Favorit mit großen Plänen Vom Giro zur Tour - Pogacar peilt das Double an
Tadej Pogacar gewann nicht nur überlegen den Giro d’Italia. Dank seines radikal reduzierten Rennkalenders vermied er auch die Massenstürze bei Baskenland- und Dauphiné-Rundfahrt. Jetzt geht er gut erholt und motiviert bis in die Haarspitzen die Tour de France an - als Top-Favorit.
Entspannung pur lautete in den Tagen zwischen Giro d’Italia und Tour de France das Motto von Tadej Pogacar. Man sah ihn in Monaco munter mit ein paar spanischen Radtouristen die Berge ringsum hochpedalieren. Sogar Zeit für ein Schwätzchen und ein paar Selfies gab es, wie die beglückten Fans dokumentierten.
Pogacar wirkte bei der Erkundung der Berge der letzten Tour-Etappen so, wie man ihn auch schon beim Giro erleben durfte: fröhlich lächelnd, ab und zu beschleunigend, und selbst nach größten Anstrengungen nicht außer Puste. "Ich wollte den Giro mit guter Form und guter Moral beenden und dann etwas chillen", sagte er am Ende der drei Wochen durch Italien. Die dominierte er mit sechs Etappensiegen, Gesamtsieg und Bergtrikot.
Roglic, Vingegaard und Co. wollen angreifen
Große Gegenwehr erlebte er nicht. "Die anderen Teams haben ihn gar nicht richtig angegriffen", kritisierte gegenüber der Sportschau Marc Reef, sportlicher Leiter von Visma Lease a Bike. Reefs eigenes Team verlor früh den Kapitän und beschränkte sich auf Etappenjagd.
Bei der Tour will der Rennstall von Titelverteidiger Jonas Vingegaard ganz anders auftrumpfen. Und auch Red-Bull-Bora-hansgrohe-Kapitän Primoz Roglic sowie der Belgier Remco Evenepoel wollen Pogacar zusetzen.
Jonas Vingegaard im Gelben Trikot und das Peloton auf dem Weg nach Le Markstein.
Gute Laune, wenig Konkurrenz, kein Pech
"Die Tour wird sicher schwerer. Es gibt vier Rundfahrer, die allen anderen voraus sind – Tadej, Vingegaard, Roglic und Evenepoel. Fehlen die, macht das einen großen Unterschied. Und das sah man beim Giro“, gab auch Matxin Fernandez, sportlicher Leiter bei Pogacars Rennstall UAE, zu. Roglic, Vingegaard und Evenepoel waren eben bei Giro nicht dabei.
Aber selbst Fernandez war überrascht, wie reibungslos Teil eins des Double-Plans abgehakt werden konnte. "Es war jenseits meiner optimistischsten Erwartungen“, bilanzierte er gegenüber der Sportschau. Pogacar stürzte nur ein einziges Mal, gleich zu Beginn, aber ohne größere Folgen.
Bis auf eine allergische Reaktion gegen Pollen blieb er auch kerngesund. "Wir hatten nicht so viel Regen und Kälte wie sonst beim Giro. Und auch vom Parcours war es etwas leichter, 11.000 Höhenmeter weniger als zuletzt“, fasste der Baske die guten Bedingungen zusammen, die den Giro zu einem Schaufahren für seinen Frontmann werden ließen.
Reduziertes Rennprogramm, viel Training in der Höhe
Genau wegen der fehlenden Höhenmeter und damit geringerer Belastung bei dieser Giro-Ausgabe wagte Pogacar überhaupt erst sein Italien-Debüt. Perfekt richtete er seinen Trainings- und Wettkampfplan auf das Double aus.
"Wir wollten, dass Tadej mit nicht mehr als 31 Renntagen in die Tour geht. Deshalb ist er vor dem Giro sehr wenige Rennen gefahren und wir haben uns auf Höhentraining konzentriert", erklärte Fernandez. Nur zehn Rennen bestritt der Slowene vor dem Giro, sechs davon gewann er.
Pogacar braucht kein Einrollen
Dass Pogacar keine Rennen zum Einrollen braucht wie viele Rundfahrtstars in früheren Jahren, liegt einerseits an seinem Talent. "Ich staune immer wieder über ihn, nicht nur wegen der Werte, die er tritt, sondern vor allem, wie schnell die Trainingsreize bei ihm anschlagen. Er hat einfach einen besonderen Körper", schwärmte sein neuer Trainer Javier Sola. Andererseits hat sich aber die gesamte Trainingsphilosophie im Radsport massiv verändert.
"Man weiß inzwischen sehr viel mehr über Training. Schon sehr früh wird in der Höhe gearbeitet. Die Intensitäten in den Rennen haben sich sich verschoben. Mittlerweile wird fast jedes Rennen von Anfang an relativ hart gefahren. Dies hat dazu geführt, dass auch das Training angepasst werden muss", sagt Dan Lorang, Trainingswissenschaftler beim Rennstall Red Bull Bora hansgrohe. Und diese allgemeine Veränderung lässt explosive Talente wie Pogacar oder auch Mathieu van der Poel ganz besonders zur Geltung kommen.
Boras Philosophie: Kein Doppelstart
Lorang hat mit dem ehemaligen Skispringer Primoz Roglic einen ebenfalls sehr dynamischen Fahrer in den eigenen Reihen. Beim deutschen World-Tour-Team vermeidet man allerdings Doppelstarts bei Giro und Tour - selbst in der Helferriege. "Unsere Erfahrung im letzten Jahr war nicht so gut. Wir hatten einige Fahrer, die für die Tour geplant waren, dann aber krank geworden sind beim Giro oder danach", erzählte Lorang der Sportschau. Daher setzt der Rennstall um den wohl härtesten Herausforderer von Pogacar ganz konsequent auf "Grand-Tour-Trennkost".
Primoz Roglic
Die Herangehensweise von UAE ans Double-Vorhaben hält Lorang dennoch für sinnvoll. "Es ist ein spannender Weg, wenn man versuchen will, Radsporthistorie zu schreiben", meint er.
Bei UAE ist Pogacar letztlich der einzige Doppelstarter. Alle seine Helfer haben nicht den Giro in den Beinen. Auch das zeigt die Ausnahmeposition des Slowenen.
Double-Rezept: Nicht zu viel trainieren!
Ganz allein ist Pogacar allerdings nicht als Doppelstarter. Auch Geraint Thomas, Dritter beim Giro, sowie Simon Geschke, ein paar Tage Bergtrikotträger in Italien, haben für den Grand Depart gemeldet.
Geschkes Rat an alle Mehrfachstarter: "Der größte Fehler ist, nach dem Giro gleich wieder zu motiviert zu sein und zu denken: In vier Wochen ist Tour. Ich muss jetzt viel und hart trainieren, um noch besser zu werden. Da sagt der Körper irgendwann: Jetzt ist mal Pause. Deshalb habe ich fünf Tage lang gar nichts gemacht und dann ganz easy begonnen." Genauso macht es Pogacar. Mit dem Unterschied, dass er die Tour auch noch gewinnen will.