Nach Sieg beim Giro Tadej Pogacars nächster Schritt zur Legendenbildung
Tadej Pogacar erfüllt spielend leicht Teil eins seines Double-Plans aus Giro und Tour. Er hält mit sechs Etappensiegen, dem Rosa Trikot und dem Gewinn der Bergwertung Schritt mit seinem großen Idol Eddy Merckx.
Am Ende war sogar der Kraftprotz von der eigenen Leistung überwältigt. "Ich bin sprachlos", sagte er in Rom, als er die antiken Bauten um sich sah, das Rosa Trikot auf dem eigenen Leib spürte und auch schon die spiralförmige Trophäe, die dem Giro-Sieger übergeben wird, "ohne Ende" in der Hand gehalten hatte.
"Dieser Moment ist fantastisch. Aber erst später wird sich herausstellen, welcher unter all den schönen Momenten, die dieser Giro seit Turin bot, der wirklich schönste ist", meinte er und schien sich selbst für einen kurzen Augenblick noch einmal in jene drei Wochen versenken zu wollen, die sein Leben änderten.
Denn es handelt sich um einen wichtigen Einschnitt. Der Giro-Sieg ist beileibe nicht der größte Erfolg dieses Athleten aus dem kleinen slowenischen Städtchen Komenda. Die Tour de France gewann er zwei Mal, auch Klassikermonumente wie die Flandernrundfahrt und Lüttich-Bastogne-Lüttich beendete er bereits als Erster.
Aber während er die Tour als Jungspund dominierte, zuweilen nicht einmal richtig ermessend, welche großen Dinge ihm gelangen, weil ihm alles so spielend leicht erschien, so errang er diesen Giro-Triumph nach heftigen Rückschlägen und im Befolgen eines großen Masterplans.
Comeback nach Rückschlägen
Pogacar, lange Zeit der Prinz des modernen Radsports, siegte beim Giro als erwachsener Athlet. Zum "König von Rom" ernannte ihn daher der ehrwürdige "Corriere della Sera". Und das auch ganz zu Recht.
Die zwei Niederlagen bei der Tour de France gegen Jonas Vingegaard haben den Slowenen mächtig gewurmt. "Wir haben deshalb vieles hinterfragt und versucht, neue Akzente zu setzen", erzählte Mauro Gianetti, Teamchef von UAE, der Sportschau beim Giro.
Dazu gehörte zum einen ein Motivationskick: eben das Double aus Giro d’Italia und Tour de France anzugehen. Das erforderte einen anderen Trainingsaufbau und eine neue Balance aus Wettkämpfen und Höhentraining. Weniger Wettkampfkilometer, mehr Geld für Tage in der Höhe lautete die Formel.
Zahlreiche Veränderungen gab es auch am Rad und am ganzen Komplex Mann-Maschine-Aerodynamik. "Die Kettenblätter sind jetzt aus Karbon, die Scheibenbremsen zum Teil. Das spart Gewicht", erzählte ein Sprecher von Radhersteller Colnago der Sportschau am Rande der Tour. Vor allem aber verbrachte Pogacar viele Stunden auf dem Zeitfahrrad, probierte dort das beste Maß aus aerodynamisch günstigster Position und optimalem Krafteinsatz aus.
"Es gab dabei viele Auf und Abs", blickte er selbst zurück. Das Investment zahlte sich aus. Beim flachen Zeitfahren des Giro am Gardasee ließ er sich nur vom Top-Spezialisten Filippo Ganna schlagen. Beim bergigeren Zeitfahrkurs in Perugia hielt er alle, inklusive Ex-Weltmeister Ganna, in Schach.
König der Berge
In den Bergen war er sowieso das Nonplusultra. Ob Oropa auf der zweiten Etappe oder Monte Grappa auf der vorletzten – stets war er im Gebirge der Schnellste. Es sah spielend leicht aus, wie er seine Konkurrenten zurückließ. Das erinnerte an die frühen Auftritte Pogacars: die Bergetappe zur Plataforma de los Gredos bei der Vuelta 2019, als er der Konkurrenz als Solist anderthalb Minuten abnahm und noch aufs Podium stürmte.
Oder das denkwürdige Regensolo in den Alpen bei der Tour de France 2021. Da kam er zwar nicht mehr an die Ausreißer heran, distanzierte in einer Solofahrt über 30 km aber seine härtesten Rivalen um mehr als drei Minuten.
Beim Giro lieferte er derartige Leistungen im Vier-Tages-Rhythmus ab. Vier Bergetappen gewann er als Solist. Bei einem weiteren Alleingang blieb nur der famose Georg Steinhauser außerhalb Pogacars Reichweite. Im Gegensatz zu früher waren solche Bravourritte aber nicht die Frucht jugendlichen Überschwangs, sondern präzise geplant.
"Wir wollten mit guter Form in diesen Giro gehen, sodass Tadej so wenig wie möglich in den roten Bereich kommt und immer geistige Frische bewahrt", erklärte Gianetti den Ansatz. Viel allein fahren und dabei die Kontrolle behalten, bedeutete das.
Mentale Frische und gute Beine
Und daher bemerkte man Spuren von Anstrengung bei Pogacar eigentlich nur kurz am Ende der ersten Woche, als ihm eine Pollenallergie zusetzte. Ansonsten wirkte er frisch und frei. Er hatte sogar so viel überschüssige Kräfte, dass er zwei Mal, als Mann im Rosa Trikot, den Spurt für seinen Teamkollegen Sebastian Molano anzog. Der Kolumbianer kam über Platz 3 in Neapel und Platz 21 in Rom nicht hinaus.
"Schade, dass das nicht geklappt hat. Es wäre die Kirsche auf der Torte gewesen", meinte Pogacar. Sein Einsatz im Massensprint ist aber auch ein Zeichen dafür, wie wichtig es ihm geworden ist, den Männern, die ihn sonst unterstützen, etwas zurückzugeben. Das ist ein weiteres Zeichen für den gereiften Athleten Pogacar.
Den Giro, als ersten Teil des Double-Projekts, hakte er jetzt rundum zufrieden ab. "Ich kann stolz auf mich sein. Das Ziel war, den Giro mit bester Stimmung und guten Beinen zu beenden", sagte er. Das hat geklappt. Nun stehen drei, vier Tage mit Freundin Urska Zigart an. Dann geht es ab ins Höhentrainingslager für die Tour. In bester Stimmung eben und mit schon ziemlich guten Beinen.