Sportförderung Abseits der Weltspitze - was andere besser machen
Die deutsche Spitzensportförderung steht in der Kritik. Wenig finanzielle Unterstützung für die weltmeisterlichen Basketballer, keine Medaillen für die am stärksten geförderte Leichtathletik. Andere Sportnationen stehen besser da. Was machen sie anders?
Der WM-Erfolg der Basketballer scheint derzeit eine positive Ausnahme im deutschen Sport zu sein. Ansonsten herrscht großes Wehklagen, vor allem in den olympischen Kernsportarten. Die deutsche Leichtathletik etwa blieb bei der WM in Budapest im August ohne Medaille. Dabei erhält der Deutsche Leichtathletik Verband (DLV) bei den Sommersportarten die größte finanzielle Förderung, der Deutsche Basketball Bund (DBB) bekommt am wenigsten Geld.
Die Kritik ist deshalb nun groß: Das deutsche Sportfördersystem sei "zu langsam, zu ineffizient, zu wenig innovativ", befand selbst der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester im Deutschlandfunk. Aber woran hapert es? Was kriegen andere Sportnationen besser hin?
USA – Vereinbarkeit von Ausbildung und Sport
Platz fünf für Zehnkämpfer Leo Neugebauer mit 8.645 Punkten war einer der wenigen Lichtblicke bei der aus deutscher Sicht sonst so enttäuschenden Leichtathletik-WM. Sein Erfolg: Made in USA.
Keine Nation dominiert den Spitzensport wie die USA. Keimzellen des sportlichen Erfolgs sind die Unis und Colleges. "Im College hat man den Vorteil, dass man die Uni und den Sport richtig gut zusammenbringen kann", sagte Leo Neugebauer im SWR. "Meine Coaches, meine Academic Advisors, die auf meine schulischen Sachen aufpassen, meine Physios – alle reden miteinander und erstellen einen Plan für mich." Keine Studiengebühren, kostenlose Unterkunft, beste Trainingsbedingungen und ein kleines Gehalt: Neugebauer studiert seit 2019 mit einem Sportstipendium an der University of Texas. In dieser Zeit hat sich der 23-Jährige von einem No-Name zum deutschen Rekordhalter entwickelt.
Für die Colleges ist Sport ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Neugebauers US-Uni in Austin investiert umgerechnet etwa 200 Millionen Euro im Jahr in ihre Sportprogramme. Zum Vergleich: Das Bundesinnenministerium zahlte 2023 insgesamt rund 300 Millionen Euro an den deutschen Sport.
Das System und die Dimensionen in den USA sind kaum vergleichbar mit Deutschland. Deutlich wird jedoch, was in der deutschen Sportförderung zu kurz kommt: die Vereinbarkeit von Ausbildung beziehungsweise Beruf und Sport. In einer von der Deutschen Sporthilfe beauftragten Studie von 2021 sagten 35 Prozent der Befragten Spitzensportlerinnen und -sportler, dass "ihre finanzielle Lage [es] ihnen nicht ermöglicht (hat), sich hinreichend auf den Sport zu konzentrieren". Auch bei Olympiateilnehmern seien es noch 21 Prozent.
Bei den Olympischen Spielen in Tokio waren laut Athleten Deutschland e.V. etwa 45 Prozent der deutschen Delegation aktuelle oder ehemalige Studierende. Nur wenige Studiengänge sind speziell auf Spitzensportlerinnen und -sportler ausgelegt, Lehre und Training häufig schwer in Einklang zu bringen. Zwar bieten Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll Sportförderprogramme an, bei denen Berufsausbildung und Spitzensport kombiniert werden können, allerdings steht ein Platz bei der Bundespolizei nur denen zur Verfügung, die bereits einem Nationalkader angehören.
Die Bundeswehr biete über die Sportsoldatenzeit hinaus wenig Perspektiven, so die Kritik. "Wir haben in Deutschland kein wirkliches Fördersystem, sondern ein Belohnungssystem. Wer schon oben angekommen ist, wird gefördert. Wie er dahinkommt ...?", kritisierte Sprinterin Gina Lückenkemper das System im vergangenen Jahr auf Instagram.
Island - Ausschöpfen des Potenzials
Ein Land, das das besser hinbekommt: Island. Zwar zählt die kleine Atlantik-Insel nicht zu den Top-Medaillenkandidaten bei Groß-Events, aber auf die Größe heruntergerechnet, hat sie eine beeindruckende Quote. 370.000 Einwohner hat Island, ungefähr so viele wie Bochum. "Wir haben im Verhältnis dazu, wie wenige Isländer es nur gibt, weltweit am meisten Profisportler und -trainer", so Vésteinn Hafsteinsson, Direktor Elitesport des isländischen Sport- und Olympiaverbands, im Sportschau-Interview.
