Tour de France Femmes Frauenradsport in Deutschland - das Hoffen auf eine Initialzündung
Die zweite Ausgabe der Tour de France Femmes schrieb Geschichte. Auch aus deutscher Sicht dank zweier Etappensiege. Nun hoffen alle auf eine Initialzündung.
Am Morgen sah es noch so aus, als wenn die achte und letzte Etappe der Tour de France Femmes eine nasse Angelegenheit werden würde. Aber je näher das abschließende Zeitfahren rückte, desto mehr verzog sich der unangenehme Nieselregen. Gott sei Dank, mögen sich die Veranstalter, aber vor allem die Fahrerinnen gedacht haben, denn Zeitfahren auf nassen Straßen hat so seine Tücken.
Es ging immerhin um nicht weniger als das Gelbe Trikot, welches sich Demi Vollering dank ihres Parforceritts auf den Tourmalet am Vortrag erobert hatte. Doch die Fahrerin vom Team SD Worx absolvierte die 22,6 Kilometer durch Pau sicher und darf sich nun als die neue Königin des Radsports feiern lassen. Aber auch für andere Fahrerinnen ging es noch darum, den ein oder anderen Platz gutzumachen.
Bauernfeind übertrifft alle Erwartungen
So zum Beispiel für Ricarda Bauernfeind. Sie wollte unbedingt unter den besten zehn bleiben. Dass sie am Ende mit einem neunten Rang in der Gesamtwertung sowie einem Etappensieg nach Hause fährt, hätte die Tour-Debütantin vorher auch nicht gedacht. "Die Tour lief mehr als perfekt und ist mehr als ich mir je erträumt habe. Absolut genial", so die 23-Jährige, die vor vier Jahren zwischenzeitlich mit dem Radsport aufhörte, gegenüber der Sportschau.
"Was ihre Leistungsfähigkeit angeht, hätte sie sogar die Top fünf erreichen können", ist sich Ronny Lauke, ihr Sportdirektor bei Canyon SRAM, sicher. "Aber sie ist erst 23 Jahre alt und einen Etappensieg sowie das ganze Theater bei der Tour muss man erst einmal verarbeiten. Aber nicht falsch verstehen, die Top Ten zu schaffen, ist auch schon eine wahnsinnig gute Leistung." Es war eh eine sehr erfolgreiche Rundfahrt für das einzige deutsche World Tour-Team: Kasia Niewiadoma fuhr nicht nur den dritten Platz in der Gesamtwertung raus, die Polin gewann auch das Bergtrikot. Außerdem ist Canyon SRAM das zweibeste Team der Tour.
Dabei lief es die ersten vier Tage alles andere als gut, erzählt Lauke. "Nach der ersten Hälfte hatten wir leichte Zweifel, ob wir uns richtig vorbereitet hatten. So langsam sank da die Moral. Aber wir beschlossen, auf uns und die Fahrerinnen zu vertrauen." Der Sieg von Bauernfeind hätte dann schließlich dem ganzen Team einen Ruck gegeben. "Mit dem Ausgang der Tour sind wir überglücklich."
Froh, dass es vorbei ist
Nach Bauernfeind ist Clara Koppenburg, eine weitere Tour-Debütantin, die zweitbeste Deutsche im Klassement. Mit einem guten Zeitfahren sicherte sich die Cofidis-Fahrerin den 15. Platz. So richtig zufrieden ist sie allerdings nicht, es sei einiges schiefgegangen. Unter anderem deshalb freue sie sich, dass es vorbei ist.
"Es war eine lange Woche, die ich erst einmal sacken lassen muss. Körperlich ist es schon hart, aber auch mental muss man kämpfen", so Koppenburg im Interview. Man müsse sich jede Sekunde konzentrieren, ansonsten passierten Stürze. "Ich bin in den letzten Jahren häufiger schwer gestürzt, das kann ich nicht mehr riskieren. Wenn der Stress aber erst einmal abfällt, bin ich auch wieder ein anderer Mensch."
Ein Sturz machte auch Liane Lippert einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich wollte die 25-Jährige auf der vorletzten Etappe noch das Gesamtklassement angreifen, nach ihrem Malheur musste sie den Kampf jedoch aufgeben. Am Ende steht der 20. Gesamtplatz zu Buche. Lippert zieht aber dennoch ein positives Fazit. Kein Wunder, mit ihrem Sieg auf der zweiten Etappe gelang ihr der erste große Sieg ihrer Karriere. "Das war der Hammer", so die Movistar-Fahrerin.
Liane Lippert freut sich über ihren ersten Etappensieg bei der Tour de France Femmes.
Besser als die Männer, aber Nachwuchssorgen
Das gute deutsche Ergebnis komplettieren Romy Kasper auf dem 38. Platz sowie Hannah Ludwig auf Rang 71. Kathrin Hammes (50.) fuhr sogar ein Top Ten-Ergebnis ein – von Cahors nach Rodez wurde sie Neunte und damit die beste Deutsche auf der längsten Etappe der Tour. "Aber allein dabei gewesen sein zu dürfen, war schon eine Auszeichnung", gab sich Hammes bescheiden.
Die Freude über das gute Abscheiden der deutschen Fahrerinnen ist groß – da fielen schon einmal Ausdrücke wie "mega", "phänomenal" oder "Wahnsinn". Romy Kasper ging sogar weiter. Mit einem Lächeln sagt sie: "Die Männer haben gar keinen Etappensieg bei der Tour geholt, wir haben jetzt zwei. Da sind wir wohl jetzt ein Stück weiter vorne."
Gleichzeitig zeigte sich die 35-Jährige aber auch kritisch. "Man sieht schon eine Entwicklung im deutschen Frauenradsport, aber da muss von unten schon noch was nachkommen." Die Breite fehle, das sieht auch Hannah Ludwig so. "Unsere jetzigen Profis sind richtig stark. Und es gibt zwar jüngere Fahrerinnen, die richtig gut sind, aber es könnten meiner Vorstellung nach mehr sein."
Das Hoffen auf eine Initialzündung
Nachwuchssorgen sind im deutschen Radsport wahrlich nichts Neues. Das weiß auch Dirk Baldinger, Sportdirektor des deutschen Continental Teams Ceratizit-WNT Pro Cycling. Dessen Fahrerin, die Französin Cèdrine Kerbaol, durfte sich am Sonntag über das Weiße Trikot der besten Nachwuchsfahrerin freuen. "Wir im Team können uns über fehlenden Nachwuchs nicht beschweren. Aber schaut man in andere Nationen, investieren diese sehr viel mehr in die Jugend." Die Lücke sei durchaus da, weshalb sich der deutsche Radsportverband was einfallen lassen müsse.
Ein weiteres Problem sieht Baldinger in den wenigen Rennen in Deutschland. "Wir haben mit der Lotto Thüringen Ladies Tour und dem neuen Stuttgarter Women’s Cycling Grand Prix nur zwei große Rennen im Jahr." Andere Länder würden da innerhalb der Saison mehr Möglichkeiten für die Sportlerinnen bieten.
Lauke sieht das Nachwuchsproblem nicht so düster, hofft aber trotzdem, dass die deutschen Erfolge bei der diesjährigen Tour de France Femmes etwas bewirken. "Vielleicht gibt es ja ein paar junge Mädchen, die vor dem Fernseher sitzen, wenn eine deutsche Fahrerin gewinnt und sich denken, das möchte ich auch mal sein. Das ist die Initialzündung, die wir für den Frauenradsport hier brauchen."