"Die Akte China" Deutsche Steuergelder zur WADA-Finanzierung auf der Kippe?
Wegen ihrer Rolle im chinesischen Verdachtsfall von Massendoping stellt der stellvertretende Vorsitzende des Sportausschusses den Fortbestand der Welt-Anti-Doping-Agentur, zumindest aber deren Finanzierung mit deutschen Steuergeldern infrage. Athleten Deutschland würde eine Klage gegen die WADA unterstützen.
Wegen ihrer umstrittenen Rolle im Verdachtsfall von Massendoping unter chinesischen Spitzen-Schwimmern werden die Forderungen nach Konsequenzen für die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) aus Politik und Sport immer lauter.
Philip Krämer, stellvertretender Vorsitzender im Sportausschuss des Bundestages, kündigte an, dass sich das Gremium am 15. Mai mit den Recherchen von ARD und "New York Times" und den Folgen befassen werde. Der Sportpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen fordert eine Überprüfung der Mitfinanzierung der WADA durch deutsche Steuergelder und regt eine Neuordnung des weltweiten Anti-Doping-Kampfes an.
Man müsse nach den Olympischen Spielen in Paris "grundlegend darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, eine Weiterfinanzierung der WADA vorzunehmen, oder ob es uns eben nicht gelingt, ein alternatives System herausgelöst aus dem organisierten Sport aufzubauen", sagte Kraemer der ARD-Dopingredaktion.
"Herauslösen aus dem organisierten Sport"
Deutschland gehört mit einer jährlichen Zahlung von derzeit 1,34 Millionen Dollar (etwa 1,25 Millionen Euro) zu den größten Geldgebern der Anti-Doping-Dachorganisation. Nur die USA, Kanada und Japan steuern unter den Ländern, die die WADA unterstützen, mehr zu deren Jahresbudget von etwa 50 Millionen Dollar (46,8 Millionen Euro) bei. Größter Geldgeber ist die Olympische Bewegung beziehungsweise das Internationale Olympische Komitee, das für die Hälfte des Budgets aufkommt.
Die Reaktion der WADA auf die Veröffentlichung von ARD und "New York Times" bezeichnete Krämer als unzureichend. "Ich glaube, dass wir uns grundlegende Gedanken über die Reform des Anti-Doping-Kontrollsystems im Spitzensport machen müssen, beispielsweise durch das Herauslösen aus dem organisierten Sport in eine komplette Unabhängigkeit", sagte Krämer.
WADA-Vertreter im Sportausschuss?
Der Grünen-Politiker kündigte an, für die kommende Sitzung am 15. Mai auch einen Vertreter der WADA in den Sportausschuss einzuladen. Der Ausschuss stehe in der Verantwortung, die Debatte wegen des Einsatzes von Steuergeldern zur Finanzierung der WADA "in den Deutschen Bundestag hineinzuziehen". Es sei "wirklich zentral", den Sorgen von Athletinnen und Athleten Beachtung zu schenken.
Die Interessenvertretung Athleten Deutschland äußerte derweil erneut ihre Enttäuschung über den ihrer Meinung nach fehlenden Aufklärungswillen der Sportorganisationen im Zusammenhang mit einer möglichen Vertuschung der Dopingverdachtsfälle in China und kritisiert auch das Internationale Olympische Komitee. "Das IOC scheint ähnlich zu reagieren wie die WADA. Beide scheinen nicht wirklich interessiert zu sein an einer ergebnisoffenen Prüfung", sagte Maximilian Klein, Direktor für Sportpolitik und Strategie bei Athleten Deutschland: "Wenn wir das Gefühl haben, dass der Aufarbeitungsprozess nur pro forma erfolgt mit einem möglicherweise festgelegten Ergebnis - dann ist das gleich die nächste Krise."
"Entwicklungen reißen alte Wunden auf"
Das IOC hatte sich nach Veröffentlichung der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping: Die Akte China" in der Causa für nicht zuständig erklärt. IOC-Präsident Thomas Bach sprach der WADA aber gleichzeitig das Vertrauen aus.
Die WADA hatte den großen Doping-Verdachtsfall aus dem Jahr 2021 auf sich beruhen lassen, ohne vor Ort in China eine unabhängige Untersuchung durchgeführt zu haben. 23 chinesische Spitzenschwimmer waren positiv auf das verbotene Herzmedikament Trimetazidin getestet und anschließend nicht belangt worden.
Die WADA akzeptierte die Darstellung in einem vertraulichen chinesischen Bericht, der auf einer Untersuchung des chinesischen Ministeriums für Öffentliche Sicherheit basiert. Demnach seien die Athletinnen und Athleten im Teamhotel Opfer einer Lebensmittel-Kontamination geworden.
"Die Entwicklungen reißen alte Wunden wieder auf, nämlich genau die Wunden, die entstanden sind, als der Weltsport schon mal mit einem großen Dopingskandal umgehen musste: dem russischen Staatsdoping-Skandal", sagte Maximilian Klein und sprach von einer "Vertrauenskrise". Die Athletinnen und Athleten hätten "wirklich Angst, dass das internationale Sportsystem und die WADA in ähnlicher Weise wieder versagen". Die ARD-Doku "Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht" hatte Ende 2014 erstmals über ein staatlich gestütztes Dopingsystem in Russland berichtet.
Klage gegen WADA "überfällig"
Klein erklärte, Athleten Deutschland habe Kontakt mit deutschen Schwimmern aufgenommen und würde auch eine mögliche Klage gegen die WADA unterstützen. Die Londoner "Times" hatte berichtet, dass Spitzenschwimmer aus mehreren Ländern, die in wichtigen Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen 2021 in Tokio hinter den dopingverdächtigen Chinesen platziert waren, eine Millionenklage gegen die WADA prüften. "Es ist sehr traurig, dass solche Schritte jetzt offenbar nötig werden. Doch sie sind am Ende überfällig, wenn die WADA sich so verschlossen gegenüber Kritik zeigt", sagte Klein.
Die WADA hatte die Berichterstattung von ARD und "New York Times" scharf kritisiert und sich unter anderem in einer eigens einberufenen internationalen Pressekonferenz zur Wehr gesetzt. Ihrer Darstellung nach habe sie sich in der Causa nichts vorzuwerfen. Sie beauftragte einen ehemaligen Generalstaatsanwalt aus der Schweiz mit der Überprüfung des Sachverhaltes. Dessen Unabhängigkeit ziehen die US-Anti-Doping-Agentur USADA und weitere Vertreter aus Sport und Politik in Zweifel.