Sprinter Joshua Hartmann bei der Leichtathletik-WM
analyse

Busemanns WM-Kolumne WM ist nicht DM, aber Fehler passieren

Stand: 23.08.2023 16:33 Uhr

Die WM ist nicht die DM, das hat Joshua Hartmann bitter erfahren. Solche Fehler darf man nicht machen, meint ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann. Aus eigener Erfahrung weiß er aber auch, dass sie passieren. Deshalb kann sich der Ex-Zehnkämpfer in Hartmann hineinversetzen und springt mittlerweile bei jedem Volkslauf ins Ziel, als gäbe es kein Morgen mehr.

Es gibt Momente im Leben, da will man einfach die Zeit zurückdrehen. Immer dann, wenn ein Fehler passiert. Wenn der vermeintliche Urheber dieser unerwarteten Normenverletzung plötzlich erkennen muss, dass er in Bruchteilen von Sekunden falsch entschieden hat.

Grundsätzlich geht jede Athletin und jeder Athlet mit einer bestimmten Vorstellung in einen Wettkampf. Er bringt eine bestimmte Vorleistung mit, zieht die letzten Trainingsergebnisse zu Rate und formuliert aus allerlei Faktoren ein Minimal- und ein Maximalziel. In der Wirtschaft gibt es diese Min-Max-Beziehung auch als Prinzip.

Im Minimalprinzip versucht man, ein bestimmtes Ziel mit möglichst wenig Ressourcen zu erreichen, im Maximalprinzip mit vorhandenen Ressourcen ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Ersteres finden wir beim Athleten im fortgeschrittenen Niveau in Vorläufen, Letzteres dann in den Finals. Man darf diese Vorgehensweise nur nicht vermischen.

Wenn die Usains oder Noahs zum Endjogging ansetzen

Joshua Hartmann, seines Zeichens neuer deutscher Rekordhalter über 200 Meter und mit einem Jubelschritt fast an der 19 vor dem Komma, sollte das Überstehen der Auftaktrunde eher als Pflicht denn als Kür sehen. Die Erwartungen hingegen waren von allen Seiten groß. Er marschierte durch die Kurve, wie es sich für einen Weltklasseläufer im Vorlauf gehört.

Da sahen wir in der Vergangenheit allzu oft die leichte Verkrampfung, die sich breit machte, wenn die Usains oder Noahs aus Übersee zum Endjogging ansetzten. Dabei guckten sie links und rechts, sicherten sich ab, und dieser Flitzebogenschütze Namens Bolt unterhielt sich auf den letzten Metern teilweise mit der Gegnerschaft. Kann man machen, muss man aber nicht. Dafür muss man aber Pfeile im Köcher haben, die man erst in der Siegeszelebrierung verschießt.

Die WM ist nicht die DM

Deutschlands Maxime war bisher: Lauf um dein Leben. Es könnte kein Morgen geben. Hartmann war aber zu gut drauf. Es ging leicht und dann gab er sich leider dem Trugschluss hin, dass genug Puffer hintenraus zur Verfügung stünde. Doch die WM ist nicht die DM. Auch nicht im Vorlauf. Gucken verboten. Peripheres Herüberspinxen kann man noch durchgehen lassen, aber Kopfverwringungen rissen ihn aus allen Träumen. Der Vorlauf war gleichzeitig Endstation. Enttäuschung pur. Überall. Ein Fehler, wie er einsah.

Joshua Hartmann wird wahrscheinlich nie mehr rüberlinsen und denken, dass der Vorlauf reine Formsache ist.
Frank Busemann

Natürlich, das war zu offensichtlich. Halb Deutschland haut drauf los. Natürlich. Dafür war der Fehler zu erkennbar. Deshalb half auch kein Geraderücken. Das war mal klar, hätte das Ergebnis auch nicht verbessert. Raus ist raus. Solche Fehler darf man nicht machen. Das weiß ein jeder Betrachter des Geschehens. Sogar ich…

Ich, der Diskus und die Fehler

Ich war ja früher mal Athlet, habe dann Diskus geworfen, bei den Olympischen Spielen. 33,71 Meter. Weltrekord. Von hinten. So schlecht war keiner. Das war ein Fehler. Bei den Weltmeisterschaften über die 60 Meter Hürden wollte ich mal Vierter werden. Neben mir der Kubaner war stark, Mist, dachte ich, werde ich nur Fünfter. Ich rannte aufrecht durchs Ziel. Das war ein Fehler. Ich musste feststellen, dass ich Siebter war. Siebter. Weil ich mich aufgegeben hatte und die anderen mit einem Todeshecht ins Ziel gesprungen sind. Das war mal ein Fehler.

Fehler heißt er, weil er von der Norm und dem eigentlichen Leistungsvermögen abweicht. Aus welchen Gründen auch immer. Das passiert. Leider. Aber es passiert. Und das ist doof.

Seitdem springe ich bei jedem Volkslauf ins Ziel, als gäbe es kein Morgen mehr. Und Hartmann wird wahrscheinlich nie mehr rüberlinsen und denken, dass der Vorlauf reine Formsache ist. Aber Diskuswerfen kann ich immer noch nicht.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 20.08.2023 | 07:00 Uhr