Wojtek Czyz bei den Paralympics Vom Leichtathletik-Star zum Badminton-Pionier
Wojtek Czyz hat bei den Paralympics viermal Gold gewonnen - als Leichtathlet und für Deutschland. Nun spielt er für Neuseeland Badminton. Über einen Ausnahme-Athleten und sein überraschendes Comeback, bei dem auch der Zufall eine Rolle spielte.
Das erste Spiel der Paralympics ging klar verloren: Czyz unterlag dem Briten Daniel Bethell mit 5:21 und 2:21. Beim ehrgeizigen Athleten saß der Frust tief nach dem Auftaktspiel. Und doch wusste er das Ergebnis einzuschätzen. "Wir sprechen da über den absoluten Top-Favoriten auf Gold. Es war nicht so einfach. Man probiert und probiert und er bringt alles zurück", sagte Czyz im Sportschau-Interview.
Jürgen Klopp, mit Czyz befreundet, riet dazu, das Spiel abzuhaken. "Es war sicher nicht das Spiel, das sich Wojtek erhofft hat. Aber gegen den Besten der Welt kann man in jeder Sportart verlieren, eben auch im Badminton. Weiter geht's", sagte der frühere Trainer des FC Liverpool.
Ein Unfall als Startpunkt einer besonderen Karriere
Dass der frühere Leichtathlet überhaupt dabei ist, ist etwas besonderes. Filmreif, so kann man die sportliche Geschichte von Wojtek Czyz bezeichnen. Von Alt-Kanzler Gerhard Schröder gefeiert und neben Klopp auch mit Miroslav Klose befreundet. Welcher Athlet kann das schon von sich behaupten?
Eigentlich wollte Wojtek Czyz Fußballprofi werden. Im September 2001 absolviert er ein Probetraining beim Drittligisten Fortuna Köln. Der 21-Jährige überzeugt und bekommt einen Vertrag angeboten. Vier Tage später bestreitet Czyz eine letzte Partie für seinen bisherigen Klub, den VfR Grünstadt. Eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte.
Bei einem Zusammenprall mit dem Torhüter verletzt sich Czyz schwer am Knie. Es folgt eine Odyssee durch drei Kliniken, bevor feststeht: Sein linker Unterschenkel muss amputiert werden. Ein Schock. Aber für Czyz, der Sport seit seiner Kindheit liebt, steht schnell fest: Das ist es noch nicht gewesen. Das kann es noch nicht gewesen sein.
Schnell findet er neue sportliche Ziele. Und er weiß, wohin ihn der Weg führen soll - zu den Paralympics.
Derweil wird Jürgen Klopp auf den Fall aufmerksam, Mainz 05 organisiert ein Benefizspiel. Dem Trainer imponiert, wie Czyz mit dem Unfall umgeht. Klopp staunt über die Zuversicht und Kraft des jungen Sportlers. Die beiden bleiben in Kontakt, freunden sich an.
Als Wojtek Czyz sogar den Kanzler jubeln ließ
Nach erfolgreicher Reha findet Czyz im Rekordtempo den Einstieg in den Behindertensport. Nur zehn Monate nach dem Unfall wird er Deutscher Meister im Weitsprung und über 100 Meter. Der Weg zu den Paralympics 2004 ist geebnet, und Czyz steigert sich in den kommenden zwei Jahren weiter deutlich.
In Athen gehört ihm dann die ganz große Bühne. Czyz triumphiert über 100 Meter, 200 Meter und im Weitsprung. Der im polnischen Wodzislaw Slaski geborene Athlet ist der Star der Spiele. Die Bilder, wie Kanzler Gerhard Schröder gratuliert und die beiden sich in den Armen liegen, gehen um die Welt.
Begegnung im Thailand-Urlaub sorgt für ein Umdenken
Die Karriere verläuft auch nach Athen weiter erfolgreich. Vier Jahre später siegt Czyz in Peking nochmals im Weitsprung. Zu den ersten Gratulanten gehört dieses Mal nicht Schröder, sondern Fußball-Weltmeister Miroslav Klose. Die beiden kennen sich aus gemeinsamen Kaiserslauterer Zeiten, sind miteinander befreundet.
2012 in London holt Czyz noch einmal Bronze über 100 Meter. Im Jahr darauf beendet er seine Leichtathletik-Karriere. Er merkt, dass ihm auch andere Dinge abseits der sportlichen Karriere wichtig sind. Bei einem Urlaub in Thailand sieht er einen Mann, der statt mit einer Prothese mit einem Stück Holz am Beinstumpf vorwärtskommt. "Und ich laufe da mit einer 30.000-Euro-Prothese rum. Das kann es echt nicht sein", so Czyz zuletzt im Interview mit dem SWR.
Czyz ist überzeugt: Menschen, die auf eine Prothese angewiesen sind, müssten mehr Unterstützung erhalten - gerade in Ländern, in denen es weniger medizinische Unterstützung gibt. Es reift eine Idee, die Czyz 2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau umsetzt. Sie machen sich auf die Reise in entwicklungsschwache Gebiete, um Menschen vor Ort mit einer Prothese auszustatten. Gefertigt werden diese dank 3D-Drucker auf dem eigens umgebauten Katamaran. Zu den Unterstützern des Projekts gehört Jürgen Klopp, der auch das Vorwort zur Autobiographie von Czyz beisteuerte und bei den Paralympics vor Ort die Daumen drückt.
Los geht es in Marokko, viele weitere Länder folgen. Es ist eine Aufgabe, die Czyz erfüllt: "Wenn du eine Mutter siehst, die auf einmal dank der Prothese wieder ihre drei Kinder im Arm halten kann. Oder einen Bauern, der den Berg wieder hochkraxeln kann: Das ist einfach geil."
Czyz startet mit dem Badminton-Schläger durch
Ausgebremst wird das Ehepaar Czyz von Corona. Als sich die beiden gerade in Neuseeland befinden, kommt der Lockdown. Ein Rückschlag? Nicht unbedingt. Czyz sieht auch in der Zwangspause eine neue Chance. Der Zufall verschafft ihm die Chance auf ein Comeback.
Ihm fällt auf, dass Behindertensport in Neuseeland zwar existiert, aber nicht sonderlich professionell betrieben wird. Er fragt einfach mal nach beim neuseeländischen Team, wo man denn Badminton spielen könne - früher neben Tennis eines seiner Hobbys. Czyz darf mitspielen, und schlägt auf Anhieb alle nationalen Konkurrenten. In Czyz wächst der Ehrgeiz, es braucht ein neues Ziel - die Paralympics reloaded, nur eben mit dem neuseeländischen Badminton-Team.
Und tatsächlich: Er wird Ozeanien-Meister und erfüllt sich seinen Traum von den vierten Paralympics. Mit seiner Teilnahme möchte Czyz auch Pionierarbeit leisten und dafür sorgen, dass es in Neuseeland in Zukunft bessere Strukturen für den Parasport gibt. "Außerdem wollte ich klar machen, dass es möglich ist, von Null zu starten und es trotzdem zu schaffen - auch ohne großartige Unterstützung", sagt Czyz.
Anders als damals in der Leichtathletik verspürt er auf dem Badminton-Feld nicht mehr den Druck, der Gejagte zu sein. In Paris geht er als Herausforderer ins Rennen. Ein Gefühl, das Czyz genießt. Doch ehrgeizig ist er noch immer. Er sagt: "Wenn ich etwas anfange, mache ich es zu 100 Prozent."