Sprintsieg in Turin Biniam Girmay schreibt Tourgeschichte
Als erster schwarzer Radprofi aus Afrika gewinnt Biniam Girmay eine Etappe der Tour de France. Den Erfolg nutzt er für ein Plädoyer, die afrikanischen Talente besser zu fördern.
Die Tränen des Siegers waren längst getrocknet, aber die Bedeutung des historischen Moments war immer noch greifbar. Gut eine Stunde, nachdem Biniam Girmay in Turin als Erster ins Ziel der 3. Etappe der Tour de France gerast war und von seinen Gefühlen überwältigt worden war, saß er nun entspannt auf einem Stuhl und sollte die ganze Dimension seines Erfolges erklären.
Girmay: "Es hat so lange gedauert"
Denn Biniam Girmay hatte gerade Tour-Geschichte geschrieben, als erster Schwarzer Radprofi aus Afrika hatte er sich als Etappensieger in die Historie dieser 121 Jahre alten Rundfahrt eingetragen. "Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis ein Schwarzer Afrikaner eine Touretappe gewonnen hat", sagte Girmay, der schon so viel Geschichte geschrieben hat in seiner noch jungen Karriere.
Er war 2022 der erste Schwarze Radprofi der mit Gent-Wevelgem einen Frühjahrsklassiker gewann, im selben Jahr gewann er auch eine Etappe beim Giro d'Italia. Aber hängen blieb da vor allem, dass der Korken der Champagnerflasche, die er auf dem Podium öffnete, in sein Auge flog. Danach war die Rundfahrt für ihn vorbei.
Und nun also dieser Etappensieg bei der Tour de France. "Das bedeutet sehr viel für uns, für Afrika und besonders für mein Land Eritrea", sagte Girmay in Turin. Die Radsportbegeisterung in seiner Heimat ist riesig, ein koloniales Erbe der Italiener. Aber die Voraussetzungen diesen Sport, der seinen Kern immer noch in Europa hat, dort professionell betreiben, sind ungleich schwieriger.
Inspiriert von Sagan und Teklehaimanot
Seine eigene Geschichte zeigt das. Die Hürden, die der 24 Jahre alte Girmay bis zu diesem Tag in Turin zu überwinden hatte, waren ungleich größer als die seiner europäischen, amerikanischen oder australischen Kollegen. Girmay erzählte, wie er gemeinsam mit seinem Vater im Juli immer die Tour de France im Fernsehen verfolgte, wie er dabei 2012 Peter Sagan sah, dessen Etappensiege ihn inspiriert hätten.
Dabei war er lange davon überzeugt, dass die Tour nur Weißen vorbehalten sei, weil er bei den Übertragungen zuhause eben keine Schwarzen gesehen habe, die mitfuhren. "Irgendwann habe ich meinen Vater gefragt, ob es wohl möglich sein würde, ein Teil davon zu sein. Und er hat gesagt: Glaube daran, arbeite hart, dann ist alles möglich.", erzählte Girmay. Dann kam sein Landsmann Daniel Teklehaimanot und eroberte 2015 für einige Tage das gepunktete Bergtrikot bei der Tour de France. "Erst da habe ich wirklich geglaubt, dass es möglich ist", sagte Girmay.
"Teams müssen mehr Talente außerhalb Europas suchen"
Sein Weg in den Profiradsport führte über das UCI Cycling Center in Aigle in der Schweiz. Der Radsport-Weltverband hat dort seinen Sitz und fördert mit diesem Programm Radsport-Talente von außerhalb der großen Kernmärkte in Europa. Girmay war 19 Jahre alt als er in die Schweiz übersiedelte. Er musste sich an eine neue Kultur, eine neue Sprache gewöhnen.
Ein schwieriger Prozess, aber eine notwendige Erfahrung, um im Profiradsport bestehen zu können. Die Möglichkeit dafür müssten aus seiner Sicht aber noch viel mehr jungen Radsportlern aus Afrika offen stehen. "Das ist auch eine Aufgabe der Teams, sie müssen mehr Talente auch außerhalb Europas sichten", findet Girmay.
Eine Forderung, die auch sein Sportlicher Leiter beim Team Intermarché-Wanty, Aike Visbeek, teilt. "Für den internationalen Radsport ist dieser Sieg enorm wichtig. Afrika hat ein großes Reservoire an Talenten und wir als internationale Radsport-Gemeinschaft müssen ihnen helfen", sagte der Niederländer. "Wir kümmern uns nicht um die talentierten Junioren in Afrika."
Biniam Girmay mit Aike Visbeek, Sportlicher Leiter von Intermarche-Wanty
Während Junioren aus Holland, Belgien und Frankreich mit dem besten Material Höhentrainingslager absolvierten, wären sie in Afrika froh, ein Rennrad zu besitzen. "So geraten sie immer weiter ins Hintertreffen. Wir müssen mehr afrikanische Talente nach Europa bringen, damit sie ihre Fähigkeiten entwickeln können." Vielleicht werde dieser Sieg helfen, das Bewusstsein dafür zu verändern.
"In erster Linie will er Rennen gewinnen"
Bei all diesen Grundsatzfragen und der historischen Dimension dieses Etappensieges ging fast unter, dass Girmay dafür einen fulminanten Sprint hingelegt hatte auf der breiten und ebenen Zielgeraden in Turin, obwohl ihm doch eigentlich die etwas schwierigeren Sprintankünfte liegen. Aber dann durfte Girmay doch noch erzählen, wie er die Lücke erkannt und hindurch gefahren war, um am ehemaligen Weltmeister Mads Pedersen vorbeizusprinten. "Und dann habe ich nur noch die Augen zugemacht und habe nur noch getreten."
Die Geschichte ist nun also geschrieben. Und Girmay ist jung genug, weitere historische Momente für den afrikanischen Radsport zu schaffen, auch wenn das gar nicht sein Antrieb ist. "Biniam weiß, dass er viele Menschen inspiriert", sagte Aike Visbeek in Turin. "Aber in erster Linie will er Rennen gewinnen. Das ist es, was ihn antreibt." Weitere Erfolge sollen am besten noch bei dieser Tour folgen