Mark Cavendish
Tourreporter

Britischer Sprinter will den Rekord Mark Cavendish und das "Projekt 35"

Stand: 01.07.2024 09:13 Uhr

Mark Cavendish wollte seine Karriere im vergangenen Jahr schon beenden. Doch nun ist er zurück bei der Tour de France, weil er mit einem Sieg den alleinigen Rekord für die meisten Etappensiege aufstellen kann. Für das große Ziel ist er bereit zu leiden.

Von Michael Ostermann, Piacenza

Die erste Hürde ist geschafft. Mark Cavendish hat das Auftaktwochenende der Tour de France überstanden. Auch wenn er dafür ziemlich leiden musste. Aber das wusste der Brite ja vorher schon.

Ein Sieg fehlt zum alleinigen Rekord

"Wenn du einen Körper hast wie ich, fang nicht mit Radfahren an. Diese Zeiten sind vorbei", sagte Cavendish im Ziel der ersten Etappe in Rimini, wo er mit mehr als 39 Minuten Rückstand auf den Tagessieger Romain Bardet angekommen war. Auf der 2. Etappe am Sonntag kamen noch einmal fast 25 Minuten hinzu. Aber Zeit spielt für Cavendish ja keine Rolle, so lange er sich im Zeitlimit hält. Das ist ihm gelungen.

Mark Cavendish von der Isle of Man ist der erfolgreichste Sprinter des Radsports. Bei der Tour de France hat er seit seinem Debüt 2007 insgesamt 34 Etappensiege eingefahren. Und das ist der Grund, warum er die Rundfahrt noch einmal bestreitet - zum 15. Mal: Ihm fehlt nur noch ein Tagessieg. Dann hätte er den legendären Eddy Merckx hinter sich gelassen, mit dem er sich den Rekord für die meisten Tour-Etappensiege teilt.

Siegen ist sein Job

Dem "Projekt 35" ist alles untergeordnet. Das gesamte Team um ihn herum hat nur dieses Ziel. Auch wenn Cavendish, wie er betont, gar nicht dem Rekord nachjagt, sondern einfach einem weiteren Sieg. Denn das - so sieht er das - ist sein Job: Radrennen gewinnen. "Ich habe ja nichts zu verlieren", sagt Cavendish. "Es ist nicht wie Roulette spielen. Wenn ich nicht gewinne, verliere ich ja nicht die 34 Etappensiege."

Dass er diesem Job auch 2024 im Alter von 39 Jahren noch nachgeht, hat aber doch mit diesem einen, dem 35. Etappensieg bei der Tour de France zu tun. Schon im vergangenen Jahr war Cavendish in Frankreich diesem Erfolg auf der Spur. Am Ende der Saison 2023 wollte er dann seine Karriere beenden.

2023 schon ganz nah dran

In Bordeaux auf der 7. Etappe war er vor einem Jahr nahe dran. Eine springende Kette verhinderte damals wohl den Triumph. Und nur einen Tag später lag Cavendish mit gebrochenem Schlüsselbein auf einer französischen Landstraße und musste unter Tränen aufgeben. "Ich habe ihn gefragt, ob seine Karriere wirklich so enden soll", erzählt Alexander Winokurow. Der Kasache mit dunkler Dopingvergangenheit ist Chef des Astana-Qazaqstan-Teams, für das Cavendish seit Anfang 2023 fährt.

Die Antwort lautete offensichtlich nein. Und so haben Cavendish und Winokurow ein Team zusammengestellt, dass die Karriere des Sprinters, der bereits 164 Siege als Profi feiern konnte, darunter den Weltmeister-Titel, zum krönenden Abschluss führen soll.

Mørkøv soll es wie 2021 richten

Den Dänen Michael Mørkøv, den viele als den besten Sprintanfahrer bezeichnen, rief Cavendish schon am Tag nach seinem Sturz bei der Tour im vergangen Jahr an. "Mein Telefon klingelte und es war sein Name im Display. Ich wusste direkt, was er von mir will", hat Mørkøv dem britischen Magazin Rouleur erzählt.

Mørkøv ist selbst auch schon 39, auch für ihn als Anfahrer ist dieser eine fehlende Erfolg zum Rekord wichtig. Er hat schon 2021 beim Team Quick Step-Deceuninck die Sprints für Cavendish vorbereitet. Damals hatte niemandem dem Briten zugetraut, nochmal einen Sprint bei der Tour zu gewinnen. Es wurden vier Etappensiege, mit denen er mit Eddy Merckx gleichzog. Auch dank der Vorarbeit von Mørkøv.

Auf den Champs-Élysées hätte damals schon Nummer 35 folgen können. Es wäre das perfekte Finale gewesen. Doch dieses eine Mal verließ sich Cavendish nicht auf seinen Anfahrer, sondern entschied sich für ein anderes Hinterrad, das erste Mal in drei Wochen. "Ich konnte ihm nicht helfen, und er hat keinen Platz gefunden zu sprinten", erinnert sich Mørkøv im Rouleur-Magazin. "Ich war enttäuscht und wirklich sauer."

Nur zwei Siege in diesem Jahr

Nun sind die beiden wieder zusammen und versuchen, den damals verpassten 35. Sieg unter Dach und Fach zu bringen. Und Cavendish kommt mit einer ebenso schwachen Bilanz wie vor drei Jahren zur Tour. Ganze zwei Sieg sind ihm in dieser Saison gelungen - einer in Kolumbien Anfang des Jahres und einer bei der Ungarn-Rundfahrt im Mai. Cavendish hätte diese Veranstaltungen früher "scheißkleine Rennen" genannt.

Zur Vorbereitung auf die Frankreich-Rundfahrt ist er im Juni dann die Tour de Suisse gefahren, kein Rennen für Sprinter. Aber dort wollte er seine Leidensfähigkeit im Gebirge trainieren, die er ohne Zweifel braucht für die Tour de France.

Erste Chance in Turin

Am ersten Wochenende wurde das gleich deutlich. Auf der 1. Etappe nach Rimini mit mehr als 3.600 Höhenmetern fiel er gleich am ersten Anstieg zurück. Eskortiert von seinem Team quälte er sich durch die Etappe und schaffte es gemeinsam mir den Kollegen, im Zeitlimit anzukommen. Nur der Italiener Michele Gazzoli musste wegen eines Hitzschlages aufgeben.

Damit ist das Team Astana Qazaqstan nur noch zu siebt. Doch Cavendish hat sich am Wochenende die erste Chance auf Sieg Nummer 35 ermöglicht. Die 3. Etappe der Tour von Piacenza nach Turin ist weitgehend flach und wird aller Voraussicht nach im Sprint entschieden. Die Jagd nach dem Rekord kann beginnen.