Busemanns EM-Kolumne Forza Italia! Heimvorteil funktioniert, vor allem in Italien
Der oft beschworene Heimvorteil macht seinem Namen bei der Leichtathletik-EM in Rom wieder alle Ehre, meint Ex-Zehnkämpfer und ARD-Experte Frank Busemann in seiner Kolumne.
Forza Italia hallt es durch das Stadio Olimpico. Und die Angefeuerten machen wie von Sinnen Sport. Eine Medaille nach der anderen wird gewonnen und die Zuschauer sind schier aus dem Häuschen. Der oft beschworene Heimvorteil macht seinem Namen wieder alle Ehre und pusht die eigenen Landsleute zur kollektiven Überzielerreichung.
Wenn wir mal ehrlich sind, müssen wir uns die Frage stellen, warum das so ist? Wir sind zwar in Rom, da gibt es mit dem Kolosseum die Geburtsstätte der autonomen Wettkampfreserve, aber ich habe die letzte Woche weder einen Löwen noch einen schwer bewaffneten Gegner gesehen.
Das sind alles erwachsene Athleten, die nicht nur allein durch gutes Zureden außergewöhnliche Leistungen bringen. Ich verstehe zwar kein italienisch, aber ich glaube nicht, dass die Trainer sowas wie "Na, fein hast du das gemacht!" sagen, und dann läuft’s.
Win-Win-Situation
Ein Freund von mir sagte mal, dass er deutsche Meisterschaften zu Hause in Dortmund nicht mag, weil wir da ohnehin jeden Tag trainieren und er alles kennt. Ihm fehlt da das Besondere. Recht hat er. Bei deutschen Jugendmeisterschaften sind jetzt nicht unbedingt 10.000 Tifosi im Stadion, die sich die Seele aus dem Leib schreien. Aber Heimvorteil in Groß funktioniert immer.
München 2022. Die ganze deutsche Mannschaft behandelt die davor liegende WM eher stiefmütterlich, um zu Hause einen rauszuhauen. Haben sie gemacht. Berlin 2018, die Sinne waren geschärft und die Medaillenausbeute enorm. Die Mannschaft hat geliefert. Die Zuschauer auch. Eine Win-Win-Situation. Der Wunsch eines jeden Athleten ist, einmal in seiner Karriere eine große Meisterschaft im eigenen Land zu erleben.
Kein Griesgram wird gewinnen
Es hat was mit wohlfühlen zu tun. Zu Hause erhält man Zuspruch. Alle sind einem gut gesonnen. Woanders vielleicht auch, aber daheim bildet man sich ein, dass man geliebt wird, weil man zusammengehört. Nicht umsonst stellt Hollywood wilde Mittelalterschlachten immer mit viel Gebrüll dar. Zusammen zur Attacke, da entwickelt sich eine Gruppendynamik. Gute Stimmung wirkt gemütsaufhellend. Positivität ist leistungsfähiger, hat viel mehr Energie als ein gesenkter Blick und hängende Schultern. Kein Griesgram wird gewinnen. Wer gewinnen will, muss seinen Körper sprechen lassen. So wie ich wirke, so fühle ich mich und dabei helfen die eigenen Zuschauer.
Und wenn mich in meinem Auftreten zigtausende heimische Fans bei dem, was ich kann und liebe, unterstützen, dann holt man ganz ohne Säbelzahntiger die letzten Reserven raus.
Emotionalität ist ganz nah am Affekt
Weil Emotionalität ganz nah am Affekt ist, der bekanntlich zu Dingen veranlasst, die man sonst nicht tun würde. Und weil große Leistung nur mit ganz viel Adrenalin und Sicherheit stattfinden kann, sind die Italiener noch ein Stückchen mehr im Vorteil. Weil sie ein sehr emotionales und familienbejahendes Volk sind, ist die Wirkung des Heimvorteils noch mal ein Stückchen größer.