fall von Karl Joppich sind Udo Muras noch weitere "Ungereimheiten aus alten Fußball-Zeiten" aufgefallen. Derzeit recherchiert er, ob Richard Hofmann vom Dresdner SC bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam gegen die Schweiz beim 4:0 tatsächlich drei Tore gelangen. Möglicherweise muss eines davon Ludwig Hofmann (Bayern München) zugerechnet werden. Beim VfB Leipzig, 1903 erster Deutscher-Fußball-Meister, wurde lange ein Brüderpaar verortet. Heinrich Riso, der im Finale 1903 traf, und Torwart Hans Riso. Der spielte aber für den Sport-Club Wacker 1895 Leipzig - und war auch kein Bruder von Heinrich. Muras fand das 2003 heraus, als er über das 50-jährige Jubiläum des VfB-Triumphs recherchierte und bei einer Riso-Tochter zu Besuch war. Generell sei die Recherche im Ost-Fußball eine "Sisyphusarbeit", weil mit Namensänderungen, Ortswechseln, anderen Trägern und Spielern "politisch so viel passiert ist". Nach der Wende ging es in Fußball-Hoyerswerda weiter heiß her: Nach 1990 gab es drei Fusionen, die letztlich zum Hoyerswerdaer FC führten. Die jüngste Fusion kam 2016 zwischen dem Hoyerswerdaer SV und dem FC Lausitz Hoyerswerda (ehemals Aktivist Schwarze Pumpe) zustande. Derzeit spielt der Verein in der siebtklassigen Landesliga Ost.
Quelle: MDR (cke)