Erstes Duell der Tourfavoriten Pogacar testet - Vingegaard besteht, Roglic nicht
Auf der 2. Etappe erlebt die Tour de France einen Schlagabtausch der Favoriten. Tadej Pogacar fordert die Konkurrenten heraus. Er muss feststellen: Jonas Vingegaard ist in Topverfassung.
Tadej Pogacar hatte Glück. Anders als Jonas Vingegaard, der sich mit seinem Rad ein gutes Stück durch die Via dell'Indipenzia in Bologna quälen musste: Die Menschenmassen, die sich zuvor entlang der Strecke platziert hatten, waren nun zu einem Großteil hierhin ausgewichen, um an den Mannschaftsbussen einen Blick auf die Profis zu erhaschen. Der Bus von Vingegaards Team Visma-Lease A Bike war ziemlich weit hinten geparkt, aber der Däne kam dann doch irgendwie durch.
"Ein kleiner Sieg" für Vingegaard
"Das war ein kleiner Sieg für mich", sagte Vingegaard, als er sich in Sicherheit hinter der Absperrung am Teambus befand. Natürlich meinte er damit nicht die Fahrt durch die Menge, sondern die Tatsache, dass er zuvor einen ersten Test bestanden hatte, den Pogacar ihm und den anderen Mitbewerbern um den Gesamtsieg auferlegt hatte.
Während vorne der Franzose Kévin Vauquelin als Solist dem Etappensieg entgegenfuhr, prüfte Pogacar dahinter die Konkurrenten bei der zweiten Überquerung des kurzen, aber sehr steilen Anstiegs hinauf zur Kapelle San Luca mit einer seiner explosiven Attacken. Dem Angriff konnte nur Vingegaard folgen. Während weder Remco Evenepoel, noch Primoz Roglic dazu in der Lage waren.
Pogacar ist nicht überrascht
Als Zuschauer konnte man fast froh sein, dass Vingegaards Team mit einem neuen, blaugrünen Trikot angereist ist und nicht in den gelb-schwarzen, die ihnen den Beinamen die "Killer-Wespen" eingebracht haben. Man hätte sonst glauben können, eine Aufzeichung aus den vergangenen beiden Jahren zu betrachten, als die beiden gemeinsam die Abfahrt hinunter nach Bologna rasten.
Aber das hier war die Neuauflage des Duells Pogacar gegen Vingegaard. "Ich wollte die Beine der anderen testen", sagte Pogacar, dem das Bad in der Menge erspart geblieben war, weil er im Ziel das Gelbe Trikot überreicht bekam. "Jonas war sehr stark, aber das war keine Überraschung für mich."
"Haben Etappe gefürchtet"
Nur sechseinhalb Wochen waren Vingegaard nach seinem fatalen Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt geblieben, um sich in Tourform zu bringen. Er wusste selbst ja nicht, wie gut er wirklich sein würde, wohl wissend, dass Pogacar ihn früh auf die Probe stellen würde. "Das war ehrlicherweise die Etappe, die wir am meisten gefürchtet haben", sagte Vingegaard. "Wir haben sogar damit gerechnet, dass ich heute Zeit verlieren werde."
Mit Vingegaard ist also zu rechnen bei dieser Tour de France. Das war die Erkenntnis des Tages - auch für Vingegaard. "Ich hatte ja selbst Zweifel, ob ich der alte Jonas sein kann", sagte er. "Und es ist wirklich schön, dass ich sagen kann: Ich bin zurück."
Evenepoel macht "einen kleinen Fehler"
Zurückgekommen immerhin war Remco Evenepoel. Der Belgier, einer der vier Topfavoriten auf den Toursieg, hatte Pogacars Attacke ebenfalls verpasst. Was er später damit begründete, dass er zuvor schon zuviel Energie gelassen hatte, weil er an dem bis zu 20 Prozent steilen Anstieg zu weit hinten positioniert gewesen sei. Als er sich wieder nach vorne gearbeitet hatte, sei kurz darauf der Angriff von Pogacar gefolgt. "Ein kleiner Fehler, aber am Ende ist es ja gut ausgegangen", sagte Evenepoel.
Das konnte Primoz Roglic, der vierte im Bunde, nicht behaupten. Der Kapitän des Teams Red Bull-Bora-hansgrohe kam mit 21 Sekunden Rückstand auf die anderen ins Ziel. Das ist nun auch der Abstand, der ihn nach zwei Tagen von den anderen Dreien in der Gesamtwertung trennt. Das ist nicht viel, aber trotzdem erstmal ein Nachteil.
Roglic hat die Beine nicht
"Da muss man halt geich mit dabei sein", sagte der Sportliche Leiter des Teams, Rolf Aldag, über den Moment der Attacke. Das aber war Roglic nicht und hatte dafür später auch eine simple Erklärung. "Ich hatte nicht die Beine", sagte der Slowene. "Aber es war auch ein spezieller Tag."
Die 2. Etappe von Cesenatico nach Bologna war wie schon am Vortag von Hitze und einem Auf und Ab durch den Apennin geprägt, wenn auch nicht ganz so heiß und ganz so fordernd wie am Tag zuvor. Dennoch blieben Eiswesten vor und nach der Etappe das beliebteste Utensil. Eisbeutel wurden unterwegs unter die Trikots und in die Socken gestopft.
"Wir haben viel in der Kälte und im Regen trainiert, vielleicht sind wir nicht so gut auf die Hitze abgepasst", suchte Aldag nach einer weiteren Erklärung dafür, dass Roglic den Anschluss verpasst hatte. Gravierende Folgen für den weiteren Verlauf des Rennens erwarten sie bei Red Bull-Bora-hansgrohe nicht. "Wenn das jetzt unser schlechter Tag war bei der Tour, dann können wir damit leben", sagte Aldag.
Pogacar findet Gelb gerade "so, so"
Am Montag gibt es bei der letzten vollständig in Italien stattfindenden Etappe erstmal eine Pause im Kampf um Gelb. Die Strecke von Piacenza nach Turin ist weitgehend flach. Da werden die Sprinter nach all ihren Qualen zum Auftakt ihre Chance auf einen Etappensieg bekommen.
Das dürfte auch im Sinne von Tadej Pogacar sein. Er hätte es wohl lieber gehabt, wenn Romain Bardet das Maillot Jaune behalten hätte. Der Franzose jedoch kam mit der Gruppe um Roglic ins Ziel uns so fehlten ihm am Ende sechs Sekunden für einen weiteren Tag in Gelb.
"So, so", fand Pogacar die Tatsache, dass er nun schon die Gesamtführung inne hat. Denn mit dem Leadertrikot auf seinen Schultern muss seine Mannschaft nun Verantwortung für das Rennen übernehmen. Allerdings darf man beim UAE-Team sicher sein, dass die Sprinterteams sie dabei unterstützen werden, damit etwaige Ausreißer tatsächlich keine Chance und haben und es zu einem Massensprint kommt.
Der nächste Test folgt auf dem Galibier
Andererseits sei es schön mal wieder Gelb zu tragen, nachdem er im vergangenen Jahr so nah dran gewesen sei, es aber nicht geschafft habe, es zu erobern. Nun ist es an den Konkurrenten, ihm das begehrte Kleidungsstück zu entreißen. Allen voran wohl Jonas Vingegaard, der viel Selbstvertrauen schöpfte an diesem Tag. "Ich hoffe sehr, dass ich jetzt drei gute Wochen haben werde."
Pogacar wird die nächste Probe aufs Exempel dann wohl am Dienstag auf der 4. Etappe machen. Die Tour kommt dann nach Frankreich, die Route führt über den Galibier.