Turnen ARD-Expertin Elisabeth Seitz: Wehmut und Vorfreude in Paris
Am Samstag (27.07.2024) beginnen in Paris die Turn-Wettkämpfe. Elisabeth Seitz hat die Qualifikation für ihre vierten Olympischen Spiele verpasst, ist aber als ARD-Expertin trotzdem dabei. Im Sportschau-Interview spricht die Europameisterin von 2022 am Stufenbarren über ihre neue Rolle, Wehmut, die Aussichten von Lukas Dauser und Ausnahmeturnerin Simone Biles.
Sportschau: Elisabeth Seitz, Sie haben an drei Olympischen Spielen teilgenommen. Was macht für Sie die Faszination Olympia aus?
Seitz: Es ist zum einen das sportliche Highlight, auf das man als Athlet hintrainiert. Aber die Faszination Olympia ist auch, wenn eine Stadt im Sportfieber ist und Sport und die Sportler im Mittelpunkt stehen. Wenn man das als Athlet zu spüren bekommt und weiß, dass man es nach ganz oben geschafft hat und man dafür von der Welt gefeiert wird.
Für die Zuschauer macht es aus, dass so viele Sportarten an einem Ort sind und die Besten der Besten performen. Das zusammen ist ein Feuerwerk des Sports. Auch in Paris spürt man schon jetzt diese Faszination am Sport. Das ist schön.
Sportschau: Sie sind nicht nur als ARD-Expertin, sondern auch als Ersatzturnerin in Paris dabei. Wie fühlt sich diese Rolle an?
Seitz: Komisch, weil ich in meiner Karriere noch nie Ersatzfrau war. Wenn ich an den Start gegangen bin, war ich auch immer dabei. Jetzt war die Situation mit dem Achillessehnenriss im September eben ganz besonders. Mein Comeback und die Qualifikation sind optimal gelaufen. Am Ende war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, in dem es leider nicht für mich gereicht hat.
Sportschau: Wie geht es Ihnen denn gesundheitlich?
Seitz: Ich würde sagen, ich bin fitter denn je. Deshalb war es auch so schade, nicht zu turnen, weil ich mich selten so fit und so bereit gefühlt habe.
Sportschau: Wie groß ist die Hoffnung, noch zum Einsatz zu kommen?
Seitz: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier noch turne, ist sehr gering. Im Podiumstraining am Donnerstag (25.07.2024) sind alle gesund geblieben, am Freitag ist Ruhetag und am Samstagmorgen ist die Deadline für die Ummeldung vorbei. Deshalb ist es nun langsam an der Zeit, endgültig zu verstehen, dass ich auf keinen Fall turnen werde. Bislang war da noch immer ein Fünkchen Hoffnung und ein Teil der Gedanken im aktiven Turnen. Nun kann ich mit allem in meine Rolle als ARD-Expertin gehen.
Sportschau: Wie sehr freuen Sie sich auf diese Rolle? Kommt vielleicht auch etwas Wehmut auf, wenn Sie Ihre Teamkolleginnen und -Kollegen beim Turnen sehen?
Seitz: Ich freue mich extrem darauf. Es kam jetzt tatsächlich ein bisschen Wehmut auf, als ich die anderen beim Training gesehen habe in der wirklich schönen Wettkampfhalle. Aber ich konnte auch spüren, dass sich viele Leute gefreut haben, mich hier zu sehen. Diese Herzlichkeit hat mich glücklich gemacht. Deshalb glaube ich, dass jetzt nach und nach dieser Schmerz weggeht, weil ich mich doch freue, ein Teil hiervon sein zu dürfen.
Sportschau: Was ist für die deutschen Turner drin mit Barren-Weltmeister Lukas Dauser an der Spitze, der aber ja leider gerade erst an einer Muskelverletzung im rechten Oberarm laborierte?
Seitz: Was eine Medaille angeht, kann Lukas die Fahne hochhalten. Diese Verletzung war jetzt blöd, eben weil er unser Medaillenkandidat ist. Ich wünsche und hoffe für ihn und auch das gesamte Team, dass alles funktioniert und vor allem seine Barrenübung klappt. Die Wertung hilft dem Team extrem und gibt ihm Sicherheit. Und gleichzeitig kann es eben die Tür öffnen für eine weitere Olympiamedaille. Ich hoffe, dass die Turner am Samstag einen richtig guten Start haben.
