Heimspiel für "Maggot" Heimspiel für "Maggot": Ein Wrestler aus Frankfurt auf dem Weg zum großen Gold
Er wurde bekannt als Teil der "Bastards", ist mittlerweile als Einzelkämpfer unterwegs und steht jetzt vor seinem bislang größten Erfolg: Kann der Frankfurter Wrestler "Maggot" am Samstag in der Batschkapp die Weltmeisterschaft erringen?
Oberhausen, an einem Abend im August: Nach rund einer Stunde Kampfzeit steht Maggot immer noch. Er musste zwischenzeitlich behandelt werden, zog sich eine Verletzung am linken Arm zu. Doch nun stehen nur noch er und der Ausnahmeathlet Axel Tischer im Wrestling-Ring – ihre 28 Gegner sind bereits ausgeschieden.
Tischer reißt die Bandage von Maggots Arm, malträtiert dessen Ellbogen. Doch plötzlich beißt Maggot Tischer in den Unterarm, dieser muss den Klammergriff lösen und kommt ins Wanken. Mit dem unversehrten Arm haut der 29 Jahre alte Maggot mit letzter Kraft seinen Gegner über das oberste Seil. Die Ringglocke läutet, die Halle kocht. Maggot hat es tatsächlich geschafft.
Vom Fan zum Wrestler
Es ist die Geschichte von einem Jungen, der als Kind in Frankfurt-Höchst stundenlang vor dem TV sitzt, um seinen muskelbepackten Helden zuzujubeln. Eine Geschichte, wie es sie in den 90ern und 2000ern in hessischen Wohnzimmern zuhauf gab, als Wrestling mit Bret "Hitman" Hart, Hulk Hogan, dem Undertaker oder Dwayne "The Rock" Johnson auch in Deutschland extrem populär war.
Doch nur die wenigsten gingen danach einen Schritt weiter und betraten tatsächlich als Wrestler den Ring. Amir Wittkamp ist dieser Junge, der es gewagt hat. "Zum Bedauern meiner Eltern war es keine Phase", sagt er heute. Unter Trainer Aaron Krauser lernte er die Grundlagen des professionellen Ringkampfes und gab schließlich im Jahr 2014 sein Debüt als Wrestler.
Rund neun Jahre später konnte Amir, der sich mittlerweile "Maggot" nennt, als Teil der "Pretty Bastards" etliche nationale Erfolge erzielen. 2022 erscheint eine hr-Doku über ihn, seine Freundin "Baby Allison" und seinen ehemaligen Kampfpartner "Ahura" in der ARD-Mediathek.
Der Wrestler Maggot zu Beginn seiner Karriere.
Mittlerweile ist Maggot nicht mehr als Teil eines Teams unterwegs, sondern schlägt sich mit seiner Freundin Allison im deutschen Wrestlingzirkus durch, der nach einer heftigen Corona-Delle wieder Fahrt aufnimmt. Maggot verteidigt monatelang den zweitwichtigsten Titel in Deutschland, Anfang 2023 folgt ein vielbeachteter Auftritt beim größten Wrestling-Turnier – sogar in England tritt er an.
Fast ein Jahr hielt Maggot den "Shotgun-Titel", die zweitwichtigste Meisterschaft in Deutschland.
Maggots Höhenflug gestoppt
Zuletzt wurde es jedoch ruhiger um den Frankfurter. Fans und Experten fragten sich, ob Maggot doch nicht das Zeug zum Superstar hat. “Maggot wurde Opfer seiner eigenen Popularität. Weil er so beliebt war, konnte er überall in den Shows eingesetzt werden und wurde dennoch bejubelt. Seiner Rolle als jemand, der an der Spitze stehen sollte, war das jedoch nicht förderlich – er wirkte zunehmend beliebig”, so Wrestling-Experte Marcel Frieling, der mit seiner Website cagematch.net das Wrestling-Geschehen weltweit im Blick hat.
Ein unverhoffter Turniersieg
Aus dem Nichts dann der Überraschungserfolg: Maggot gewinnt in Oberhausen, der Wrestling-Hauptstadt in Deutschland, völlig überraschend ein Turnier. Die Folge: Er darf um den Weltmeistertitel der wXw (Westside Xtreme Wrestling), Deutschlands größter Liga im professionellen Ringkampf, antreten.
Amir darf das Datum bestimmen - und wählt den 11. November, wenn die wXw in Frankfurt gastiert. In seiner Heimatstadt. “Wenn ich mir den Titel hole, müssen alle meine Freunde und meine Familie dabei sein!”, verkündet Maggot nach dem Turniersieg in Oberhausen.
Ein Heimspiel, doch reicht das? Reicht das, um der allererste Frankfurter zu werden, der sich Deutschlands ganz großes Gold umschnallen darf? Ein Titel, der schon von internationalen Größen wie Bryan Danielson, Claudio Castagnoli oder dem WWE-Weltstar Gunther (früher: Walter) gehalten wurde.
Internationale Größen wie Bryan Danielson, Claudio Castagnoli und Gunther hielten bereits den Weltmeistertitel der wXw (v.l.n.r.).
David gegen Goliath
So kommt es nun am Samstag zum Duell "David gegen Goliath": Maggot, der mit seinen 173 Zentimetern und 70 Kilogramm schmächtig, geradezu zerbrechlich wirkt. Und ihm gegenüber: der schier übermächtige Titelträger Robert Dreissker, ein 135-Kilogramm-Hüne aus Österreich. Dreissker ist seit 14 Jahren Profi, hält in Europa gerade drei Schwergewichtstitel, trat bereits in den USA und Japan an und hat in 2023 bislang jeden seiner zwölf Einzelkämpfe gewonnen.
Maggots Chancen? Sie scheinen gering, doch ein Blick zurück in die Vergangenheit der beiden Kontrahenten könnte dem Frankfurter Mut machen. Im September 2021 kam es zum ersten Aufeinandertreffen der beiden Wrestler. Damals setzte sich Maggot mit List und Geschwindigkeit gegen den Koloss aus Österreich durch.
Robert Dreissker, aktueller Weltmeister von Westside Xtreme Wrestling (wXw).
Klar ist: Gewinnt Dreissker im Kampf früh die Oberhand, bringt er all seine Kraft zum Einsatz und macht kurzen Prozess. Doch je länger der Kampf geht, desto mehr dürfen sich die Fans Hoffnungen auf einen Sieg von Maggot machen. Dann muss der 29-Jährige wach sein und jede noch so kleine Unkonzentriertheit seines Gegenübers ausnutzen. Eine gängige Erzählung im professionellen Ringkampf, bei der der David am Ende doch eine Chance gegen den schier übermächtigen Goliath hat. Und am Ende, so ist es auch beim Wrestling, zählt jede Sekunde. Genauer gesagt: drei.
Drei Sekunden, in denen die Hand des Ringrichters dreimal zu Boden sinkt. Drei Sekunden, die über den Kampf um das große Gold entscheiden.