USADA-Freispruch wirft Fragen auf Neue Doping-Diskussionen um Paralympics-Star Townsend
Die US-Anti-Doping-Agentur und ihr Chef Travis Tygart sind die schärfsten Kritiker der Welt-Anti-Doping-Agentur im Fall der 23 chinesischen Schwimmer. Während der Paralympics wird nun der Fall eines US-Stars diskutiert, in dem sich die Amerikaner unbequeme Fragen gefallen lassen müssen.
Roderick Townsend ist einer der Stars der paralympischen Szene - nicht erst seit seiner Gala am Sonntagabend (01.09.2024) in Paris. Der 32-Jährige aus den USA gewann in der Klasse für Athleten mit Beeinträchtigung der oberen Gliedmaßen bei den dritten Paralympics in Folge fast spielend Gold im Hochsprung.
Doch Townsend ist umstritten - genau wie die Tatsache, dass er überhaupt in Paris starten darf. 2023 war er trotz eines positiven Dopingtests auf den verbotenen Wachstumshormon-Stimulator Campromorelin und einer absurd klingenden Erklärung von der US-Anti-Doping-Agentur USADA freigesprochen worden. Recherchen der ARD-Dopingredaktion zu dem Fall werfen nun neue, unbequeme Fragen auf - sowohl für Townsend als auch für die USADA.
Roderick Townsend gewann in Paris Gold im Hochsprung.
Spritze des toten Hundes benutzt
Nach seinem positiven Trainingstest im vergangenen November in Arizona bestritt Townsend in der folgenden USADA-Anhörung absichtliches Doping. Er habe seinem kranken Hund Winnie ein Medikament mit der verbotenen Substanz verabreicht, so Townsend - mit einer Spritze ohne Nadel direkt in den Mund. Die Spritze habe er nach Winnies Tod aufbewahrt und auf dieselbe Weise später bei sich benutzt, mit einem harmlosen Vitamin-Präparat. Rückstände der Doping-Substanz hätten bei ihm für den positiven Test gesorgt.
Wir haben getan, was wir tun mussten.
Die USADA und ihr Chef Tygart nahmen Townsend die Erklärung ab - Freispruch, der Weg nach Paris war frei. "Wir haben natürlich alles hinterfragt und untersucht. Wir haben nur Spuren der Substanz gefunden, und der Athlet hat beglaubigte Dokumente von seinem Tierarzt vorgelegt. Wir haben getan, was wir tun mussten, und auf der Grundlage der Beweise war dies eindeutig ein Fall von unschuldiger Kontamination mit einem Tierarzneimittel", sagte Tygart der ARD-Dopingredaktion.
Die Einsetzung eines unabhängigen Schiedsgerichts zur Bestätigung der Entscheidung sei nicht nötig gewesen. Man sei sicher gewesen, sagte Tygart, dass dieses zum gleichen Ergebnis gelangt wäre. Townsend arbeitete mit Befürwortern von Doping-Substanzen zusammen. ARD-Recherchen verstärken jedoch die Zweifel an der Entscheidung der USADA.
Social-Media-Videos beweisen, dass Townsend bis mindestens kurz vor seinem positiven Dopingtest mit dem Fitnesstrainer Justin King zusammengearbeitet hat. King, ein ehemaliger Bodybuilder, ist bereits als Befürworter von harten Dopingsubstanzen wie Wachstumshormon und Steroiden aufgefallen.
Townsend soll mit einem umstrittenen Fitnesstrainer zusammengearbeitet haben.
"Wachstumshormone haben eine äußerst positive Wirkung auf […] viele verschiedene Gewebe im Körper. Steroide können großartig sein, im Hinblick auf langfristige und kurzfristige Wirkungen. Das ist kein grässliches Zeug, das dich umbringt", erzählt King in einem Youtube-Video. Auf ARD-Anfrage bestritt King kurioserweise, so etwas jemals gesagt zu haben.
"Hinweise sind keine Beweise"
Zudem geht aus einem Instagram-Post hervor, dass King einst in einer Einrichtung arbeitete, die für Wachstumshormon-Stimulatoren wirbt, also jene Substanzgruppe, die auch bei Townsend gefunden wurde. King bestätigte auf ARD-Anfrage, dass er dort als Fitnesstrainer angestellt war. Paralympics-Sieger Townsend reagierte auf eine Anfrage nicht und nahm auch keine Stellung zu den Kontakten zu King.
USADA-Chef Tygart behauptet, dass seine Organisation über Kings Rolle vor dem Freispruch von der "Beziehung" Townsends zu King Bescheid gewusst habe. Die ARD-Dopingredaktion hatte der USADA die ohnehin öffentlich zugänglichen Videos und Posts zuvor vorgelegt. "Solche Hinweise sind keine Beweise in Anbetracht aller anderen Beweise in diesem Fall. Es ist nicht fair, jemandem etwas zu unterstellen, wenn alle anderen Beweise in eine andere Richtung zeigen", sagte Tygart. Weitere Untersuchungen in dem Fall schloss er aus.
Die Einsetzung eines unabhängigen Schiedsgerichts sei laut USADA-Chef Tygart nicht nötig gewesen.
Fall hat politische Dimension
Ein Freispruch trotz einer abenteuerlich anmutenden Geschichte und trotz eines Hintermannes, der Dopingsubstanzen bewirbt - auch vor dem Hintergrund des großen Streits zwischen der USADA und der WADA im Fall der chinesischen Schwimmer wirkt diese Entscheidung mindestens ungewöhnlich.
Und sie erhält eine politische Dimension: Die WADA hatte 2021 eine Untersuchung der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA unter Mitwirkung einer Geheimdienst-Behörde akzeptiert, wonach 23 positiv getestete Schwimmer Opfer einer Kontamination von Hotelessen geworden seien. Mehrere von ihnen holten bei Olympia in Tokio und Paris Medaillen.
Nachdem ARD und "New York Times" den Fall im April öffentlich gemacht hatten, wurde Tygart zum größten Kritiker der WADA, warf ihr lautstark inkonsequentes Verhalten und Vertuschung vor. Der globale Anti-Doping-Kampf steckt seitdem in einer gewaltigen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise. Kaum verwunderlich, dass sich Tygart allergrößte Mühe gibt, die Unterschiede der Fälle Townsend und China hervorzuheben.
WADA legte keine Berufung ein
"Wir haben den Fall Townsend untersucht, die WADA den Fall China nicht. Die WADA hat noch nicht mal die Athleten befragt. Und am wichtigsten: Sie haben die positiven Fälle nie bekannt gegeben. Sie haben sie komplett unter den Teppich gekehrt", sagte Tygart. Er betonte, unter anderem die WADA habe die Möglichkeit gehabt, gegen den Freispruch der USADA im Fall Townsend Berufung einzulegen - dies ist nicht passiert.
Was Tygart nicht erwähnt: Auch im Fall China gab es den Angaben der CHINADA zufolge eine Untersuchung durch die nationale Organisation, wenn auch mit einem höchst fragwürdigen Ergebnis. Richtig liegt er mit der Aussage, dass die USADA mit dem Fall in ihrer Verantwortung wesentlich transpartenter umgegangen ist als WADA und CHINADA mit dem Fall der 23 Schwimmer.
Townsend kann dies alles egal sein, denn weiteres Ungemach hat er in dem Fall offenbar zumindest aus Richtung der USADA nicht zu befürchten. Ein zweiter Erfolg in Paris blieb ihm allerdings versagt. Am Dienstag verpasste Townsend als Vierter im Weitsprung nach Gold in Rio und Silber in Tokio eine weitere Medaille.