Die Basis dafür legt der Breitensport. "Das wird immer das Wichtigste sein, denn die Grundlage wird in einem jungen Alter gelegt." Nahezu 90 Prozent der Kinder, schätzt Hafsteinsson, machen Sport in einem Verein. "Alle Kinder haben freien Zugang zu Sport. Wir sind ein kleines Land, das macht es einfach." Auch der Schulsport spiele eine große Rolle. Man versuche, das gesamte System im Blick zu behalten. "Wir haben tolle Trainer für junge Menschen. Und das sind nicht die Mütter oder Väter der Kinder, das sind ausgebildete Coaches. Ich denke, Kinder in Island werden wahrscheinlich, bis sie zwölf Jahre alt sind, besser ausgebildet als irgendwo sonst auf der Welt."
Übertragen lässt sich das isländische System allein wegen Größe und Bevölkerungsdichte nicht eins zu eins. Doch die Herangehensweise an Talentförderung könnte ein Vorbild sein. "Wir glauben, dass ein langsamer Prozess die schnellsten Ergebnisse liefert", so Hafsteinsson, "wir fokussieren uns auf Entwicklung, nicht nur auf Performance." Im Vordergrund stehe der Spaß am Sport. "Wir haben nichts dagegen, wenn Kinder mehrere Sportarten machen, bis sie 16 oder sogar älter sind. Wir wollen sie nicht zu früh formen, aber schon früh ein Umfeld schaffen."
Ein Aspekt, den der Sportwissenschaftler Arne Güllich im deutschen Sportfördersystem vermisst. Die deutsche Nachwuchsförderung sei darauf ausgelegt, die besten Jugendlichen früh auszuwählen und in Talentförderprogramme zu bringen. Die Wissenschaft zeige aber, dass die Entwicklung von Weltklasseathletinnen und -athleten einem anderen Muster folge: Diese würden erst später leistungsbezogene Meilensteine erreichen und länger in mehreren Sportarten trainieren. Die Diversifizierung und lange Entwicklungsdauer seien wichtige Aspekte bei der Entwicklung in Richtung Weltklasse. "Unser Fördersystem im Nachwuchsbereich fördert exakt das Gegenteil von diesem Muster", erklärte Güllich im Deutschlandfunk.
Niederlande - Zentralisierung und Effizienz
Ein Muster, das in den Niederlanden zum Erfolg führt: Zentralisierung. Mehr als 400 Sportlerinnen und Sportler aus zwölf Verbänden arbeiten täglich im Sportzentrum Papendal, dem größten von vier Elite-Sport-Zentren des Landes. Es gilt als Schmiede des niederländischen Erfolgs. "Wir sind nicht unter den ersten 25 Nationen weltweit, wenn es um Investitionen in den Sport geht. Aber wir waren zuletzt immer unter den Top Ten in den Medaillenspiegeln", sagt Jochem Schellens, Leiter des Sportzentrums Papendals, im Interview mit der Rheinischen Post, "wir gucken, worauf es wirklich ankommt und jeder Cent wirklich für den Sport ausgegeben wird".
In Papendal haben die Athletinnen und Athleten auch im Training internationale Konkurrenz, ein wichtiger Faktor. "Einige deutsche Athletinnen und Athleten sind ins Ausland gegangen, weil diese internationalen Trainingsgruppen hier nicht erlaubt sind", berichtet Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Auch qualifizierte Trainerinnen und Trainer wandern ins Ausland ab. "Wir haben einen Braindrain", so Berlemann, "wir müssen sichergehen, dass Trainer enger mit der Wissenschaft verzahnt arbeiten und dass sie besser honoriert werden." Im Ausland werde Trainerinnen und Trainer zum Teil ein Vielfaches gezahlt, die soziale Absicherung und die Perspektiven seien besser.
In Deutschland trainieren die Kaderathleten in zahlreichen Stützpunkten im ganzen Land verteilt. Das sei aber nicht das grundlegende Problem, so Berlemann: "Föderalismus ist eine gute Sache, aber ich glaube, dass wir die Stärken des föderalistischen Systems im Sport anders ausgestalten müssen."
Insbesondere hinsichtlich der anstehenden Kürzung der Bundeszuschüsse sei es wichtig, effizienter zu haushalten. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung sind für 2024 knapp zehn Prozent weniger Mittel für den deutschen Sport vorgesehen. "Wir haben in Deutschland kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem", so Berlemann. Die Rahmenbedingungen für erfolgreichen Sport seien bekannt. "Wir müssen Strukturen aufbrechen und klar nach Zahlen, Daten, Fakten investieren, trainieren und fördern."