Sportschau: Wie sehr steckt so eine Verletzung vielleicht doch im Hinterkopf?
Seitz: Gerade weil die Verletzung relativ frisch und es eben doch eine ziemliche Gratwanderung ist, spielt der Kopf eine große Rolle; und auch, ihn zumindest für die Minute der Barrenübung auszublenden. Aber ich schätze Lukas so ein, dass er das absolut drauf hat. Da muss dann bei ihm vor allem der Körper mitspielen.
Sportschau: Helen Kevric ist erst 16, was würden Sie ihr für das Abenteuer Olympia mit auf den Weg geben?
Seitz: Ich wünsche ihr, dass sie die vielen Eindrücke nicht nur versucht beiseite zu schieben, um den Fokus auf den Wettkampf nicht zu verlieren, sondern auch eine schöne Zeit bei Olympia hat. Das ist in dem jungen Alter und bei den ersten Spielen schon eine große Herausforderung.
Sportschau: Wie ist das Ihnen 2012 bei Ihrer Premiere in London gelungen?
Seitz: Nicht so gut. In London war jeder Schritt und alles, was ich gesehen habe, etwas ganz Besonderes - und in der kurzen Zeit einfach zu viel. Dadurch, dass wir dort bis zum Ende bleiben durften, hatten wir nach den Wettkämpfen noch ein wenig Zeit, Olympia entspannt genießen zu können. Aber trotzdem war das auch mit ein Grund, warum ich weitergemacht habe: Ich wollte dann noch einmal Olympia mit einer entspannteren Sichtweise erleben. Das ist mir dann in Rio 2016 besser gelungen.
Deutsches Team Gerätturnen (8)
- Frauen:
- Helen Kevric (Stuttgart)
- Pauline Schäfer-Betz (Chemnitz)
- Sarah Voss (Köln)
- Männer:
- Pascal Brendel (Wetzlar)
- Lukas Dauser (Unterhaching)
- Nils Dunkel (Halle)
- Timo Eder (Ludwigsburg)
- Andreas Toba (Hannover)
Sportschau: Die Welt schaut auf US-Star Simone Biles. Sie auch?
Seitz: Auf jeden Fall. Ich freue mich extrem auf sie. Ihr letztes Olympia-Erlebnis in Tokio war eigentlich das Schlimmste, was einem Sportler passieren kann: dass man einen Blackout hat und aussteigen muss. Deswegen hoffe ich, dass sie abliefern kann, denn sie ist der Olympiastar - nicht nur im Turnen.
Mich beeindruckt an ihr nicht nur diese extreme Hochleistung. Man sieht auch, dass sie Freude an dem Ganzen hat und ein aufgeschlossener und offensichtlich glücklicher Mensch ist. Sie zeigt das und lacht viel, das gefällt mir ganz besonders.
Sportschau: Haben Sie daran gezweifelt, dass sie nach Tokio noch einmal so stark zurückkommt?
Seitz: Rein körperlich nicht, weil sie wahnsinnig gute Voraussetzungen hat. Bei ihren Postings in der Zeit ihrer Pause hat man immer gesehen, dass sie noch diese Powerfrau ist. Aber mental finde ich stark, dass sie das geschafft hat.
Sportschau: Glauben Sie, dass Paris ihre Abschiedsvorstellung ist?
Seitz: Ich kann mir vorstellen, dass sie es sich auch je nach Ausgang offen lassen will. Wenn wieder etwas Unvorhersehbares passiert wie in Tokio, ist es wahrscheinlich schwer, dann Frieden zu finden. Aber vielleicht pausiert sie nach Olympia erst einmal wieder. Körperlich könnte sie auf jeden Fall noch weitermachen. Bei ihr ist tatsächlich alles möglich. Auch, dass sie eine lange Pause macht und dann aber genau auf dem Niveau zurückkommt, und sei es nur einmal für Olympia in L.A.
Sportschau: Wie geht es für Sie selbst nach den Olympischen Spielen weiter?
Seitz: Ich mache auf jeden Fall noch weiter. Los Angeles ist aber für mich höchstwahrscheinlich zu weit, den vollen Zyklus wird es wohl nicht mehr geben. Nicht zu 100 Prozent, aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bin ich in L.A. nicht mehr dabei.
Das Interview führte Bettina Lenner, Paris